Heidelberg. Das 65. Internationale Filmfestival Mannheim-Heidelberg ist Geschichte. Hat es auch Geschichte gemacht? Die gesellschaftliche Lebenswirklichkeit hat manchmal auch Einfluss auf eine Veranstaltung, die überwiegend fiktive Geschichten erzählen will.
Am Abend des 15. November 2016, genau zur Halbzeit des Festivals, konnte der Besucher bei scheußlichstem Herbstwetter im Halbdunkel ein kleines Häufchen Demonstranten an der Heidelberger Römerstraße, direkt gegen über der Einfahrt zum Festivalgelände bemerken. Der Polizisten größte Sorge war, dass keiner auf die Straße trat, auf der der Verkehr unbeeindruckt weiterlief. Dem aufmerksamen Beobachter war natürlich im Inneren des Festivalzeltes in den Campbell Barracks in der Heidelberger Südstadt aufgefallen, dass schon vorab viel mehr Sicherheitspersonal als sonst anwesend war – Bei der Demonstration draussen vor der Tür handelte es sich ja um eine angemeldete Veranstaltung.
Während der Premierenvorstellung der irakisch-deutschen Koproduktion „Reseba“ (The Dark Wind) stürmte eine Gruppe der Demonstranten die Bühne und verlangte den Abbruch der Vorführung. Die zahlreich vorhandenen Sicherheitskräfte des Festivals konnten die Situation deeskalieren und begleiteten die 20-30 Protestler aus dem Kino – Die Vorstellung wurde dann nach wenigen Minuten fortgesetzt.
Das Anliegen der Demonstranten ist schwer zu erklären, offenbar gibt es höchst unterschiedliche Ansichten über den Inhalt und Anspruch des Films. Während die Festivalbetreiber davon ausgehen (die Filme werden vorab sorgfältig gesichtet), dass das Werk „ein differenziertes Bild“ (so der Wortlaut in der offiziellen Pressemitteilung) liefert, sind die Gegner, die sich mal „Jesiden“, mal „Eziden“ nennen, gegenteiliger Meinung. Umfangreich ist die aufgelegte Broschüre von „Eziden weltweit“, die zur Demonstration aufgerufen hat, lang ihre Mängelliste des Films. Dass der Film grundsätzlich eine Fiktion ist und weder quantitativ noch qualitativ das leisten kann, was vielleicht ein ausführlicher Dokumentarfilm an Möglichkeiten hat, kam im Bewusstsein der Demonstranten jedoch nicht vor. Direktor Michael Götz sah die Freiheit der Kunst gefährdet.
Das Ganze erinnert ein bisschen an die 1970er Jahre, als auf bundesdeutschen Filmfestivals alles irgendwie politisch war und sehr dogmatisch diskutiert wurde.
Ob der kleine Tumulte eine Episode bleibt, oder ob die große Weltpolitik in Zukunft Einzug ins herbstliche Filmfestival der Rhein-Neckar halten wird, ist ungewiss. Den größeren Eindruck macht der Festival-Ort in der Heidelberger Südstadt, in den sog. Campbell Barracks. Dieser Ort atmet schon an sich Geschichte. Die dort einquartierten US-amerikanischen Soldaten sind schon lange weg, das Gelände liegt brach, die Häuser sind mehr schlecht als recht durch Bauzäune abgeriegelt. Erfolgreiche städtebauliche Konversion sieht anders aus. Das Filmfestival erfüllt den alten Paradeplatz mit neuem Leben, das Gelände wird für die zehn Tage der Veranstaltung deutlich aufgewertet. Das imposante Torhaus, durch das die Zuschauer zum großen Festivalzelt gelangen, wirkt wie ein übergroßer Willkommensgruß und ein Versprechen: Hier gibt es etwas Außergewöhnliches zu sehen und zu erfahren. Und das umfangreiche Programm mit zahllosen Werken, von denen die meisten in Deutschland keinen Kinostart bekommen, erfüllt dieses Versprechen.