Stuttgart – „Die Unfallbilanz für das vergangene Jahr zeigt nur wenige Lichtblicke. Auf den Straßen in Baden-Württemberg sind deutlich weniger Radfahrende und weniger junge Fahrerinnen und Fahrer tödlich verunglückt. Aber die übrige Entwicklung legt nahe, dass wir bei den Anstrengungen für die Verkehrssicherheit nicht nachlassen dürfen.“
Das sagte Innenminister Reinhold Gall bei der Vorstellung der Verkehrsunfallbilanz für 2015. Die Zahl der Verkehrsunfälle sei gegenüber dem Vorjahr um 4,8 Prozent auf 308.574 gestiegen, die Zahl der Verkehrstoten von 466 auf 483.
Zwar ist das höhere Verkehrsunfallaufkommen insgesamt auf einen deutlichen Anstieg der sogenannten Kleinstunfälle (Verkehrsunfälle, bei denen lediglich Blechschaden entsteht und denen eine geringfügige Ordnungswidrigkeit zugrunde liegt) zurückzuführen (plus 6,2 Prozent auf 177.175). Zugleich wurden aber auch mehr Unfälle mit Personenschaden festgestellt. Hauptunfallursachen bei diesen war erneut überhöhte Geschwindigkeit (mit einem Anteil von 19 Prozent) und mangelnder Sicherheitsabstand (18 Prozent). Raserei war für jeden dritten Unfall mit Schwerverletzten und fast für jeden zweiten tödlichen Unfall verantwortlich.
„Auch wenn Tempo 100 erlaubt ist, kann diese Geschwindigkeit mancherorts, beispielsweise in Kurven, deutlich zu schnell sein“, warnte Innenminister Gall. „Deshalb dürfen wir bei unseren Bemühungen zur Senkung des Geschwindigkeitsniveaus nicht nachlassen. Geschwindigkeitskontrollen bleiben daher richtig und wichtig“, unterstrich er.
Das gelte auch für die Überwachung der Gurtanlegepflicht. Jeder vierte der gurtpflichtigen Verkehrstoten hatten den Sicherheitsgurt nicht ordnungsgemäß angelegt, jeder siebte davon war im Alter zwischen 18 und 24 Jahren. „Den Sicherheitsgurt anzulegen ist für mich schon lange Gewohnheit und gibt mir ein Plus an Sicherheit. Ich kann es mir daher nicht vorstellen, auch nur einen Meter ohne angelegten Gurt zu fahren“, betonte der Minister.
Auch auf Ablenkung seien leider viele Verkehrsunfälle zurückzuführen.
„Die Mediennutzung während der Fahrt kann lebensgefährlich sein. Konzentrieren Sie sich während der Fahrt auf den Verkehr und lassen Sie sich nicht ablenken. Kein Telefonat, keine Nachricht ist so wichtig, dass dafür das eigene Leben oder das anderer aufs Spiel gesetzt werden darf!“, mahnte Minister Gall.
Auch unter diesem Aspekt zu betrachten sei die Entwicklung, dass jeder fünfte Verkehrstote (100 Getötete; 2014: 93) bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam, an dem ein Lkw beteiligt war. 59 dieser 100 Getöteten waren Pkw-Lenker. Die häufigsten Ursachen waren dabei Abkommen in den Gegenverkehr sowie nicht angepasste Geschwindigkeit. Die Mehrzahl dieser tödlichen Verkehrsunfälle (53,7 Prozent) sei durch Pkw-Nutzer verursacht worden. Die Anzahl der dabei getöteten Lkw-Nutzer stieg von 15 auf 18.
Unerfreulich bleibe die Entwicklung bei den Motorradunfällen, auch wenn sie mit 1,8 Prozent nur einen geringen Anteil am Gesamtunfallaufkommen aufwiesen (5.407 Motorradunfälle insgesamt; 2014: 5.313). Bei den schweren Unfällen mit Personenschäden stieg deren Anteil hingegen auf 11,8 Prozent (von 4.280 auf 4.366) stark an. Die Anzahl der getöteten Motorradfahrenden blieb mit 104 (2014: 101) annähernd auf Vorjahresniveau. Damit verunglückte mehr als jeder fünfte Verkehrstote auf einem Motorrad.
Der Innenminister hob in diesem Zusammenhang hervor:
„Neben Verkehrsüberwachung ist Prävention für mich ein wesentlicher Baustein zur Verbesserung der Sicherheit von Motorradfahrerinnen und Motorradfahrern. Uns ist wichtig, dass jeder Biker die Grenzen seiner Maschine und vor allem seine eigenen Grenzen kennt. Wir werden deshalb auch dieses Jahr am 8. Mai gemeinsam mit unseren Partnern den beliebten Bikertag mit Motorradsternfahrt auf der Landesmesse in Stuttgart veranstalten“, kündigte er an.
Eine ähnliche Entwicklung wie bei den Motorradfahrenden sei bei den Radfahrenden festzustellen. Mit 9.693 Verkehrsunfällen (2014: 9.628) lag ihr Anteil am Gesamtunfallaufkommen bei nur gut drei Prozent. Radfahrende seien aber an mehr als jedem fünften Unfall mit Personenschaden beteiligt gewesen (8.421 Personenschadensunfälle; 2014: 8.192). Immerhin sei die Anzahl der getöteten Radfahrenden von 53 auf 42 zurückgegangen. Zwei Drittel der getöteten Radfahrenden (28 von 42) hätten keinen Fahrradhelm getragen.
