Heidelberg: Handschuhsheim hat ein Füllfederhalter-Museum

Thomas Neureither (zweiter von rechts) hat viele der Ausstellungsstücke vor dem Schrottplatz bewahrt und dem Museum zur Verfügung gestellt. Bei der Einweihung zeigt er Oberbürgermeister Dr. Eckart Würzner, dem Ersten Bürgermeister Jürgen Odszuck und dem Stadtteilvereins-Vorsitzendem Gerhard Genthner (von rechts) die Funktion eines Exponates. (Foto: Philipp Rothe)
Thomas Neureither (zweiter von rechts) hat viele der Ausstellungsstücke vor dem Schrottplatz bewahrt und dem Museum zur Verfügung gestellt. Bei der Einweihung zeigt er Oberbürgermeister Dr. Eckart Würzner, dem Ersten Bürgermeister Jürgen Odszuck und dem Stadtteilvereins-Vorsitzendem Gerhard Genthner (von rechts) die Funktion eines Exponates. (Foto: Philipp Rothe)

Heidelberg – Einst gingen sie von Handschuhsheim aus in alle Welt: Füllfederhalter. Zahlreiche Fabriken gab es Ende des 19. Jahrhunderts in der Stadt. Die Firma Kaweco mit Sitz in Handschuhsheim gehörte zur Weltspitze. Um diesen Teil der Heidelberger und vor allem der Handschuhsheimer Geschichte wieder ins Gedächtnis zu rufen, wurde die ehemalige Fahrzeughalle der Freiwilligen Feuerwehr Handschuhsheim im Alten Rathaus zu einem Füllfederhalter-Museum umgebaut. Am Donnerstag, 24. November 2016, wurde es eingeweiht.

„Für die Handschuhsheimerinnen und Handschuhsheimer ist der Füllfederhalter nicht nur ein edles Schreibgerät, sondern auch ein Stück Stadtteilgeschichte“, sagte Oberbürgermeister Dr. Eckart Würzner bei der Eröffnung. Er dankte dem Stadtteilverein für sein großes Engagement und besonders Thomas Neureither. Dessen Vorfahren haben selbst Füllfederhalter hergestellt. Neureither sammelt seit Jahren Füllfederhalter und hat viele der alten Maschinen aus Fabriken vor dem Schrottplatz bewahrt, so dass sie nun ausgestellt werden können.

Der Umbau der ehemaligen Fahrzeughalle hat rund 248.000 Euro gekostet. „Damit alle Bürgerinnen und Bürger das neue Museum besuchen können, haben wir unter anderem für die Verbindung zwischen der Halle und dem Foyer einen Durchbruch gemacht und eine Treppe eingebaut, um den Höhenunterschied zum Alten Rathaus zu überwinden. Und wir haben den Boden aus Sandsteinplatten ausgebaut, gereinigt, und nach dem Einbau der Bodenplatte mit Abdichtung und Dämmung wieder eingebracht“, sagte Jürgen Odszuck, Erster Bürgermeister der Stadt Heidelberg. Außerdem wurde der Putz im unteren Bereich entfernt, so dass das Bruchsteinmauerwerk nun sichtbar ist. Der obere Teil erhielt eine Vorsatzschale aus Gipskarton mit Innendämmung. Die Decke wurde für den Brandschutz abgehängt, die Heizzentrale erneuert. Auch die Leitungen und Elektroinstallation im Bereich der Halle wurden erneuert. Einen barrierefreien Zugang gibt es über das Tor zur Mittleren Kirchgasse.

Betrieben wird das Museum durch den Stadtteilverein Handschuhsheim. Der Vorsitzende, Gerhard Genthner, betont: „Heute ist die Produktion bis auf wenige Ausnahmen weltweit verlagert, aber Anfang des 20. Jahrhunderts war Handschuhsheim das Zentrum der Füllfederhalter-Herstellung. Das wissen nur noch wenige Menschen. Uns als Stadtteilverein ist es wichtig, dass diese Tradition nicht in Vergessenheit gerät.“ Auch für die Ausstattung des Museums ist der Stadtteilverein zuständig. Dafür haben die Mitglieder bisher mehr als 36.000 Euro gesammelt. Die Fahrzeughalle dient einerseits als Ausstellungshalle, anderseits sollen darin auch Seminare zum Thema Schreiben stattfinden. Im Nebenraum befindet sich eine Werkstatt mit Maschinen, an denen gezeigt wird, wie früher aus einem einfachen Rohling ein edles Schreibgerät entstand.

Von Freitag bis Sonntag, 25. bis 27. November 2016, ist das Museum im Alten Rathaus in Handschuhsheim, Dossenheimer Landstraße 5, 69121 Heidelberg, täglich von 11 bis 16 Uhr für die Bürgerinnen und Bürger zum Kennenlernen geöffnet. Künftig wird es jeden zweiten und vierten Sonntag im Monat von 15 bis 17 Uhr oder nach Vereinbarung geöffnet sein.

Hintergrund:

In Heidelberg entstanden seit dem Ende des 19. Jahrhunderts zahlreiche Füllfederhalterfabriken. Die meisten waren kleinere Betriebe, deren Namen heute in Vergessenheit geraten sind. Die Firma Kaweco, die aus der Heidelberger Federhalterfabrik hervorging, wurde im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts zu einer der größten Schreibgerätefabriken des Kontinents. Ab 1899 hatte die Kaweco ihren Sitz in Handschuhsheim. Das Anfang der 20er Jahre errichtete repräsentative Werksgebäude gibt es heute noch in der Handschuhsheimer Landstraße 98. Die Füllfederhalter aus Handschuhsheim wurden weltweit vertrieben und die Firma Kaweco gehörte bei der Qualität und den Absatzzahlen zeitweise zur Weltspitze. Ab Mitte der 20er Jahre begann der Niedergang der Firma Kaweco. 1929 wurde das Konkursverfahren gegen die Firma eröffnet. Das Firmengebäude wurde zwangsversteigert, der weltweit eingeführte Firmenname wurde verkauft.
Schon während der Bestehens der Firma wanderten viele ehemalige Mitarbeiter ab und gründeten eigene kleinere Schreibgeräte-Firmen. Viele Heidelberger und auch vor allem Handschuhsheimer haben Großeltern oder Urgroßeltern, die bei Kaweco oder bei einer der kleineren Firmen gearbeitet haben.

In Heidelberg gibt es heute noch einen großen Schreibgerätehersteller. 1930 gründete C. Josef Lamy die Orthos Füllfederhalter-Fabrik, die heute als C. Josef Lamy GmbH weltbekannt ist.

Das Alte Rathaus in Handschuhsheim wurde 1878 erbaut. Im Erdgeschoss war bis zum Umzug in die Berliner Straße die Freiwillige Feuerwehr Handschuhsheim untergebracht. Der Stadtteilverein Handschuhsheim hatte vorgeschlagen, den Raum als Füllfederhalter-Museum umzubauen und für kleinere Veranstaltungen zur Verfügung zu stellen.