Mannheimer Wissenschaftler bestätigen Theorie zum Mechanismus der Blutgerinnung mithilfe eines künstlichen Blutgefäßsystems
Wissenschaftlern der Sektion Experimentelle Dermatologie an der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg, die sich mit der Gerinnungsforschung beschäftigen, ist es erstmals gelungen, die gemeinsam mit ihren Forschungspartnern postulierten physikalischen Mechanismen der initialen Blutgerinnung experimentell, mithilfe eines künstlich nachgebildeten Blutgefäßsystems, nachzuvollziehen. Es geht um den ersten Schritt der Blutgerinnung beim Wundverschluss und darüber hinaus um den Mechanismus, der verhindert, dass es selbst unter höchstenFlussgeschwindigkeiten ausschließlich zum Verschluss der Wunde und nicht zu einem Gefäßverschluss kommt. Die Mannheimer Wissenschaftler Dr. Volker Huck und Professor Dr. Stefan W. Schneider konnten bestätigen, dass es sich dabei um einereversible Polymer-Kolloid-Interaktion handelt, die durch hohe Scherkräfte induziert wird.
Die erfolgreiche Aufklärung dieses Mechanismus sollte dazu beitragen, die Diagnostik und Therapie von Blutgerinnungsstörungen, Thrombosen und Schlaganfällen zu verbessern. Nur die gemeinsame interdisziplinäre, physikalisch-biomedizinische Forschung mit Wissenschaftlern der Universität Augsburg, Baxter Innovations Wien,der Boston University und des Massachusetts Institute of Technology im Rahmen der2011 gegründeten DFG-Forschergruppe SHENC konnte dieses Projekt zum Erfolg führen. Die Ergebnisse hat die Forschergruppe im Januar 2013 in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht.
Das Blut erfüllt wesentliche Aufgaben, die dazu dienen, die Lebensfunktionen aufrecht zu erhalten. Eine der wichtigsten Funktionen ist die des Transports. Indem das Blut Sauerstoff von der Lunge zu den Zellen transportiert und im Gegenzug Kohlendioxid abtransportiert, ist es für die Atmung unabdingbar. Es versorgt außerdem die Zellen mit Nährstoffen und sorgt für den Abtransport von Stoffwechselendprodukten. Zu den Aufgaben des Blutes gehören aber auch die Abwehrfunktion und Wärmeregulierung, und nicht zuletzt der Wundverschluss.
Der lebensnotwendige Blutfluss basiert auf einer feinen Balance zwischen Verblutung und Gerinnung, die permanent im Blut aufrecht erhalten werden muss. Wird das Gleichgewicht gestört, kann es zu Störungen im Blutfluss oder gar zum Verschluss von Blutgefäßen (Thrombosen) kommen. Im umgekehrten Fall können schon kleinste äußere Verletzungen zum Tod durch Verbluten führen.
Die Blutgerinnung sorgt dafür, dass Wunden innerhalb kürzester Zeit verschlossen werden – und zwar ohne dass der Blutfluss unterbrochen wird und ohne dabei gesunde Gefäße zu verstopfen. Diesem kleinen Wunder der Natur sind die Wissenschaftler auf der Spur. Eine wichtige Funktion spielt dabei der von Willebrand-Faktor (VWF). Der VWF ist ein Protein, das nachweislich eine wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung der Balance zwischen Verblutung und Blutgerinnung spielt, indem es Blutplättchen bindet. Bereits 2007 konnten die an der aktuellen Studie beteiligten Forscher durch Simulation in einem so genannten Chip Labor zeigen, dass die mechanischen Scherkräfte, die die Strömungsgeschwindigkeit des Blutes auf den von Willebrand-Faktor ausübt, eine Zustandsänderung dieses hoch spezialisierten Makromoleküls bewirken und damit seine Bindungseigenschaften ändern (Publikation in PNAS).
Sehr hohe Fließgeschwindigkeiten, wie sie im menschlichen Körper im Bereich verletzter Gefäße auftreten, führen dazu, dass sich das ursprünglich kugelförmigeProtein zu einem mehrere hundert Mikrometer langen Faden auffaltet und dabei Bindungsstellen freigibt, die zuvor im Inneren der Kugel verborgen waren. Über diese Bindungsstellen kann der VWF an verschiedene Eiweiße der verletzten Gefäßwand sowie auch der Blutplättchen binden. Unter dauerhaft starker Strömung kommt es außerdem zur Quervernetzung von VWF-Fäden (Polymere) im fließenden Blut, an die sich Blutplättchen (Kolloide) heften können. Diese Polymer-Kolloid-Aggregate bilden einen kleinen Blutpfropf, der die Wunde verschließt.
Diese Vorgänge postulierten die Wissenschaftler auf der Basis theoretischer Modelle in computergestützten Simulationen. Es fehlte jedoch der experimentelle Beweis und es stellte sich folgende Frage: Wie kommt es, dass die Blutgerinnung nur lokal an der Verletzung vonstattengeht und es dabei nicht zum Verschluss von unverletzten Gefäßen kommt?
Die Mannheimer Wissenschaftler konnten jetzt mithilfe eines dem menschlichen Blutgefäß nachempfundenen Flusskammersystems und gleichzeitiger Anwendung der Reflexions-Interferenz-Kontrast-Mikroskopie (RICM) die Polymer-Kolloid-Bildungstheorie experimentell belegen. Und sie konnten nachweisen, dass der Prozess des „self-assembly“ im fließenden Blut reversibel ist und nur Aggregate aus VWF und Blutplättchen, die Kontakt zur Wunde finden, ihre blutstillende Wirkung zeigen. Schwimmen sie an der Wunde vorbei, so zerfallen sie aufgrund der veränderten Scherkräfte binnen Sekunden vollständig. Es bildet sich also gezielt nur am Ort der Gefäßverletzung ein kleiner Blutpfropfen, und es kommt daher nicht zum Verschluss von unverletzten Gefäßen.