Frankfurt / Gelnhausen – Senckenberg-Wissenschaftler zeigen in einer groß angelegten Studie, dass Wildkatzen in Deutschland weiter verbreitet sind als bisher vermutet.
Das Forscherteam wertete über 6000 DNA-Proben der scheuen Wildtiere aus und zeigt in einer kürzlich im Fachjournal „Conservation Genetics“ erschienenen Studie, dass die Katzen in weiten Teilen der waldreichen Mittelgebirgsregion Deutschlands nahezu flächendeckend vorkommen. Eine genetische Vermischung mit Hauskatzen konnte nur bei knapp vier Prozent der untersuchten Tiere festgestellt werden. Die Ergebnisse helfen bei der Planung weiterer Schutzmaßnahmen für die scheuen Wildkatzen.
Eine Wildkatze zu beobachten ist angesichts deren scheuen Lebensweise kaum jemandem vergönnt – und dann gilt es auch noch die Tiere von getigerten Hauskatzen zu unterscheiden.
„Die tatsächlichen Wildkatzenbestände in Wäldern zu erfassen ist demnach nicht einfach“,
erklärt Katharina Steyer, Doktorandin am Senckenberg Forschungsinstitut und der Goethe-Universität Frankfurt. Solch eine umfassende, bundesweite Bestandsaufnahme hat sich das Wissenschaftler-Team rund um die Biologin aber in ihrer Studie zum Ziel gesetzt.
„Wir haben über 6000 Proben genetisch untersucht, um herauszufinden in welchen Wäldern Deutschlands tatsächlich Wildkatzen leben“,
erläutert Steyer.
Das überraschende Ergebnis: Wildkatzen sind häufiger und vor allem flächendeckender verbreitet, als noch vor wenigen Jahren angenommen wurde. Insgesamt 2220 Individuen von Felis silvestris konnten aus den DNA-Proben bestimmt werden; lediglich 86 Individuen wurden als Hybridformen zwischen Wild- und Hauskatze identifiziert.
„44 Prozent der von uns bestimmten Wildkatzen-Proben wurden außerhalb des vor Beginn der genetischen Analysen bekannten Verbreitungsgebiets gesammelt“,
ergänzt Steyer. In einer Studie aus dem Jahr 2009 war man noch von einer eher zerfaserten Verbreitung der scheuen Wildtiere ausgegangen.
„Diese Verbreitungskarte konnten wir nun ergänzen“,
sagt Steyer und fährt fort:
„Unsere Analysen deuten darauf hin, dass im zentralen Verbreitungsgebiet, das sich von Nordbayern bis nach Südniedersachsen und von Eifel, Hunsrück und Pfälzerwald im Westen bis zum Thüringer Wald im Osten erstreckt, kaum noch größere Waldgebiete von der Art unbesiedelt sind.“
Im Westerwald, Kellerwald und der Rhön – Gebiete von denen man noch vor 10 Jahren annahm, dass dort keine Wildkatzen dauerhaft leben – konnten klare Hinweise auf reproduzierende Populationen gefunden werden. Auch gänzlich neue Verbreitungsgebiete wie der Kottenforst bei Bonn oder der Arnsberger Wald wurden durch die zahlreichen Proben belegt.
„Ohne die Hilfe von mehr als 100 Projektpartnern und tausenden freiwilligen Helferinnen und Helfer würde es diese Studie nicht geben“,
bedankt sich Steyer. Verschiedenste Institutionen wie Umweltbehörden, Forschungseinrichtungen und Naturschutzorganisationen, allen voran der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), haben die Proben gesammelt. Hierbei kamen in vielen Projekten freiwillige Helfer wie Bürgerwissenschaftler oder Schulen zum Einsatz.
„Nur die Bereitschaft von Bürgern, sich im Rahmen derartiger Citizen Science-Projekte in Forschung und Naturschutz zu engagieren, machen solch umfassende Aussagen zum Status einer bedrohten, derart scheuen Art möglich“,
ergänzt Dr. Carsten Nowak, Leiter des Fachgebiets Naturschutzgenetik am Senckenberg Forschungsinstitut.
Bei der Probennahme wurde überwiegend die „Lockstock-Methode“ eingesetzt – hierzu werden Stöcke mit Baldrian eingerieben und im Wald aufgestellt. Der Baldrian wirkt auf die Wildkatzen wie ein Sexualpheromon: Die Katzen werden angelockt, reiben sich an den Lockstöcken und lassen so an der angerauten Oberfläche Haare zurück, die für genetische Analysen genutzt werden können.
„Unsere Proben stammen größtenteils von solchen Lockstöcken und wurden im Zeitraum 2007 bis 2013, vor allem in der Paarungszeit der Wildkatzen von Januar bis April gesammelt. Weitere Proben stammen von überfahrenen Tieren.“,
fügt Steyer hinzu.
Die Untersuchungen des Erbgutes zeigen, dass sich Haus-und Wildkatzen – trotz ähnlicher Optik – nur sehr selten gemeinsam fortpflanzen:
„Nur bei knapp vier Prozent aller untersuchten Wildkatzen fanden wir Spuren von Hauskatzen-DNA, die von Hybridisierungsereignissen stammt.“
Hybridisierung mit Hauskatzen kommt demnach nur sehr selten vor und bedroht die heimischen Wildkatzen-Bestände nicht.
Trotz des großen Verbreitungsgebietes: die Wildkatze bleibt in Deutschland mit 5.000 – 10.000 Tieren eine seltene Art.
„Unsere Daten fließen immer zeitnah in die offiziellen Verbreitungskarten ein und helfen so, ein effektives Schutzmanagement für die Wildkatze zu etablieren“,
resümiert Steyer.
„Gute Nachrichten sind im Naturschutz ja eigentlich selten, daher sollten wir uns über die erstaunliche Wiederausbreitung dieser faszinierenden Art besonders freuen“.
Laut den Wissenschaftlern haben insbesondere der strenge bundesweite Schutz, ein Umdenken im Waldbau sowie die starken Sturmereignisse in den vergangenen Jahren, die deckungs- und nahrungsreiche Offenlandstrukturen in den ansonsten eher monotonen deutschen Wirtschaftswäldern geschaffen haben, für günstige Bedingungen gesorgt. Ob es sich jedoch in allen Regionen wirklich um eine Ausbreitung handelt, oder die Art mangels geeigneter genetischer Analyseverfahren in der Vergangenheit vielerorts schlichtweg übersehen wurde, bleibt zunächst noch offen.
„Dies wollen wir mit unserem weltweit wohl einmaligen Datensatz zukünftig ergründen. Wir möchten zudem verstehen, wie sich Wildkatzen in unserer Kulturlandschaft fortbewegen und ausbreiten und welche Effekte Barrieren wie Straßen und großräumige Agrarflächen haben“,
gibt Nowak einen Ausblick.