Umsetzung des Aktionsprogrammes „Flüchtlinge in Ausbildung und Arbeit bringen“

IHK zentrale Forderungen und Ideen vor

Mannheim – Die Flüchtlinge in der Region Rhein-Neckar kommen in diesen Monaten nach und nach auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt an. Bislang steckten sie vielfach in den Bürokratien der Registrierung und der Asylverfahren. Die Hürden, die sie und die Unternehmen zu überwinden haben, sind noch hoch. Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Rhein-Neckar erweitert deshalb ihr Aktionsprogramm zur Integration von Flüchtlingen und stellt zentrale Forderungen zur schnelleren Integration in Ausbildung und Arbeit auf.

Wie Irmgard Abt als Präsidentin der IHK Rhein-Neckar zu den Erfahrungen der vergangenen Monate deutlich macht: „Die Unternehmen brauchen mehr Unterstützung und rechtliche Klarheit, wenn es darum geht, Flüchtlinge zu beschäftigen. Den Flüchtlingen hingegen muss stärker als bisher das deutsche Duale Ausbildungssystem näher gebracht werden.“ Ein gestern von der IHK-Vollversammlung verabschiedetes Positionspapier soll dazu den Rahmen vorgeben. 

In der IHK-Unternehmerumfrage zur Beschäftigung von Flüchtlingen Ende 2015 hatten sich 400 Unternehmen aus der Region dafür ausgesprochen, Flüchtlingen in ihrem Betrieb eine Ausbildung oder Arbeitsstelle zu ermöglichen. „Dies war ein wichtiger Impuls für unsere Vollversammlung, die am 9. Dezember 2015 das Aktionsprogramm zur Integration von Flüchtlingen beschlossen hat. Dieses Programm setzen wir seitdem auf vielfältige Weise um. Wir führen Informationsveranstaltungen durch, wir beraten bei rechtlichen Fragen und wir haben zwei neue Bildungsberater eingestellt. Die IHK-Vollversammlung hat nun gestern zudem konkrete Forderungen und Ideen in einem Positionspapier beschlossen“, sagte Abt. 

Voraussetzung für einen qualifizierten Berufseinstieg: Deutschkenntnisse und technisches Grundverständnis

Sprachkenntnisse sind notwendige Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration. „Das hat unsere Umfrage gezeigt und das bestätigen mir auch alle Unternehmerinnen und Unternehmer mit denen ich rede“, so Irmgard Abt weiter. „Umso unverständlicher ist es, dass zwar Sprachkurse für minderjährige Flüchtlinge durch die Schulpflicht in Baden-Württemberg flächendeckend gewährleistet sind, Deutschkurse für Flüchtlinge über 18 Jahren aber unkoordiniert von vielen verschiedenen Akteuren angeboten und gefördert werden. Diesen Förderdschungel gilt es zu lichten. Eine Vernetzung der unterschiedlichen Programme und Anbieter ist dabei ebenso wichtig wie die Qualität der Sprachkursangebote“, forderte Abt. 

Neben Sprachkenntnissen sind gerade beim Einsatz in technischen Berufen zumindest die Beherrschung der Grundrechenarten unabdingbare Voraussetzung für einen qualifizierten und gelingenden Berufseinstieg oder die Absolvierung einer dualen Ausbildung. Die Überbetriebliche Ausbildungsstätte Buchen, an der auch die IHK beteiligt ist, hat hierzu eine Maßnahme begonnen. Die vierwöchige Maßnahme „Deutsch an der Werkbank für Flüchtlinge und Asylbewerber“ für junge Migranten und Flüchtlinge verzahnt Sprachunterricht und Berufsorientierung. 

Geförderte Sprach- und Mathematikkurse können auch als Teil von Einstiegsqualifizierungs-maßnahmen (EQ) für die Vorbereitung einer Berufsausbildung hier andocken und einen wichtigen Beitrag leisten. „Einer Ausbildung kann so ein ‚Vorbereitungsjahr‘ vorgeschaltet werden, in dem den Auszubildenden die Möglichkeit gegeben wird, weiter an ihrer Sprachkompetenz zu arbeiten“, so ein Vorschlag aus dem Positionspapier der IHK-Vollversammlung.

