Mainz / Koblenz – Die Stadt Mainz muss die Kosten für den Besuch zweier Kinder im Waldorfkindergarten Mainz übernehmen, denen sie wegen fehlender Kapazitäten keinen Kindergartenplatz zur Verfügung stellen konnte. Dies entschied das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in Koblenz.
Die berufstätigen Eltern der Kläger, im September 2010 geborene Zwillinge, meldeten diese im Oktober 2011 bei der beklagten Stadt für den Kindergartenbesuch ab dem zweiten Lebensjahr an. Die Vermittlung eines Kindergartenplatzes durch die Beklagte scheiterte wegen fehlender Kapazitäten. Die Eltern meldeten die Kinder daher im Waldorfkindergarten Mainz an, den sie von September 2012 bis August 2013 besuchten. Der Waldorfkindergarten ist eine im Kindertagesstättenbedarfsplan der Beklagten ausgewiesene Einrichtung eines freien Trägers der Jugendhilfe. Nach der Satzung des Waldorfkindergartens e.V. beginnt die Mitgliedschaft der Erziehungsberechtigten in dem Verein mit dem Eintritt des Kindes in eine Einrichtung des Vereins. Die „Beitragsordnung“ des Vereins sieht die Erhebung von Kindergarten-Regelbeiträgen nicht vor, da diese vom Land übernommen würden. Allerdings haben die Eltern als Vereinsmitglieder aufgrund der „Beitragsordnung“ an den Verein „Mitgliedsbeiträge“ zu entrichten.
Die Eltern beantragten bei der Beklagten die Übernahme der Kosten, die durch den Besuch des Waldorfkindergartens entstanden sind. Dazu gehörten auch die an den Waldorfkindergarten zu zahlenden „Mitgliedsbeiträge“. Dies lehnte die Beklagte ab, da der besuchte Waldorfkindergarten vom Land Rheinland-Pfalz sowie durch die Stadt gefördert werde. Der Besuch des Kindergartens sei beitragsfrei im Sinne der Vorschriften des Kindertagesstättengesetzes. Mit dem Besuch einer öffentlich geförderten Kindertagestätte werde somit der gesetzliche Anspruch auf einen beitragsfreien Kindergartenplatz erfüllt. Für die Erhebung zusätzlicher freiwilliger Leistungen könne eine Erstattung nicht anerkannt werden.
Mit der Klage verfolgten die Kläger ihren Anspruch auf Kostenerstattung weiter. Das Verwaltungsgericht gab der Klage statt. Das Oberverwaltungsgericht bestätigte diese Entscheidung und wies die Berufung der Stadt zurück.
Die Kläger hätten einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für den Besuch des Waldorfkindergartens. Nach dem rheinland-pfälzischen Kindertagesstättengesetz hätten Kinder vom vollendeten zweiten Lebensjahr bis zum Schuleintritt Anspruch auf Erziehung, Bildung und Betreuung im Kindergarten, wobei der Besuch des Kindergartens beitragsfrei sei. Das Jugendamt habe zu gewährleisten, dass für jedes Kind rechtzeitig ein Kindergartenplatz in zumutbarer Entfernung zur Verfügung stehe. Werde dieser Anspruch nicht erfüllt, bestehe nach der vom Bundesverwaltungsgericht bestätigten Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts (vgl. dazu Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts Nr. 66/2013) ein Anspruch auf Ersatz der Aufwendungen für einen selbstbeschafften Platz in einem privaten Kindergarten, wenn der Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung über den Bedarf an einem Kindergartenplatz in Kenntnis gesetzt worden sei und die Deckung des Bedarfs keinen zeitlichen Aufschub geduldet habe. Diese Voraussetzungen seien im Fall der Kläger erfüllt. Denn die Beklagte habe den Klägern keine Kindergartenplätze zur Verfügung stellen können und die Kläger selbst hätten nur zwei nicht kostenfreie Plätze im Waldorfkindergarten ausfindig machen können. Aus dem Kindertagesstättengesetz ergebe sich ein Anspruch auf einen kostenfreien Kindergartenplatz, für den die Eltern nichts bezahlen müssen. Dieser Anspruch sei durch den Besuch des Waldorfkindergartens nicht erfüllt worden. Zwar hätten die Eltern der Kläger für den Besuch des Kindergartens als solchen keine Beiträge zu entrichten. Ohne die Zahlung der geforderten „Mitgliedsbeiträge“ hätten sie die Plätze aber nicht erhalten. Insofern sei der Besuch des Waldorfkindergartens nicht kostenfrei. Es könne daher auch keine Rede davon sein, dass die Eltern freiwillig statt Plätze in einem kostenfreien kommunalen Kindergarten Plätze im Waldorfkindergarten – etwa wegen der besonderen Pädagogikausrichtung – gewählt hätten und daher bereit gewesen seien, die vom Beigeladenen dafür verlangten Mitgliedsbeiträge zu bezahlen. Soweit die beklagte Stadt darauf hinweise, dass der Waldorfkindergarten von ihr und vom Land Rheinland-Pfalz bezuschusst werde, ändere dies nichts daran, dass der Waldorfkindergarten e.V. als Träger der freien Jugendhilfe zur Finanzierung des von ihm aufzubringenden Anteils an den Personalkosten sowie der von ihm aufzubringenden Sachkosten Mitgliedsbeiträge erheben müsse.
Urteil vom 1. September 2016, Aktenzeichen: 7 A 10849/15.OVG