Darmstadt – Der Magistrat der Wissenschaftsstadt Darmstadt hat in seiner jüngsten Sitzung beschlossen, auf den städtischen Waldflächen künftig weniger Holz einschlagen zu lassen: in den kommenden Jahren jeweils nur noch 5848 statt 6726 Festmeter wie ursprünglich vereinbart. Gleichzeitig sollen einem Beschluss der Stadtverordnetenversammlung gemäß FSC-zertifizierte Flächen ausgewiesen werden.
„Damit verfolgen wir gleich mehrere Ziele“, erklärt Grünflächendezernentin Barbara Boczek: „Zum einen wollen wir den Wald noch nachhaltiger bewirtschaften, womit wir einem verbreiteten Wunsch der Bürger und Bürgerinnen nachkommen. Zum zweiten soll der Wald in seiner Eigenschaft als Erholungsraum nicht beschädigt werden. Und drittens ermöglichen wir die wissenschaftliche Beobachtung, um weiterführende Erkenntnisse über die natürliche Widerstandskraft des Waldes zu erhalten.“
Der Stadtwald umfasst eine Betriebsfläche von 1973 Hektar und teilt sich in zwei große Komplexe: zum einen den Ostwald (43 Prozent), in dem Laubbäume dominieren und der einen überwiegend mittelalten und gesunden Bestand aufweist, sowie den Westwald (57 Prozent) hauptsächlich mit Kiefern. Der Westwald ist zerschnitten durch Verkehrsflächen sowie Bebauung und stark destabilisiert. Neben der Wirtschaftsfunktion ist der Stadtwald auch ein intensiv genutzter Erholungswald mit einem ausgedehnten Wegenetz. 170 Hektar des Stadtwaldes stehen unter Naturschutz.
Die Zielsetzungen der Wissenschaftsstadt Darmstadt als Waldbesitzer wurden dem Hessischen Forstamt Darmstadt in der mittelfristigen Zehnjahresplanung („Forsteinrichtung 2013“) für die Bewirtschaftung des Stadtwaldes vorgegeben. Oberste Priorität haben dabei die Erhaltung des Stadtwaldes sowie die Sanierung des Westwaldes. Weitere Ziele sind die Gewährleistung der Schutz- und Erholungsfunktion, die naturnahe Waldbewirtschaftung, stabile Waldbestände, nachhaltige Holznutzung sowie ein möglichst geringer jährlicher Zuschussbetrag. Durch die „Forsteinrichtung“ ist sichergestellt, dass nie mehr Holz eingeschlagen wird als nachwächst. Hier gelten unter anderem Vorgaben des Bundeswaldgesetzes und des Hessischen Waldgesetzes („ordnungsgemäße Forstwirtschaft“). Die zehnjährige Forsteinrichtungsperiode wird in jährliche Waldwirtschaftspläne gegliedert, nach denen die in der Forsteinrichtung festgesetzte Erntemenge auf zehn Jahre verteilt geschlagen werden.
Im Westwald ist geregelte Forstwirtschaft kaum mehr möglich, da hier in einem Jahr oft mehr Holz anfällt als eigentlich vorgesehen; dabei handelt es sich um absterbende oder bereits abgestorbene Bäume, sogenanntes Kalamitätsholz. Im Ostwald dagegen gibt es noch geregelte Forstwirtschaft. Allerdings wird der reguläre Holzeinschlag von der Bevölkerung zunehmend kritisch gesehen. Aus diesem Grund hat das städtische Grünflächenamt gemeinsam mit dem Hessischen Forstamt Darmstadt einen Plan zur Reduktion des Holzeinschlags im Ostwald ausgearbeitet, der von den Vorgaben der Forsteinrichtung abweicht. Hiermit soll dem Wunsch der Bevölkerung nach einer Verringerung des Holzeinschlages im Stadtwald Rechnung getragen werden.
So sollen dem Vorschlag des Grünflächenamts zufolge im gesamten Stadtwald künftig nur noch 5848 Festmeter Holz geschlagen werden statt 6726 Festmeter, wie in der Forsteinrichtung 2013 vorgesehen. Damit würde die Holzernte nur noch 56 Prozent des durchschnittlichen Gesamtzuwachses betragen. Die Verjüngungsfläche reduziert sich um 30,1 Hektar auf 218 Hektar. Das jährliche Defizit im Stadtwald erhöht sich durch die geringere Holzernte von 304 000 Euro (laut Forsteinrichtung 2013) auf künftig 363 000 Euro. Die Mindereinnahmen aus dem Holzverkauf belaufen sich auf etwa 92 000 Euro pro Jahr. Dem gegenüber stehen geringere Kosten für die Waldverjüngung, den Waldschutz (Zaunbau) und die Holzernte in Höhe von rund 33 000 Euro.
Der Darmstädter Stadtwald ist derzeit nicht FSC-zertifiziert. Er verfügt jedoch seit 2002 über eine PEFC-Zertifizierung. Im Juli 2015 beschloss die Stadtverordnetenversammlung, den Stadtwald nach FSC zu zertifizieren. Der Forest Stewardship Council, kurz FSC, ist eine internationale Non-Profit-Organisation; er schuf das erste System zur Zertifizierung nachhaltiger Forstwirtschaft, betreibt es und entwickelt es weiter. Die Standards für eine FSC-Zertifizierung sind gegenüber dem PEFC-Zertifikat deutlich strenger. Die Wissenschaftsstadt Darmstadt verpflichtet sich, mit dieser Zertifizierung ausgewiesene Waldflächen nach den Vorgaben des FSC zu bewirtschaften. Das Leitbild des FSC ist die natürliche Waldgesellschaft. Baumarten, Pflanzen, Tiere und Pilze – alles, was ohne menschlichen Einfluss im Wald vorkommt, bildet dieses System. Diese in Jahrtausenden entstandenen Lebensgemeinschaften sind sehr resistent gegen äußere Einflüsse wie Schnee, Sturm, Feuer oder Klimaveränderungen.
Der FSC hat zehn Prinzipien und 56 Kriterien, die für alle Wälder weltweit gelten. Das sogenannte Voraudit fand im November 2016 statt. Das Grünflächenamt hat nun sogenannte Referenzflächen ausgewählt: die Waldabteilungen 221 und 230 mit insgesamt 16,7 Hektar als Dokumentationsfläche für die Entwicklung im Westwald ohne Sanierung; die Waldabteilung 289 mit 48,2 Hektar als Fläche mit relativ hohem naturschutzfachlichem Potenzial angrenzend an ein Naturschutzgebiet; sowie die Waldabteilung 38 mit zehn Hektar und Teilflächen der der Waldabteilungen 62,63 und 64 mit insgesamt 15,7 Hektar, die sich jeweils in einem FFH-Gebiet befinden und unter hoher Beobachtung der Bevölkerung stehen – betroffen sind also beliebte Waldabschnitte etwa in der Nähe des Waldfriedhofs, hinter dem Böllenfalltor sowie zwischen Steinbrücker Teich und Einsiedel.