Der Hessische Minister der Justiz, für Integration und Europa und stellvertretende Ministerpräsident, Jörg-Uwe Hahn, besuchte heute die im Oktober 2009 eingerichtete Zentralstelle zur Bekämpfung von Vermögensstraftaten und Korruption im Gesundheitswesen bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main.
Mit dabei war auch der Präsident der Landesärztekammer Hessen, Dr. med. Gottfried von Knoblauch zu Hatzbach, und der Hessische Generalstaatsanwalt, Hans-Josef Blumensatt.
„Der Gesundheitsmarkt in Deutschland setzt jährlich etwa 240 Milliarden Euro um und ist mit einem Anteil von rund elf Prozent am Bruttoinlandsprodukt und etwa vier Millionen Beschäftigten der größte Wirtschaftssektor“, so Hahn. Er verwies darauf, dass laut Transparency International im deutschen Gesundheitswesen durch Betrug und Korruption jährlich zwischen sechs und 20 Milliarden Euro verloren gehen – Vertreter der gesetzlichen Krankenkassen schätzen den Schaden vorsichtig auf rund eine Milliarde Euro. „Mit Blick auf diese Zahlen ist ein effektiver Schutz vor Vermögensstraftaten und Korruption im Gesundheitswesen ein wichtiges gesamtgesellschaftliches Anliegen, dem die Landesregierung durch Errichtung der Zentralstelle Rechnung getragen hat“, so Justizminister Hahn
„Straftaten im Gesundheitswesen sind besonders sozialschädlich – die Schäden werden am Ende von den Bürgerinnen und Bürgern über steigende Krankenversicherungsbeiträge getragen. Mit der Errichtung der bundesweit ersten und bislang einzigen Zentralstelle zur Bekämpfung von Vermögensstraftaten und Korruption im Gesundheitswesen bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main haben wir ein Kompetenzzentrum errichtet, das diese Taten effektiv und effizient bekämpft“, so Hahn weiter.
"Betrug im Gesundheitswesen ist ein schlagzeilenträchtiges Thema. Doch nicht jeder Fall von nicht korrekter Abrechnung ist ein Betrug, und schärfere Gesetze allein gegen Ärzte lösen die Probleme nicht", erklärte der hessische Ärztekammerpräsident Dr. med. Gottfried von Knoblauch zu Hatzbach. "Wenn wir Korruption im Gesundheitswesen wirksam bekämpfen wollen, müssen auch alle anderen Akteure mit einbezogen werden. Ich begrüße die Einrichtung zur Bekämpfung von Vermögensstraftaten und Korruption im Gesundheitswesen bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main ausdrücklich, da sie das gesamte Spektrum der Korruption im Gesundheitswesen unter die Lupe nimmt. Natürlich gibt es auch schwarze Schafe in der Ärzteschaft – und jeder korrupte Arzt ist einer zu viel. Auf der Grundlage des Heilberufsgesetzes verfügt die Landesärztekammer über wirksame Mittel zur Ermittlung und Ahndung ärztlicher Korruption. In den vergangenen fünf Jahren hat die Landesärztek ammer Hessen 35 berufsrechtliche Ermittlungsverfahren gegen hessische Ärztinnen und Ärzte durchgeführt. In 29 dieser Fälle wurden Sanktionen mit Geldauflagen in Höhe von insgesamt 63.620 Euro ausgesprochen."
Der Leiter der Zentralstelle, Oberstaatsanwalt Alexander Badle, berichtete: „Die Zentralstelle hat bislang insgesamt 1.247 Ermittlungsverfahren übernommen, wovon bereits 946 abgeschlossen sind. Hierbei konnten unrechtmäßige Gewinne in Höhe von insgesamt rund 18,5 Millionen Euro abgeschöpft werden. Diese positive Bilanz ist auch das Ergebnis einer funktionierenden Zusammenarbeit der Zentralstelle mit den Krankenkassen und der Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Vereinigung Hessen, die gemeinsam das Ziel verfolgen, den Gesundheitsmarkt in Hessen effektiv und effizient vor Missbrauch zu schützen.“
„Diese Bilanz kann sich sehen lassen und unterstreicht die Vorreiterrolle Hessens bei der Bekämpfung dieses Be reichs der Wirtschaftskriminalität“, so Justizminister Jörg-Uwe Hahn. Die erfolgreiche Arbeit der Zentralstelle zeigt, dass diese wichtige Aufgabe in Hessen durch qualifizierte und engagierte Staatsanwältinnen und Staatsanwälte auf hohem Niveau gewährleistet und zugleich stetig optimiert wird. Die Arbeit der Zentralstelle diene dabei auch der Stärkung des Wirtschaftsstandortes Hessen, da die Rahmenbedingungen für einen fairen Wettbewerb im Gesundheitsmarkt erhalten blieben. Auch werde das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die sich weit überwiegend rechtstreu verhaltende Ärzteschaft gestärkt. „Es geht hier nicht um die Diffamierung eines Berufsstands oder einer ganzen Branche sondern um den Schutz einer der wichtigsten Säulen unseres Sozialstaats, dessen Finanzierung eine der großen Herausforderungen einer stetig älter werdenden Bevölkerung darstellt“, so der Justizminister.
