Mainz – Lärmbelästigung ist ein wesentlicher, international anerkannter Indikator für die Gesundheitswirkung von Lärm. Genervtheit, Ärger, Erschöpfung und Stresssymptome durch Lärm beeinträchtigen auf Dauer Wohlbefinden, Gesundheit und Lebensqualität.
Obwohl anhaltender Stress zu den grundlegenden Ursachen von seelischen Erkrankungen zählt, wurde noch kaum untersucht, wie Lärmbelästigung und psychische Gesundheit zusammenhängen. An einer repräsentativen Stichprobe von cirka 15.000 Teilnehmern aus den Kreisen Mainz und Mainz-Bingen zwischen 35 und 74 Jahren untersuchten Wissenschaftler der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie und der des Zentrums für Kardiologie der Universitätsmedizin Mainz den Zusammenhang von Lärmbelästigung und Angst und Depression einerseits sowie den Beitrag unterschiedlicher Lärmquellen zu der Lärmbelästigung andererseits. Die Studie ergab eine starke Zunahme von Depression und Angst mit steigender Lärmbelästigung. Verglichen mit anderen Lärmquellen wie Straßen,-, Schienen- oder Nachbarschaftslärm stand die Belästigung durch Fluglärm im Vordergrund und betraf immerhin 60% der Bevölkerung. Die Ergebnisse sind nun in der aktuellen Ausgabe der renommierten Fachzeitschrift „PLOSone“ erschienen.
Studienleiter Univ.-Prof. Dr. Manfred Beutel von der Klinik für Psychosomatische Medizin folgert:
„Bei extremer Lärmbelästigung sind Depression und Angst immerhin doppelt so häufig wie bei geringer Lärmbelästigung. Dabei haben wir mögliche Störgrößen wie Alter, Geschlecht und sozialen Status kontrolliert.“
Teilnehmer schätzten im Rahmen der Gutenberg Gesundheitsstudie ein, wie stark sie in den letzten Jahren durch Straßen-, Schienen-, Bau- und Gewerbe-, Nachbarschaftslärm im Haus und außer Haus, sowie Fluglärm belästigt wurden, und zwar bei Tage und beim Schlafen. Depression und Angst wurden mit international gebräuchlichen, standardisierten Fragebögen erfasst. Vergleichbar anderen großangelegten Studien erfüllten immerhin 7.2% der Teilnehmer die Kriterien für eine depressive und 3.4% für eine Angststörung.
Insgesamt waren 27.8% der Teilnehmer, also mehr als jeder vierte in der Region, stark oder extrem durch Lärm belastet.
„Unterscheidet man den Beitrag der verschiedenen Lärmquellen zur Lärmbelästigung, so waren die meisten Menschen durch Fluglärm mehr oder minder stark belästigt. Unter den extrem belästigten Teilnehmern stand Fluglärm mit 62% an erster Stelle, gefolgt von Straßenverkehr mit 18%, Nachbarschaftslärm draußen mit 12%, Bau- und Gewerbelärm und Nachbarschaftslärm im Haus mit je 8% sowie Bahnlärm mit 7%. Dies deckt sich mit den Ergebnissen früherer und auch aktueller Studien, dass Fluglärm verhältnismäßig stark belästigend erlebt wird, gefolgt von Straßen und Schienenlärm.“,
so der Kardiologe Prof. Münzel, Mitautor der Studie.
Einschränkend weisen die Studienleiter darauf hin, dass Lärmbelästigung gemessen wurde und nicht der physikalische Lärm. Da es sich um eine Querschnittsstudie handelt, können keine Aussagen über Ursache-Wirkungszusammenhänge getroffen werden. Prof. Beutel kommentiert:
„Denkbar ist, dass Lärmbelästigung Stress hervorruft, der zu Depression und Angst führt. Es ist aber auch möglich, dass Depression und Angst zu erhöhter Lärmempfindlichkeit führen beziehungsweise dass eine starke Lärmbelästigung eine psychische Erkrankung verschlimmert.“
In jedem Fall unterstreichen die Befunde, dass Lärmbelästigung ein verbreitetes und ernstzunehmendes Gesundheitsproblem ist, das in der wissenschaftlichen wie auch in der öffentlichen Diskussion noch zu wenig beachtet wird. Schließlich zählen psychische Erkrankungen inzwischen nicht nur zu den häufigsten Volkskrankheiten, sie sind auch bei den Krankheitstagen und Frühberentungen an der Spitze.
„Nachdem wir zeigen konnten, dass Lärm das Herz-Kreislaufsystem schädigt, werden wir diese Befunde zum Anlass nehmen, in den weiteren Nachuntersuchungen der Gutenberg Gesundheitsstudie die Zusammenhänge zu Lärmbelästigung und den psychischen Erkrankungen noch genauer zu prüfen. Dies schließt auch die Möglichkeit ein, dass psychische Erkrankungen und psychischer Stress Herz-Kreislauferkrankungen begünstigen,“
so Prof. Münzel.