Die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat in einem heute veröffentlichten Beschluss die Grundsätze bekräftigt, die die Strafgerichte bei der Beurteilung von Kritik an öffentlichen Stellen zu beachten haben. Diese müssen insbesondere berücksichtigen, dass das Recht, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen auch scharf kritisieren zu können, zum Kernbereich der Meinungsfreiheit gehört und bei der Abwägung besonders zu berücksichtigen ist.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen die folgenden Erwägungen zugrunde:
1. Die Beschwerdeführer sind Mitarbeiter einer Flüchtlingsorganisation, die im Jahre 2010 dem Rechtsamt der Stadt B. sowie einer namentlich genannten Sachbearbeiterin des Rechtsamts anlässlich des Antirassismustag 2010 einen im Internet veröffentlichten Denkzettel für strukturellen und systeminternen Rassismus verlieh. Die Beschwerdeführer waren für dessen Inhalt mitverantwortlich. Die Begründung des Denkzettels kritisierte, dass die Behörde einem Flüchtling wider besseres Wissen eine Vortäuschung seiner fachärztlich bescheinigten Gehörlosigkeit unterstellt habe. Die im Rahmen eines verwaltungsgerichtlichen Rechtsstreits abgegebene Stellungnahme der Stadt habe absichtlich und bewusst vorliegende Fakten ignoriert, um Gründe für eine Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis vorbringen zu können. Dies stelle eine unmenschliche, diskriminierende und jegliche Tatsachen ignorierende Umgangsweise mit dem Flüchtling dar.
Das zuständige Amtsgericht verurteilte die Beschwerdeführer wegen übler Nachrede (§ 186 StGB) zu Lasten der Sachbearbeiterin. Die im Denkzettel aufgestellte Tatsachenbehauptung, die Sachbearbeiterin habe wissentlich Tatsachen bei ihren Ausführungen gegenüber dem Verwaltungsgericht verschwiegen, sei nicht erweislich war. Die Beschwerdeführer hätten bei sorgfältiger Recherche erkennen können, dass der Sachbearbeiterin die ärztlichen Stellungnahmen zur Gehörlosigkeit des Flüchtlings nicht vorgelegen hatten und sie somit nicht absichtlich und bewusst Fakten ignoriert habe.
Das Landgericht nahm die Berufung wegen offensichtlicher Unbegründetheit nicht zur Entscheidung an. Das Landgericht ging insbesondere davon aus, dass mit der fraglichen Äußerung die Diffamierung der betroffenen Sachbearbeiterin im Vordergrund gestanden habe und dass die ehrverletzenden Äußerungen nicht in legitimer Weise zur Meinungsbildung beitragen hätten können.
2. Diese gerichtlichen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG).
a) Die Gerichte verkürzen den Schutzgehalt des Grundrechts hinsichtlich der gegenständlichen Äußerungen insofern, als sie in verfassungsrechtlich nicht mehr tragbarer Art und Weise vom Vorliegen einer Tatsachenbehauptung ausgehen. Bei der Frage, ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Meinungsäußerung oder als Tatsachenbehauptung anzusehen ist, kommt es entscheidend auf den Gesamtkontext der fraglichen Äußerung an. Ist im Einzelfall eine Trennung der tatsächlichen und der wertenden Bestandteile einer Äußerung nicht möglich, muss die Äußerung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes insgesamt als Meinungsäußerung angesehen werden, weil andernfalls eine wesentliche Verkürzung des Grundrechtsschutzes drohte. Vorliegend ist die Äußerung, dass das Rechtsamt absichtlich und bewusst vorliegende Fakten ignoriere, um Gründe für eine Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis vorbringen zu können, ihrem Sinn und systematischen Kontext nach eine das Hintergrundgeschehen zusammenfassend bewertende Stellungnahme.
b) Das Landgericht hat zudem den Schutzgehalt der Meinungsfreiheit insofern verkürzt, als es die fraglichen Äußerungen offensichtlich als Schmähkritik bewertet und in der Folge die erforderliche Abwägung zwischen dem Ehrschutz einerseits und der Meinungsfreiheit andererseits zumindest nicht im gebotenen Umfang unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorgenommen hat. Der Begriff der Schmähkritik ist eng definiert. Eine überzogene oder gar ausfällige Kritik macht eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Vorliegend steht mit der Äußerung aber nicht die Sachbearbeiterin in ihrer Funktion im Fokus der Kritik. Die konkret für strafwürdig erachteten Äußerungen verlieren auch nicht jeden Sachbezug zum kritisierten Geschehen, mögen sie auch scharf und überzogen sein.
c) Auch im Übrigen messen die Gerichte der Meinungsfreiheit selbst unter der – unzutreffenden – Prämisse einer Tatsachenbehauptung im Rahmen der Abwägung nicht genügend Bedeutung bei. Es ist zu berücksichtigen, dass das Recht, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen auch scharf kritisieren zu können, zum Kernbereich der Meinungsfreiheit gehört und bei der Abwägung besonders zu berücksichtigen ist. Auch ist in Anbetracht der tatsächlichen gerichtlichen Feststellungen, insbesondere betreffend das Hintergrundgeschehen, das Maß der Ehrverletzung der Sachbearbeiterin nicht derart hoch, dass diese im konkreten Fall die Meinungsfreiheit überwiegen könnte. Dabei erlaubt es die Meinungsfreiheit insbesondere nicht, die Beschwerdeführer auf das zur Kritik am Rechtsstaat Erforderliche zu beschränken und ihnen damit ein Recht auf polemische Zuspitzung abzusprechen.