Dass Rauchen die Gesundheit gefährdet, daran besteht kein Zweifel. Dass diese Erkenntnis dabei fast so alt ist, wie das Rauchen selbst – wen wundert’s? Kaum war der Tabakkonsum in Europa um 1600 in Mode gekommen, sprach die Bulle Cum Eclesia 1642 schon das erste Rauchverbot aus, in Lüneburg stand auf Rauchen bis 1692 sogar die Todesstrafe. – Doch pünktlich fünf Jahre nachdem Hessen 2007 ein generelles Rauchverbot verhängt hatte, startete die Stadt Lorsch im letzten September ein Tabakprojekt. Im Rahmen dessen hat man jetzt – zusätzlich zum wieder aufgegriffenen Tabakanbau – gemeinsam mit der Tourismus- Agentur des Kreises und dem Heimat- und Kulturverein Tabakführerinnen und -führer ausgebildet.
„Ich bin sicherlich der krasseste Nichtraucher“, sagt Florian Saum, der in Heidelberg studiert. „Aber Tabak ist ja, gerade in Lorsch, ein Thema, bei dem viele unglaublich interessante und ganz andere Aspekte im Vordergrund stehen.“ Wohl wahr. Ist Lorsch auch primär durch das erste UNESCO-Weltkulturerbe Hessens bekannt, verdankt doch der historische Stadtkern sein heutiges Aussehen Tabakanbau und –verarbeitung, was hier für gut dreihundert Jahre nachgewiesen ist. In den 1920er Jahren etwa zählte man hier über dreißig Zigarrenfabriken, von damals sechstausend Lorscherinnen und Lorschern arbeiteten zweitausend alleine in der Zigarrenherstellung. Der Wohlstand Lorschs: Er gründet auf der Ausnahmepflanze, die in fünf Monaten um das Vierundzwanzig-Millionenfache an Gewicht zulegt und die, das lichte Grün ihrer enormen Blätter mit einer pinkfarbenen oder weißen Blütendolde gekrönt, in den sandigen Gemarkungen rings um Lorsch prächtig gedieh.
„Für uns ist das Aufgreifen dieses Themas unter anderem eine Würdigung der Lebensleistung der Bevölkerung“, so die Leiterin des Kulturamtes, Gabi Dewald. „Die Geschichte des Tabaks in Lorsch ist ein Stück Kulturgeschichte. Sie steht exemplarisch für die europäische Industrialisierung, sie greift das Thema Frauenarbeit auf und damit auch der Emanzipation. „Schließlich“, ergänzt Lars Gölz von der Tourismus-Agentur, „erzählt der Tabak unglaublich viel über dörfliche Rituale, hier gründen viele Gebräuche und Sitten – man versteht diese Stadt – auch heute noch – besser, wenn man sich mit dem Tabak und seiner Bedeutung für die soziale Gemeinschaft des einstigen Dorfes befasst.“
Dass die Großmutter etwa in der „Duagg-Fawerigg“ (Tabakfabrik) mehr verdiente als der Mann „beim Benz in Mannem“ – sensationell! Dass die Kirchweih extra vom November auf den September verlegt wurde, weil man eben dann die Tabakpflanzer ausbezahlte, dass der Jahresablauf regelrecht bestimmt war von Aussaat, dem Auspflanzen, dem Ernten, dem Trocknen des Tabaks – noch ist das Wissen, sind die Zeitzeugen in der Stadt vorhanden.
„Tabak – Rauchen – Tod – darauf wird die Sache doch in der Regel reduziert“, sagt der Unternehmensberater Ronald Jungmann, der ebenfalls zur Gruppe der Tabakpflanzer 2013 gehört. „Ich finde es mutig und spannend, dass sich Lorsch dieses Thema auf die Fahnen schreibt.“ Grund dafür ist neben der Ortsgeschichte natürlich das größte Tabakmuseum Deutschlands, das es in Lorsch gibt. Bernhard Stroick betreut für den Heimat- und Kulturverein diese Abteilung des Lorscher Museumszentrums. Er – ebenfalls passionierter Nichtraucher – freut sich über das Interesse am Tabak. „Wussten Sie etwa, dass und wie Tabak zunächst und immer wieder als Heilmittel eingesetzt wurde?“ schmunzelt er. „Eine Perspektive auf den Aspekt ‚Tabak und Gesundheit’, die vielen neu sein dürfte.“
Viel Neues gab es für die angehenden Tabakführerinnen und –führer sowieso. Nach einem dreiwöchigen Lehrgang wurden sie am vergangenen Samstag schriftlich und mündlich geprüft. Ab der neuen Reisesaison kann man nun – neben einem Tabakworkshop mit Zigarrendrehen und –verkosten – spezielle Tabakführungen in Lorsch buchen.
Info-Kasten:
Informationen zum Tabakprojekt der Stadt Lorsch gibt es beim KULTour-Amt der Stadt Lorsch. Die Tabakführungen können in der Tourist Info im Alten Rathaus ab der neuen Reisesaison gebucht werden.