Lorsch – Wie sich manche Sachen entwickeln: „Beim ersten Mal kamen wir uns vor wie Handelsvertreter in Sachen Poesie“, erinnern sich Silvia Breier und Gabi Dewald aus dem KULTour-Amt an ihre Hoftor-Tour mit Gedichten unterm Arm. Mittlerweile aber führt man in der Stiftstraße akribisch gepflegte Listen, in die sich Leute eintragen lassen, die sie unbedingt (wieder) haben wollen: Gedichte an ihren Hoftoren. Diese Art „Lyrik to go“, die seit ein paar Jahren immer zwischen April und Juni im Lorscher Stadtgebiet auftaucht, ist inzwischen schwer beliebt.
„Wie der Leseschwarm werden die Hoftorgedichte mittlerweile von anderen Gemeinden nachgeahmt“, freuen sich die unabsichtlichen Trendsetterinnen aus Lorsch. Die Hoftorgedichte sind Teil des städtischen Bienen- und Dichterprojektes und werden immer um den Frühlingsmarkt mit Bienen- und Dichterfest herum in Lorsch aufgehängt.
In diesem Jahr war zum Thema Willkommen um Einsendungen aus der Bürgerschaft gebeten worden. „Wir freuen uns darüber, was die Leute teilweise für lyrische Schätze ausgraben und über die wunderbare Mischung von Gedichten aus unterschiedlichen Jahrhunderten.“ Ebenfalls wird oft Selbstgedichtetes eingereicht. „Nicht alles passt zum Thema, was schade ist. Aber“, weiß das Team vom KULTour-Amt, „die Leute sind sehr enttäuscht, wenn dann grade ihr Gedicht nicht aufgehängt wird.“ In diesem FRühling wurden etwa 80 Hoftore mit Gedichten verziert.
In diesem Jahr haben sich ganz besonders viele Kinder aus der Wingertsbergschule beteiligt. Ihre „Elfchen“ – Kurzgedichte, die ein bestimmtes rhythmisches Schema verfolgen, sich aber nicht reimen müssen – heißen vieles willkommen: Neue Kinder in der Schule, den Frühling, das Hundwelpen, einen neuen kleinen Bruder, den Osterhasen oder auch: Flüchtlinge. „Die Gedichte, die sich mit Geflüchteten in unserer Stadt befassen, ließen wir ins Persische übersetzen, denn wir haben bspw. viele Afghanen in der Stadt, die diese Sprache, aber noch kein Deutsch lesen können“, so KULTour-Amtsleiterin Gabi Dewald. „Wir wollten, dass sie erfahren, was die Kinder denken. Und ihnen mit dieser Geste auch ein Zeichen dafür setzen, dass sie in unserer Stadt willkommen sind.“ Die afghanische Praktikantin übersetzte die Verse, unter anderem auch von einem Erwachsenen.
Mittlerweile hört man, dass eritreischen Geflüchteten bei der Flüchtlingskoordinatorin anfragen, warum keine Gedichte in Tigrinia übersetzt worden seien und dass sie das sehr schade fänden. „Uns freut das: Alle, nicht nur die Deutschen, befassen sich also mit den Hoftorgedichten – wunderbar!“ Kein Wunder: Einfacher kann man Menschen nicht mit Kultur in Berührung bringen als entlang der Wege, die sie täglich gehen.
Für das nächste Jahr hat man schon ein Thema: Glück. „Vielleicht bekommen wir da ja auch mal eine Einreichung in Arabisch, Tigrinia oder Persisch, die wir dann für die Deutschen übersetzen lassen können!“ Eine Liste mit allen Gedichten, die in diesem Jahr noch bis Anfang Juni an den Hoftoren hängen, kann man in der Tourist-Info im Alten Rathaus oder im KULTour-Amt bekommen.
Info-Kasten
Die Hoftorgedichte sind eine Idee und Initiative des KULTour-Amtes Lorsch. Sie sind Teil des städtischen Bienen- und Dichterprojektes und werden immer um den Frühlingsmarkt mit Bienen- und Dichterfest herum in Lorsch aufgehängt. Erstmals tauchten sie 2012 im Stadtraum auf. In diesem Jahr hängen etwa 80 Gedichtblätter überall in Lorsch. Die komplette Gedichteliste liegt in der Tourist-Info im Alten Rathaus oder im KULTour-Amt aus. Wer im nächsten Jahr auch ein Gedicht an sein Hoftor genagelt bekommen möchte, kann sich jederzeit im KULTour-Amt melden. Die nächsten Hoftorgedichte, dann zum Thema Glück, werden ab Februar 2018 gesucht.