Pirmasens – Wenn die Patienten rund um die Uhr mit unterschiedlich schweren Erkrankungen und Verletzungen in die Zentrale Notaufnahme (ZNA) kommen, muss besonnen und schnell agiert werden. Dabei gilt es insbesondere, die akuten Notfälle zu erkennen und als solche priorisiert zu behandeln. Aber wie lassen sich Unterschiede qualifiziert und nachvollziehbar bemessen? Vor diesem Hintergrund hat das Städtische Krankenhaus Pirmasens jetzt das Manchester-Triage-System (MTS) eingeführt.
Seit Dienstag, 04.10.2016, werden hierüber im laufenden Betrieb der ZNA für neu eintreffende Patienten deren Behandlungsdringlichkeit und -reihenfolge festgelegt. Die Triage (= Sortieren, abgeleitet vom französischen „trier“ für sortieren) nimmt dabei das eigens dafür geschulte Pflegepersonal vor.
Die standardisierte Vorgehensweise über das MTS bietet gegenüber der sonst üblichen Praxis einer rein symptombezogenen Einschätzung auf Basis von Erfahrungswerten gleich mehrere Vorteile; davon profitieren Patienten, Ärzte und Pflegepersonal gleichermaßen. Zentraler Aspekt ist die gesicherte Qualität der Ersteinschätzung: Das MTS ermöglicht nicht nur eine treffsichere, sondern auch eine valide und reliable Bemessung. So genießt der Standard die Anerkennung der einschlägigen Fachgesellschaften, es gibt ausreichend Erfahrungswerte und eine Priorisierung nach MTS würde zudem immer wieder zum gleichen Ergebnis führen, da sie jeweils unabhängig von den Erfahrungswerten der einschätzenden Person durchgeführt wird. Hinzu kommen strukturelle Verbesserungen im Krankenhaus, da über das MTS grundsätzlich auch gleich die folgenden Behandlungen mit angestoßen und damit sowohl personelle als auch räumliche Kapazitäten noch besser eingeplant werden können.
In der Vorbereitungszeit wurden die notwendigen Voraussetzungen geschaffen inklusive der externen Schulung der beteiligten 20 Pflegekräfte und des Aufbaus der notwendigen EDV-Infrastruktur.
„Wir haben uns für die Manchester Triage entschieden, weil sie uns eine direkte Übersicht über die zu versorgenden Patienten und eine sichere Einschätzung der Behandlungspriorität bietet“, erklärt Max-Peter Weber, der als Ärztlicher Leiter der ZNA am Städtischen Krankenhauses Pirmasens die Auswahl und Einführung des MTS maßgeblich mitentschieden hat. „Außerdem bildet sie eine Brücke in die mögliche weitere, stationäre Therapie und hilft bei der Planung der entsprechenden Ressourcen.“
„Bei der Ersteinschätzung nach der Manchester Triage stehen unsere hochqualifizierten Pflegekräfte in vorderster Linie“, betont Erwin Merz, stv. Geschäftsführer, Prokurist und Pflegedirektor am Städtischen Krankenhaus Pirmasens. „Hier kann sich einmal mehr das sehr gut funktionierende und sehr effektive Zusammenspiel von Ärzten und Pflegekräften in unserem Hause beweisen.“
Hintergrund: Ersteinschätzung nach fünf Dringlichkeitsstufen
Die Individualität des Patienten und seines Beschwerdebilds hat eine viel größere Bedeutung für die Behandlungsdringlichkeit als die abschließende Diagnose. Davon ausgehend verzichtet das MTS komplett auf den Einsatz von Diagnosen in jeder Form, also auch auf Marker- oder Verdachtsdiagnosen. Stattdessen wird mit Charts bzw. Diagrammen gearbeitet und die Entscheidung für eine Dringlichkeitsstufe fällt anhand von Indikatoren. Rund 200 Indikatoren sind zur Strukturierung und besseren Benutzbarkeit in 50 Präsentationsdiagrammen zusammengefasst.
Diese beschreiben Beschwerdekomplexe, so gibt es zum Beispiel Präsentationsdiagramme für „abdominelle Schmerzen bei Erwachsenen“, „abdominelle Schmerzen bei Kindern“, „Augenprobleme“, „Kopfverletzungen“, „Kopfschmerzen“ usw. Ferner geht das MTS von Beschwerdebildern und Leitsymptomen aus. Der Patient wird nach Symptomen wie beispielsweise „Lebensgefahr“, „Schmerzen“ und „Blutverlust“ eingestuft und so einer von fünf Dringlichkeitsstufen zugewiesen. Diesen Gruppen sind jeweils maximale Wartezeiten zugeordnet – also die Zeitspanne, nach der ein Patient spätestens Arztkontakt haben soll.
Hintergrund: Wurzeln des MTS liegen in Großbritannien
Das MTS entstand 1994/95 aus der Zusammenarbeit von Ärzten und Pflegekräften der Notaufnahmen von neun Krankenhäusern in Manchester. Das System wurde erstmals 1995 in Manchester eingeführt und fand schnell starke internationale Verbreitung, insbesondere in Großbritannien, auf der Iberischen Halbinsel, in Skandinavien und den Beneluxstaaten. Als erste Anwender in Deutschland werden die städtischen Kliniken in Hamburg (2004) und die Charité als erste Uniklinik (2008) genannt. Heute ist es hierzulande in Krankenhäusern aller Versorgungsstufen und Trägerschaften weit verbreitet. Andere fünfstufige Triagesysteme sind die Australasian Triage Scale (ATS), die Canadian Triage and Acuity Scale (CTAS) sowie der Emergency Severity Index (ESI).