Keine Abschiebung während und nach der Ausbildung (3+2 Regelung durchsetzen)

Die duale Berufsausbildung kann eine der besten Formen zur Integration von jungen Flüchtlingen in die deutsche Arbeitswelt sein. Kein Betrieb wird aber jemanden ausbilden, bei dem nicht sicher ist, ob er oder sie die Ausbildung überhaupt abschließen kann. „Betriebe und Jugendliche brauchen daher Planungssicherheit. Für Flüchtlinge mit hoher Bleibeperspektive, die eine Ausbildung beginnen, sollte während der Ausbildung und für weitere zwei Jahre in der Berufseinstiegsphase ein Abschiebeschutz bestehen. Die hierfür geltende Altersgrenze für die Aufnahme einer beruflichen Ausbildung sollte auf 25 Jahre angehoben werden“, forderte IHK-Präsidentin Abt weiter. Im Rahmen des Asylpakets II vom Frühjahr 2016 ist diese sogenannte 3+2 Regelung zwar auf die politische Agenda genommen worden. Nun kommt es jedoch darauf an, die Grundlagen zu schaffen, diese Regelung schnellstmöglich anzuwenden. „Denn nur dann haben Auszubildende und Betriebe für das kommende Ausbildungsjahr die nötige Planungssicherheit“, folgerte Abt.

Allgemeine Unsicherheit und viele Fragen

Auf viele Fragen fehlen den Unternehmern auch immer noch schlicht die Antworten. „Ich nenne hier nur einige Beispiele: Wie ist das mit der Versicherung bei einem Praktikum für Flüchtlinge? Was ist beim Arbeitsschutz zu beachten? Bei welcher Behörde muss ich mich informieren? Es gibt so viele Unterstützungsangebote, welches passt zu mir? Wer garantiert mir, dass der Flüchtling, den ich einstellen möchte, auch arbeiten darf? Und wer garantiert mir, dass er nicht morgen schon abgeschoben wird? Wie ist die Mindestlohn-Regelung anzuwenden?“, zählte die IHK-Präsidentin auf.

Diese Fragen müssen mühsam von den Unternehmen recherchiert werden und können meist nur schwer beantwortet werden. Hier setzt nun das IHK-Angebot an. Um Unternehmer und Flüchtlinge schneller zusammenzubringen, wurden zwei neue Stellen geschaffen. Seit dem 1. März sind die Bildungsberater zur Integration von Flüchtlingen im Einsatz. Dirk Axtmann und Ulrich Floß stehen Unternehmen und Flüchtlingen beim Thema Ausbildung mit Rat und Tat zur Seite. Um den vielen rechtlichen Fragen der Unternehmer gerecht zu werden, hat die IHK Rhein-Neckar seit diesem Jahr die rechtliche Erstberatung speziell beim Thema „Ausbildung und Beschäftigung von Flüchtlingen“ verstärkt. Diese Beratung, die auch im Unternehmen stattfinden kann, soll den Arbeitgebern Sicherheit und Orientierung geben und so den Weg für einen guten Start der Integrationsbemühungen ebnen.

Wie wichtig grundlegende Kenntnisse der rechtlichen Rahmenbedingungen sind, zeigen die Erlebnisse der Unternehmer. Thomas Beck, Geschäftsführer der Fritz Fels Spedition GmbH aus Heidelberg und Mitglied der IHK-Vollversammlung, schildert dazu seine Erfahrungen als mittelständischer Unternehmer. „Wir haben bisher nur gute Erfahrungen mit der Beschäftigung von Flüchtlingen gemacht. Sie passen super ins Team, sind motiviert, pünktlich und packen einfach mit an. Ich bin der Meinung, dass man Flüchtlinge am besten über Arbeit integrieren kann. Gleichzeitig sehe ich darin auch eine Chance für unseren Arbeitsmarkt. Gerade in der Logistik ist es nicht immer einfach, gute und motivierte  Mitarbeiter zu bekommen“, so Thomas Beck. „Ich sehe uns Unternehmerinnen und Unternehmer als wichtigen Bestandteil für funktionierende Integration. Dafür müssen auch wir Initiative ergreifen und beispielsweise auf die Flüchtlingshelfer zugehen. Die sind meiner Meinung nach Schlüsselfiguren in dem Prozess, denn sie kennen ihre Schützlinge und wissen, welche Arbeit am besten zu ihnen passt. Aber: So einfach ist die Beschäftigung von Flüchtlingen nicht. Unsere Personalabteilung – und nicht jedes kleine oder mittlere Unternehmen hat diese Kapazitäten – hat sehr viel Zeit und Geduld investieren müssen, um wichtige Fragen zu rechtlichen Rahmenbedingungen oder Versicherungen mit den Behörden zu klären. Geholfen hat uns das Programm LAuRA für die Beschäftigung im Praktikum. Und nun, bei der Abklärung der Vorrangprüfung, um eine Festanstellung möglich zu machen, hilft uns auch das Team der IHK. Letztendlich ist es wichtig geduldig zu sein, aber ich bin sicher, es zahlt sich aus“, sagte Beck abschließend. 

