Frankfurt am Main – Ob Madonna, Miley Cyrus oder der deutsche Gangsta-Rap: die Geschlechterbilder in der Musikkultur folgen – trotz aller aufregenden Provokationen – zumeist tradierten Rollenbildern. Teils werden sogar Pornografie, Homophobie und männliche Gewalt idealisiert. Nur wenige Künstler/-innen stellen ein unkonventionelles Geschlechterbild vor. Das zeigt Lea Theurer, Absolventin der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS), in ihrer Bachelor-Arbeit „Geschlechterdarstellungen in der Popmusik und deren Einfluss auf die Geschlechtsidentitätsentwicklung von Kindern und Jugendlichen“ auf. Sie wurde dafür mit dem Henriette-Fürth-Sonderpreis 2016 des Gender- und Frauenforschungszentrums der Hessischen Hochschulen (gFFZ) ausgezeichnet.
Der Sonderpreis wurde in diesem Jahr zusätzlich zum Hauptpreis verliehen, mit dem seit 2004 jährlich herausragende Studienabschlussarbeiten im Feld der Genderforschung prämiert werden; Gewinnerin des diesjährigen Henriette-Fürth-Preises ist Anna Kellermann von der Hochschule RheinMain für eine Studie zur Sozialen Arbeit für lesbische, schwule und bisexuelle Jugendliche.
Theurers Arbeit untersucht vor dem Hintergrund verschiedener aktueller Theoriestränge aus der Frauen- und Geschlechterforschung, der Mediensoziologie sowie der Medienpädagogik die Geschlechterinszenierungen in der Popmusik. Sie hinterfragt, wie diese Inszenierungen auf die Geschlechtsidentitätsentwicklung von Kindern und Jugendlichen wirken. Hierzu arbeitete die Absolventin des Bachelor-Studiengangs „Soziale Arbeit“ typische Figuren des „Doing Gender“, der Darstellung eines Geschlechts, bei verschiedenen aktuellen Ikonen der Pop- und Rap-Musik heraus. Während die Inszenierungen von Madonna, Miley Cyrus und der deutsche Gangsta-Rap letztlich tradierte Geschlechterbilder reproduzierten, fänden sich in der Musikkultur stellenweise auch andere, queere Konzepte. Exemplarisch hierfür stünden Mykki Blanco und Peaches, die stereotype Geschlechterbilder ‚auf den Kopf stellen‘ und musik- und körperästhetisch das realisierten, was die renommierte Geschlechtertheoretikerin Judith Butler als Dekonstruktion von Geschlecht bezeichnete.
Theurer setzt dies in Bezug zu der hohen orientierungsstiftenden Funktion, die Musikstars innehätten. Dabei würden die Stars nicht nur als Vorbilder, sondern auch als Projektionsfläche für Fantasien, für ein Austesten von eigenem Begehren, Identität und bisher nicht ausgefüllten Rollen gesehen. Eine komplette Identifikation mit dem Star fände dabei nur in seltenen Fällen statt; Musikstars dienten meist nur für bestimmte Teile der Identitätsfindung als Blaupause. Die weit überwiegende traditionelle Inszenierung von Geschlechterbildern in der Popmusik führe aber dazu, dass diese als üblich und alltäglich angesehen werden und somit einen prägenden Einfluss auf die Identitätsentwicklung von Kindern und Jugendlichen haben. An die empirische Analyse schließt Theurer Überlegungen für eine geschlechtssensible und aktive Medienarbeit an, die sowohl eine kritische Auseinandersetzung mit Medienbotschaften anregen als auch einen spielerischen Experimentierraum für Doing Gender-Rollenkonzepte ermöglichen sollen. Jugendlichen soll so ermöglicht werden, eigene Strategien für die Konstruktion und Präsentation von Geschlecht zu finden.
Die Arbeit wurde von Prof. Ulrike Pfeifer und Heike Beck vom Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit der Frankfurt UAS betreut. Heike Beck, Lehrkraft für besondere Aufgaben am Fachbereich, war selbst als Absolventin des Fachbereichs Preisträgerin des Henriette-Fürth-Preises 2007. „Die Bachelor-Thesis von Lea Theurer zeichnet sich in besonderem Maße dadurch aus, dass sie ein relevantes – doch in der Sozialen Arbeit weniger beachtetes – Thema bearbeitet und mit innovativem Anspruch für die Praxis fruchtbar macht. Theurer entwickelt ein überzeugendes Plädoyer für mehr Vielfalt, Chancengleichheit und Offenheit hinsichtlich geschlechtlicher Konzepte und Entwicklungen und fordert in der Sozialen Arbeit mehr Genderkompetenzen, politisches Bewusstsein und Konzepte für medienpädagogische Angebote, die alle Formen von geschlechtlicher Identität mit einbeziehen“, lobt Pfeifer.
Der vom gFFZ verliehene Henriette-Fürth-Preis prämiert die besten Bachelor- und Masterarbeiten zur Genderthematik an hessischen Hochschulen für Angewandte Wissenschaften. Die Arbeit muss qualitativ herausragend sein, ein für die Frauen- und Genderforschung relevantes Thema bearbeiten und damit besondere Erkenntnisgewinne liefern. Die mit 500 Euro dotierte Auszeichnung wird seit 2004 jährlich an Studierende der hessischen Hochschulen für Angewandte Wissenschaften vergeben. Ausgewählt wird die Arbeit von einer Jury aus externen Gutachterinnen und Gutachtern. Es wird in der Regel ein Preis vergeben, wenn es jedoch darüber hinaus, eine Arbeit gibt, die ebenfalls außerordentliche Qualität aufweist, hat die Jury die Möglichkeit, einen Sonderpreis zu vergeben. Dieser ist mit 200 Euro dotiert. Namensgeberin des Preises ist Henriette Fürth (1861-1938), die in Gießen als Tochter jüdischer Eltern geboren wurde. Die Publizistin, Sozialpolitikerin und Frauenrechtlerin lebte in Darmstadt und Frankfurt am Main.
Weitere Informationen zum Henriette-Fürth-Preis: www.gffz.de/das-zentrum/henriette-fuerth-preis ; mehr zum gFFZ unter: www.gffz.de.