Walldorf – Zur Eröffnung der achten Walldorfer Musiktage verwandelte sich das Rathaus erneut in einen Konzertsaal. Im Mittelpunkt der diesjährigen Musiktage steht „Roma Æterna“, die ewige Stadt Rom. Timo Jouko Herrmann, Initiator und künstlerischer Leiter der Musiktage, hatte sich auf Spurensuche durch die Jahrhunderte begeben und ein gut durchdachtes und exquisites Programm zusammengestellt. Abseits des Mainstreams darf sich das Publikum wieder über musikalische Kleinode und Raritäten freuen, die Herrmann speziell für die Musiktage dem Dornröschenschlaf entrissen hat.
Für den Auftakt hatte er Auszüge aus „Giulio Sabino“, einer beispielhaften und heute kaum noch bekannten Römer-Oper von Giuseppe Sarti ausgewählt. Die 1781 uraufgeführte Opera seria ist exemplarisch für die Auseinandersetzung mit römischen Sujets auf der Opernbühne im späten 18. Jahrhundert. Die Handlung um den Rebellen Giulio Sabino spielt im ersten Jahrhundert nach Christus und ist unter anderem von Tacitus überliefert. Das Ensemble Operino, bestehend aus Britta Hofmann-Maneth (Violine), Timo Jouko Herrmann (Violine), Michael Böttcher (Viola), Sven Mühleck (Violoncello) und Wilke Lahmann (Cembalo) ließ zusammen mit der Sängerin Annelie Sophie Müller (Mezzosopran) das dramatische Geschehen lebendig werden. Herrmann versorgte das Publikum mit vielen interessanten Informationen aus Geschichte, Philosophie und Musikgeschichte. So erfuhr das Publikum, dass die Solistin Müller an diesem Abend ausschließlich Männerrollen verkörperte. Dies sei dem Umstand geschuldet, dass fast alle Männerrollen in Sartis Oper für Kastraten geschrieben wurden. Der Vatikan hatte zwar die Kastration von Knaben verboten, aber auch verboten, dass Frauen öffentlich liturgische Gesänge anstimmten. Für viele geistliche Werke waren aber hohe Singstimmen erforderlich, so dass man auf Knabenstimmen zurückgriff und diese dann trotz des Kastrationsverbots „konservierte“. Wer die Tortur überlebte, entwickelte den Körperbau und das Lungenvolumen eines erwachsenen Mannes, während Kehlkopf und Stimmlippen kindlich klein blieben. Bald eroberten sie die Opernbühnen Europas.
Diese grausame Prozedur gehört zum Glück der Vergangenheit an. Die Kastratenrollen werden nun von Frauen übernommen. Annelie Sophie Müller, Ensemblemitglied der Komischen Oper Berlin, gelang das mit Bravour. Zusammen mit dem Ensemble Operino, das auf historischen Instrumenten musizierte, begab sie sich auf eine spannende musikalische Entdeckungsreise. Zunächst hatten die Instrumente das Sagen. Der Marsch e-Moll, der die Atmosphäre des düsteren Gewölbes heraufbeschwört, erklang feierlich und getragen. Wunderbar harmonie rte das Zusammenspiel der fünf Musiker. Hier durfte das Publikum Herrmann nicht nur als Musikhistoriker, sondern auch als hervorragenden Violinisten erleben. Beschwingt erklang die folgende Arie „Da quel di che timirai“ Arminios, des besten Freundes Sabinos. Müller glänzte mit ihrer schönen, warmen Mezzosopranstimme, die mühelos zwischen tiefen Alt- und hohen Sopranlagen changierte. Herrlich wurde die Solo-Kadenz gestaltet. Die Streicher beeindruckten durch ihr frisches und fein differenziertes Spiel. Als stets souveräner Begleiter erwies sich Lahmann am Cembalo. Ausgesprochen lyrisch und heiter erklang das Andante. Die lieblichen Streicherkantilenen harmonierten bestens mit der fein getupften Cembalobegleitung. Sartis Oper unterscheidet sich von anderen ernsten Opern seiner Zeit, bei denen man auf konventionelle, austauschbare Muster stößt. Der Komponist vermeidet dies, indem er für seine Arien unterschiedlichste Formen von der großen Bravourarie bis zum einfachen liedhaften Gesang wählt. Die folgende kurze Arie des Annio, einer Nebenfigur der Oper, zeichnet sich durch ihren menuettartigen und lyrischen Gestus aus. Mit weicher, warmer Stimme sang Müller von süßer Zufriedenheit und vom grausamen Schicksal. Ausgesprochen tänzerisch und fein akzentuiert klangen die Geigenstimmen, weich dahinfließend die Begleitung. Eine musikalische Besonderheit stand nun auf dem Programm. Antonio Salieri komponierte anlässlich der Wiener Aufführung von „Giulio Sabino“ 1785 eine Einlagearie für den Starkastraten Luigi Marchesi. Solche zusätzlichen Arien, die von Kollegen der Opernkomponisten geschrieben wurden, waren damals gang und gäbe und sollten die Virtuosität der Sänger zur Geltung bringen. Salieris Arie bringt die frühromantische Grundstimmung der Handlung, die Sartis Oper auszeichnet, zur Geltung. Das verlassene, dunkle Gewölbe, Nacht und Dunkelheit spielen eine große Rolle. Salieri wählt die klassische Tonart für solche Szenerien, das feierlich-dunkle Es-Dur. Mit der melancholischen Einlagearie „Pensieri funestri“ („Finstere Gedanken, Kommt ach! Nicht wieder!“) sang sich Müller in die Herzen des Publikums. Trefflich meisterte sie die zahlreichen Koloraturen und Phrasen. Ihre Stimme bezauberte in der Höhe durch leuchtende Strahlkraft, in der Tiefe durch kraftvolle, wohlklingende Wärme. Die abschließende Arie „Già mormorar del vento“ („Die Winde brausen schon“) des Arminio ist eine klassische Gleichnisarie im heroischen Stil. Die Naturgewalten werden zu einem Spiegel der menschlichen Empfindungen. Müller hatte üppige Koloraturen und große Sprünge zu meistern, was ihr mühelos gelang. Auch die anspruchsvolle Kadenz glückte vortrefflich. Brillant und mit großer Musizierfreude begleitete das Ensemble Operino. Sängerin und Orchester harmonierten bestens zusammen.
Viel Beifall gab es für diese bezaubernde und informative Auftaktveranstaltung der „Walldorfer Musiktage“. Gerne hätte das begeisterte Publikum, das anschließend zu einem Sektempfang eingeladen war, noch mehr von dieser schönen Musik gehört.