Deshalb sei für die Zielgruppe der Fahrradfahrenden 2015 unter dem Motto „HELM TRAGEN. VORBILD SEIN!“ eine gemeinsame Kampagne der Verkehrssicherheitsaktion GIB ACHT IM VERKEHR und der Stiftung PSD L(i)ebensWert für die Gruppe der „Best Ager“ gestartet worden.
„Ein Fahrradhelm schützt in jedem Alter, gehen Sie deshalb unseren Kindern mit gutem Beispiel voran“, forderte Gall.
Eher erfreulich sei die Entwicklung bei der Altersgruppe der Jungen Fahrerinnen und Fahrer zwischen 18 und 24 Jahren – mit einem Rückgang der Verkehrstoten von 75 auf 61. Dennoch sei diese Altersgruppe nach wie vor besonders gefährdet. Obwohl diese Altersgruppe nur einen Bevölkerungsanteil von 8,5 Prozent in Baden-Württemberg hat, war sie an 28 Prozent aller Verkehrsunfälle mit Personenschäden beteiligt.
„Um jungen Menschen zu verdeutlichen, dass mit dem eigenen Leben nicht gespielt werden darf, haben wir im November 2015 mit „NO GAME. SICHER FAHREN – SICHER LEBEN“ eine neue Kampagne, maßgeschneidert auf die Zielgruppe der Jungen Fahrer, auf den Weg gebracht“, berichtete Minister Gall.
Diese werde durch die regionalen Polizeipräsidien mit ihren Partnern umgesetzt. Neben standardisierten Fachvorträgen an Beruflichen Schulen zu den Themenschwerpunkten „Geschwindigkeit, Gurt, Alkohol/Drogen und Ablenkung“ gebe es Aktionstage und Langzeitprojekte.
Im Gegensatz zu den Jungen Fahrerinnen und Fahrern hielt die negative Verkehrsunfallentwicklung bei der Altersgruppe der Seniorinnen und Senioren leider auch 2015 an. So stieg die Anzahl der Verkehrsunfälle unter Beteiligung dieser Altersgruppe von 23.800 auf 24.869 (+ 4,5 Prozent). Der Großteil dieser Unfälle (62,1 Prozent) sei von den älteren Menschen selbst verursacht worden. Insgesamt seien 167 Menschen bei einem Seniorenunfall tödlich verunglückt (2014: 160).
„Um dieser Entwicklung entgegen zu wirken, setzen wir auf das bewährte Präventionsprojekt Sicher fit unterwegs“, teilte der Innenminister mit.
Hierbei handle es sich um eine dreiteilige Seminarreihe im Pflichtprogramm der regionalen Polizeipräsidien, bei der den Teilnehmerinnen und Teilnehmern in Abendveranstaltungen die Neuerungen und Änderungen in der Straßenverkehrsordnung, Risiken von Arzneimitteln im Straßenverkehr sowie Hinweise über die verantwortungsvolle Medikamenteneinnahme bei altersbedingten Erkrankungen vermittelt werden. 2015 sei speziell für ältere Radfahrende ein weiterer Baustein zur sicheren Nutzung von Elektrofahrrädern erstellt worden.
Keine Entwarnung gebe es bei den unter Alkoholeinfluss verursachten Verkehrsunfällen. Die Zahl der hierbei getöteten Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer stieg von 33 auf 40. Die Gesamtzahl der Alkoholunfälle sei allerdings von 4.832 auf 4.577 zurückgegangen. Der Innenminister unterstrich:
„Die Überprüfung der Verkehrstüchtigkeit bleibt ein elementarer Bestandteil der polizeilichen Verkehrsüberwachung. Gerade vor diesem Hintergrund kann ich den Beschluss des 54. Deutschen Verkehrsgerichtstages in Goslar, wonach die Zulassung der beweiskräftigen Atemalkoholmessung bei Verkehrsstraftaten abgelehnt wird, nicht nachvollziehen. Wenn anstelle der Blutprobe auch eine Atemalkoholmessung als Beweis bei Verkehrsstraftaten zugelassen würde, wäre das ein geringerer Eingriff für den Beschuldigten und eine deutliche Entlastung für die Polizei“, stellte Minister Gall fest.
Fakten zur Unfalllage in Baden-Württemberg im Jahr 2015
- Jeden Tag wurden durchschnittlich 133 Menschen bei 845 Unfällen verletzt.
- Alle 18 Stunden verlor ein Mensch bei einem Verkehrsunfall sein Leben.
- 42 Prozent der tödlichen Unfälle waren auf die Unfallursache nicht angepasste bzw. überhöhte Geschwindigkeit zurückzuführen.
- 68 Prozent der tödlichen Motorradunfälle waren auf die Unfallursache nicht angepasste bzw. überhöhte Geschwindigkeit zurückzuführen.
- Circa 25 Prozent der getöteten gurtpflichtigen Fahrzeugnutzer hatten den Gurt nicht oder nicht ordnungsgemäß angelegt.