Generalstaatsanwalt Hans-Josef Blumensatt erläuterte, dass die Komplexität der Fachmaterie und die rasante Entwicklung des Gesundheitsmarktes eine durchgängige Sachbefassung und eine hessenweite Zuständigkeitskonzentration erfordere, um mit den Entwicklungen im Tatort Gesundheitsmarkt Schritt halten zu können. „In der Zentralstelle sind ein Oberstaatsanwalt sowie eine Staatsanwältin und ein Staatsanwalt tätig, die Ermittlungsverfahren für sämtliche hessischen Staatsanwaltschaften bearbeiten. Hierdurch werden die erforderlichen Spezialkenntnisse geschaffen, um eine effiziente und zeitnahe Bearbeitung aller Verfahren aus diesem Bereich zu gewährleisten. Zudem werden die übrigen Staatsanwaltschaften erheblich entlastet.“
Hintergrund: Beispiele für die Arbeit der Zentralstelle
Exemplarisch können folgende anonymisierte Verfahren genannt werden, die einen Überblick über die Arbeit der Zentralstelle zur Bekämpfung von Vermögensstraftaten und Korruption im Gesundheitswesen geben und schlaglichtartig deren besondere Bedeutung dokumentieren:
Verfahren 1:
Gegen einen 53 Jahre alten Apotheker aus dem Main-Tauber-Kreis hat die Zentralstelle im Dezember 2012 Anklage vor der großen Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln und gewerbsmäßigen Betruges erhoben. Dem Angeschuldigten, der zur Tatzeit eine Apotheke in Frankfurt am Main betrieben hat, wird zur Last gelegt, in der Zeit von Juni 2005 bis Oktober 2009 schwunghaft Handel mit Rohypnol-Tabletten betrieben zu haben. Die Rohypnol-Tabletten soll der Angeschuldigte – jeweils ohne Vorlage der vorgeschriebenen ärztlichen Verordnung – gegen Barzahlung oder im Tausch gegen Rezepte über hochpreisige Medikamente an Betäubungsmittelabhängige veräußert haben.
Dem Angeschuldigten wird weiter zur Last gelegt, spätestens ab März 2009 von einem wechselnden Personenkreis teils gefälschte, teils Original-Rezepte über besonders hochpreisige Medikamente (z.B. Krebs-, HIV- oder Asthmamedikamente) zu einem Teilbetrag des tatsächlichen Rezeptwertes gegen Bargeld angekauft und die auf diese Weise erlangten Rezepte mit gesetzlichen Krankenkassen abgerechnet zu haben. Der vom Angeschuldigten durch die Abrechnung tatsächlich nicht abgegebener Medikamente verursachte Schaden für die gesetzlichen Krankenkassen beträgt laut Anklage mindestens 1,7 Millionen Euro. Die Hauptverhandlung vor dem Landgericht Frankfurt am Main wird voraussichtlich im August 2013 beginnen.
Verfahren 2:
Gegen eine Versicherte der Barmer GEK hat die Zentralstelle Ende August 2012 Anklage beim Landgericht Frankfurt am Main wegen gewerbsmäßigen Betruges und Urkundenfälschung in 204 Fällen erhoben. Der Angeschuldigten wird zur Last gelegt, im Tatzeitraum März 2007 bis April 2012 Quittungen über angebliche Taxifahrten zu Ärzten bei der Krankenkasse eingereicht und für die tatsächlich nicht durchgeführten Fahrten insgesamt 217.339,98 Euro erstattet erhalten zu haben. Neben den Quittungen für die tatsächlich nicht durchgeführten Taxifahrten soll die Angeschuldigte zudem in erheblichem Umfang ärztliche Bescheinigungen über die Notwendigkeit der Taxifahrten gefälscht und diese zusammen mit den Kostenerstattungsanträgen bei der Krankenkasse eingereicht haben. Durch eine Anfrage der Krankenkasse bei dem Taxiunternehmen war bekannt geworden, dass die Taxifahrten tatsächlich nicht durchgeführt worden sind. Zur Hauptverhandlung vor dem Landgericht Frankfurt am Main im Dezember 2012 ist die Angeschuldigte nicht erschienen, daraufhin wurde gegen sie Haftbefehl erlassen. Sie ist nunmehr mit internationalem Haftbefehl zur Festnahme ausgeschrieben.
Verfahren 3:
Das Landgericht Frankfurt am Main hat im April 2011 einen Arzt aus Frankfurt am Main wegen Untreue in Tateinheit mit Betrug in 28 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren sowie einen Apotheker aus der Nähe von Paderborn wegen Betruges in Tateinheit mit Beihilfe zur Untreue in 28 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten – jeweils rechtskräftig – verurteilt. Der Apotheker, der zur Tatzeit eine Apotheke in Friedrichsdorf betrieb, hatte in den Jahren 2002 bis 2004 – gemeinschaftlich mit dem Frankfurter Arzt – die Lieferung von Sprechstundenbedarfsartikeln (zum Beispiel Einwegspritzen, Tupfer und sonstiges Verbrauchsmaterial) fingiert. Hierzu stellte der Arzt in ganz erheblichem Umfang Rezepte über entsprechende Bedarfsartikel aus und reichte diese an den Apotheker weiter. Der Ap otheker rechnete die Rezepte direkt mit der AOK Hessen ab; zu einer Lieferung der Sprechstundenbedarfsartikel kam es jedoch nicht. Durch die Abrechnung von „Luftleistungen“ entstand ein Schaden von rund 550.000 Euro, die der Apotheker und der Arzt zu gleichen Teilen untereinander aufgeteilt haben. Der Arzt, dessen Aufenthalt zunächst unbekannt gewesen ist, konnte im Oktober 2010 in Maintal festgenommen werden und befand sich bis zum Ende der Hauptverhandlung in Untersuchungshaft.