Zehn-Punkte-Programm aus Ideen und Forderungen rundet das IHK-Engagement ab

Eine schnelle Qualifikationserfassung wäre ein erster Baustein, um Asylbewerbern mit hoher Bleibeperspektive einen raschen Zugang zum Arbeitsmarkt zu verschaffen, um auch hier rasch sowie bedarfsgerecht weiter zu qualifizieren. „Auch werden wir als IHK viel Zeit in die Information der Flüchtlinge zum Thema duale Ausbildung investieren“, kündigte IHK-Hauptgeschäftsführer Axel Nitschke an. „In anderen Ländern ist die duale Ausbildung nicht bekannt. Ihr Stellenwert muss den Flüchtlingen aber
vermittelt werden, wenn sie hier qualifiziert eine gute Berufs- und Aufstiegschance haben wollen. Sie sollten verstehen, wie wichtig die Investition in Ausbildung für sie ist“, sagte Nitschke. Eine weitere Grundvoraussetzung für gelingende Integration sei laut Nitschke aber die Beschleunigung der Asylverfahren. Das führt zu Planungssicherheit auch bei den Firmen. Weiterhin setzt die IHK auf die Erkenntnis, dass es heute bereits in vielen Berufen einen Fachkräftemangel gibt, und die Erweiterung der Liste der Mangelberufe dazu führen könnte, eine Neueinstellung schneller als bisher vorzunehmen. „Das läuft meist noch viel zu bürokratisch, denn hier muss jede Firma im Einzelfall nachweisen, dass sie keine geeigneten inländischen Bewerber findet. Um potenzielle Mitarbeiter besser kennenzulernen, empfiehlt sich für viele Betriebe ein Praktikum, doch oft steht diesem der Mindestlohn im Weg. „Praktika sollten grundsätzlich sechs Monate vom Mindestlohn ausgenommen werden, das sollte für alle gelten, auch für Flüchtlinge.“ Schließlich sei noch die Zeitarbeit für Flüchtlinge in den Fokus zunehmen. „Uns erschließt sich nicht, warum diese Branche erst nach 15 Monaten zum Einsatz kommen soll. Dabei sind gerade die Zeitarbeitsfirmen sehr gut auf Schulung, Weiterbildung und Vermittlung einer heterogenen Klientel bestens eingestellt“, sagte Nitschke.

Dann will die IHK noch das Thema Existenzgründungberatung für Flüchtlinge in den Vordergrund stellen, „wären da nicht so hohe Hürden“, klagte Nitschke. Für anerkannte Flüchtlinge, die bereits in ihrem Heimatland in einem wesentlichen Umfang selbständig tätig waren, sollten Entscheidungen bzw. die Erlaubnis zur Gründung einfacher und schneller fallen. Die Selbständigkeit könne ein weiterer Mosaikstein sein, um sich rasch in Deutschland eine eigene Existenz aufzubauen. Zum Abschluss stelle Nitschke noch die Idee der Gründung von Transfergesellschaften vor, die sich bereits bei der Integration von Spätaussiedlern in den 90er Jahren bewährt hätten. Das letzte Thema der IHK-Forderungsliste sei der Arbeitsschutz. Der stellt bei der Integration von Flüchtlingen eine weitere hohe Hürde da und könnte mithilfe der gesetzlichen Unfallversicherung zumindest besser verständlich gemacht werden – ohne den wichtigen Schutz zu gefährden. 

Ausblick

„Die Forderungen und Ideen unseres Eckpunktepapiers werden unsere politische Arbeit zum Thema Flüchtlinge prägen und sich auch in unseren künftigen Aktionen widerspiegeln“, sagte Abt. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Flüchtlinge in Ausbildung und Arbeit bringen“ wird die IHK zudem weiter informieren. Bisher nahmen 120 Unternehmer an den Veranstaltungen in Mannheim und Mosbach teil und die Nachfrage ist weiterhin groß. Der nächste Termin am 13. April in Heidelberg ist bereits ausgebucht. Ein Zusatztermin findet  am 12. Mai in der IHK Heidelberg statt. Für das zweite Halbjahr 2016 wird die IHK noch stärker auf die Freiwilligen der Flüchtlingsarbeit zugehen. „Die verschiedenen Asylarbeitskreise und Gruppierungen, die sich mit der Integration von Flüchtlingen beschäftigen, sind für uns wichtige Multiplikatoren, um das duale Ausbildungssystem bekannter zu machen. Das Thema duale Ausbildung werden wir auch in den Integrationskursen der Volkshochschulen und Flüchtlingsklassen der Berufsschulen platzieren, um zu zeigen: Es gibt in Deutschland etwas anderes als Studium und Hilfsarbeiterjobs. Wir haben dazu beispielsweise Flyer auf Arabisch; doch diese dienen nur zur Erstinformation, denn wir machen jedem Interessenten klar: Ohne gute Deutschkenntnisse geht es nicht“, so Abt abschließend.

Weitere Informationen unter www.rhein-neckar.ihk24.de/fluechtlinge.