Frankfurt am Main – „Das Naturmuseum Senckenberg in Frankfurt braucht mehr Platz – und startet mit seiner Erweiterung auch inhaltlich in eine neue Ära. Im ‚Neuen Museum‘, das bis 2020 errichtet wird, geht es um mehr als die reine Vermittlung von Wissen“, zeigt sich Feldmann begeistert. Die Arbeit der Forscher und ihre aktuellen Erkenntnisse stehen künftig im Fokus der Ausstellung.
Seit fast 200 Jahren erkunden Senckenberg-Naturforscher von Frankfurt aus die Welt: von der Arktis bis in die Anden und von den Tropen bis zur Tiefsee. Aus nah und fern brachten sie ihre Funde mit in die Mainmetropole. So wuchs die Sammlung im Senckenberg Forschungsinstitut auf mehr als 38 Millionen Objekte, Tendenz steigend. Um diese Schätze angemessen zu präsentieren, wird die Ausstellungsfläche des angegliederten Naturmuseums von 6.000 auf 10.000 Quadratmeter vergrößert. Vor allem ist es aber das inhaltliche Konzept, das das „Neue Senckenbergmuseum“ weltweit einmalig macht: Anstelle der jetzigen Aufteilung vor allem nach Organismengruppen wie Insekten, Säugetiere oder Fische wir es künftig vier große Bereiche geben: Kosmos, Erde, Mensch und Zukunft.
„Auf Basis dieses einzigartigen Konzepts entsteht hier an der Senckenberganlage eines der spannendsten Museen Deutschlands“, betont Frankfurts Oberbürgermeister Peter Feldmann. Während Naturmuseen häufig als etwas angestaubt und buchstäblich unbeweglich gelten, werde bei Senckenberg nun die alltägliche Forschung transparent gemacht.
Riesen-Globus wird Expeditionen darstellen
„Alles, was unsere Wissenschaftler unternehmen, von der Ausgrabung bis zum Tiefsee-Tauchgang, wird für die Besucher nachvollziehbar“, erklärt Museumsleiter Bernd Herkner. Seine Abteilung beschäftige nur etwa zehn Prozent der Senckenberg-Mitarbeiter. Der Rest arbeitet in der Forschung, darunter allein jeweils 200 Wissenschaftler und Doktoranden.
Wo auf dieser Welt die Senckenberg-Forscher gerade aktiv sind, wird im Neuen Museum ein Globus mit sechs Metern Durchmesser verdeutlichen. „Auf diesem Erdball, einem zentralen Element im neuen Lichthof, stellen wir die aktuellen Expeditionen dar“, erläutert Herkner. Eine davon tritt der renommierte Spinnenforscher Peter Jäger in Kürze an: Am 18. Juli reist der Senckenberg-Experte für drei Wochen nach Laos, um bisher unbekannten Achtbeinern auf die Spur zu kommen.
Kunstvoll und nützlich: Sonderschau zum Thema Spinnen
Mehr als 300 Spinnenarten hat Jäger schon wissenschaftlich beschrieben – „entdeckt“ klingt für ihn zu sehr nach Kolonialzeit. In diesem Sommer werden weitere folgen, wenn Jäger mit einem Käfersieb zum zwölften Mal durch die Dschungel und Höhlen des südostasiatischen Landes zieht und alles einsammelt, was ihm interessant erscheint, um es später am Arbeitsplatz mit dem Mikroskop zu analysieren.
Die Arachnologie hat im Forschungsinstitut Senckenberg eine lange Tradition: Seit 1833 wurde hier eine der größten Sammlungen weltweit zusammengetragen. „Wir haben 20 Prozent der bisher beschriebenen 46.000 Spinnenarten, darauf sind wir stolz“, sagt Jäger.
Um die Wissenschaft „raus aus dem Elfenbeinturm“ zu holen – und um die Menschen über Spinnen staunen zu lassen und ihnen die Angst nehmen – hat der Arachnologe nun zum zweiten Mal eine Sonderausstellung zum Thema entwickelt. Die Schau zeigt ab 15. Juli rund 40 lebende Spinnen, eine Installation verdeutlicht die Kunstfertigkeit ihrer Netze, und Makroaufnahmen setzen eindrucksvolle Details der Tiere in Szene. An einer Sommerferien-Station können Kinder die Spinnen unter die Lupe nehmen und sich dabei fast wie die großen Forscher fühlen.
Spaziergang durch Charly Körbels Gehirn
Solche Sonderausstellungen galten bis dato als Mittel der Wahl, um neue Erkenntnisse der Naturforscher im Museum zu vermitteln. „Jetzt möchten wir auch in der Dauerausstellung ganz aktuell sein“, betont Herkner. Mit der Erweiterung werden beispielsweise – auch in der Spinnenabteilung – neue Flatscreens aufgebaut, die den neuesten Stand der Dinge ins Bild setzen. „Diese Schaufenster zur Forschung ziehen sich wie ein roter Faden durch die neue Ausstellung“, so der Museumsleiter.
Doch das ist längst nicht alles: Für den Bereich „Mensch“ konzipiert die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung (SGN) derzeit zusammen mit der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung ein begehbares Modell des menschlichen Gehirns. Wie Ende Juni nach einer Online-Abstimmung entschieden wurde, liefert eine Frankfurter Fußball-Legende hierzu die Vorlage: „Wir freuen uns darüber, dass wir zukünftig durch Karl-Heinz Körbels Gehirn laufen können“, sagt Volker Mosbrugger, Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, die Trägerin des Museums ist.
Geräte zur Meeresforschung, etwa ein Tauchboot, werden ebenso an der Senckenberganlage einziehen wie eine interaktive Grabungsstelle. Angelehnt an die Sonderschau „Safari zum Urmenschen“, verdeutlicht sie mit Hilfe von Touchscreens die Arbeit der Paläoanthropologen in Afrika.
Live-Schaltung erklärt Besuchern die Grube Messel
Auch ganz in der Nähe gibt es Hochspannendes zu entdecken: An der Grube Messel bei Darmstadt, einem UNESCO-Weltnaturerbe, erforscht ein Senckenberg-Team die Fossilien aus dem Eozän. „Messel bietet uns nicht nur einen unvergleichbaren Einblick in die Vergangenheit“, erläutert der Paläontologe Krister Smith. „Unsere Forschung ermöglicht auch Rückschlüsse auf die Gegenwart.“ Als die heutigen Fossilien vor rund 48 Millionen Jahren den Süden Hessens bevölkerten, war es auf der Erde deutlich wärmer als heute, was auch einen intensiveren Wasserkreislauf zur Folge hatte. „Durch den Klimawandel entwickelt sich die Erde wieder auf solche Verhältnisse hin“, verdeutlicht Smith. „Das macht beispielsweise die Vergesellschaftung von damaligen Lebewesen sehr interessant.“
Das neue Konzept bringt nun auch frischen Wind in die etwas angestaubte Messel-Abteilung des Naturmuseums Senckenberg. Sobald das W-Lan steht, wird – voraussichtlich noch in diesem Jahr – die Grabungsstelle vor Ort zu sehen sein. „So können Besucher in Frankfurt nahezu live miterleben, wenn neue Funde ans Tageslicht kommen“, sagt der Paläontologe. Über den Flatscreen werden auch Gespräche mit dem Ausgrabungsteam in der Grube Messel ermöglicht.
„Duft der großen weiten Welt“ – im Blog und im Museum
Aufschlussreiche Zusammentreffen mit den Senckenberg-Experten sind schon jetzt möglich: Bei der Reihe „Science After Work“ können Besucher mit Forschern ein Schweineherz präparieren oder DNA-Spuren der Wildkatze analysieren. Vorträge erhellen die tägliche Arbeit ebenso wie Blogs auf der Homepage des Frankfurter Forschungsinstituts. Im ARCA-Blog berichten derzeit Wissenschaftler von ihrer Expedition in den hohen Norden. Sie schildern, wie sie Proben des Meeresbodens bei Spitzbergen entnehmen, welche Experimente sie in punkto Klimawandel mit Rotalgen veranstalten und was es an Bord der Maria S. Merian zu essen gibt – nämlich fangfrischen Kabeljau.
Dieser „Duft der großen weiten Welt“ wird auch das Neue Museum prägen, davon ist Herkner überzeugt. Er kann sich auch gut vorstellen, dass das Forschungsschiff MS Senckenberg, das demnächst ausgemustert wird, eines Tages in Frankfurt auf der Grünfläche steht und direkt erlebbar wird. Das Vorurteil, verstaubt zu sein, treffe auf Senckenberg schon lange nicht mehr zu: „Unsere Pläne und Programme haben richtig Tempo.“ Wenn die neue Präsentation der fünftgrößten naturhistorischen Sammlung der Welt fertig ist, möchte Senckenberg bis zu 500.000 Besucher im Jahr anlocken. Für die Experten wie Spinnenforscher Jäger gelten die Anstrengungen einem übergeordneten Ziel: „Das ist unser Beitrag dazu, dass die Natur in all ihren Facetten respektiert und anerkannt wird.“
Veranstaltungshinweise
Die Sonderausstellung SPINNEN ist vom 15. Juli 2016 bis 8. Januar 2017 zu sehen. Eine Besichtigung ist nur in Verbindung mit der Dauerausstellung im Naturmuseum Senckenberg möglich.
Fütterungen der Achtbeiner finden immer donnerstags um 15 Uhr statt. Alle weiteren Infos, auch zum Sommerferienprogramm „Das große Krabbeln“, finden sich unter www.senckenberg.de/root/index.php?page_id=5247
Vortrag von Krister Smith, Paläontologe, Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt: Wie wir die biologische Vielfalt der Vergangenheit erforschen – und warum überhaupt? Erläuterungen über die Zeit der Grube Messel im Hörsaal des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums, Georg-Voigt-Straße 14, am Mittwoch, 20. Juli, 19.15 Uhr. Einlass ist ab 18.45 Uhr. Der Eintritt ist frei, eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Weitere Informationen unter www.senckenberg.de.