Rockenhausen, Frankreich – „Ich finde Gedenkfahrten wie diese wichtig, denn das Vergessen ist eine unserer schlimmsten Krankheiten“, sagte die 18-jährige Lea von der integrierten Gesamtschule Rockenhausen bei der Gedenkfeier in Gurs.
Dorthin, in ein Internierungslager im Südwesten Frankreichs, hatten die Nationalsozialisten rund 75 Jahre zuvor, am 22. Oktober 1940, über 6.500 jüdische Menschen aus der Pfalz, dem Saarland und Baden deportiert. „Wir müssen aufwachen und verhindern, dass sich Ereignisse wie der Holocaust wiederholen“, ergänzte Lea.
38 Jugendliche aus der Pfalz und aus Baden konnten während der Jugendgedenkfahrt, die der Bezirksverband Pfalz im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft zur Unterhaltung und Pflege des Deportiertenfriedhofs Gurs organisierte, unter anderem an der zentralen Gedenkfeier in Gurs teilnehmen und Zeitzeugen treffen. Neben Paul Niedermann, der im Alter von knapp 13 Jahren aus Karlsruhe nach Gurs verschleppt wurde, kam auch Eva Mendelsson nach Gurs, die aus Offenburg deportiert wurde, als sie neun Jahre alt war.
Im gleichen Alter war Margot Wicki-Schwarzschild, als sie mit ihrer Schwester, ihren Eltern und weiteren Familienmitgliedern ihre Heimatstadt Kaiserslautern verlassen musste. Alle drei berichteten von der Grausamkeit, mit der sie aus ihrem Leben in der Heimat gerissen wurden, von den desaströsen hygienischen Bedingungen sowie der schlechten Versorgung im Internierungslager am Fuß der Pyrenäen und dem Verlust von Familienmitgliedern. Zahlreiche Menschen starben bereits in den südfranzösischen Lagern, fast die Hälfte wurde 1942 von hier aus in die Vernichtungslager der Nazis im Osten deportiert und dort ermordet; so auch Richard Schwarzschild, der Vater von Margot Wicki-Schwarzschild.
An den Moment des Abschieds im Lager Rivesaltes erinnert sich Margot Wicki-Schwarzschild noch gut. Ins größte Internierungslager Westeuropas wurden Anfang 1941 zahlreiche Insassen aus Gurs verlegt, vor allem Familien kamen hierher. Hier, wo noch bis 2007 immer wieder unerwünschte Bevölkerungsgruppen interniert oder angesiedelt waren, eröffnete Mitte Oktober das „Mémorial du Camp de Rivesaltes“. Die Schülerinnen und Schüler aus Baden und der Pfalz nutzten die Gelegenheit, den Ort gemeinsam mit der inzwischen 83-jährigen Zeitzeugin zu entdecken, die unermüdlich erzählte.
„Es ist unschätzbar wertvoll, dass wir die Chance hatten, mit Zeitzeugen zu sprechen“,
so Lea. Margot Wicki-Schwarzschild war dankbar, ihre Erlebnisse mit den jungen Leuten teilen zu können:
„Es war toll, mit euch zu arbeiten, ihr wart hellwach und habt gute, intelligente Fragen gestellt“.
Das Lager und die Gedenkstätte von Rivesaltes standen am Ende einer Reise, die die Jugendlichen auch ins Maison d’Izieu geführt hatte. In dem damaligen Waisenhaus für jüdische Kinder im Westen von Lyon ließ Klaus Barbie, auch als „Schlächter von Lyon“ bekannt, am 6. April 1944 eine Razzia durchführen. Alle 44 „Kinder von Izieu“ wurden daraufhin mit ihren Betreuern über Drancy nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Auch in Izieu hinterließen die erschütternden historischen Tatsachen und die einfühlsame wie informative Gedenkstätte tiefe Eindrücke.
Zudem tauschten sich die deutschen Jugendlichen in Workshops in Oloron-Sainte-Marie in der Nähe von Gurs mit Altersgenossen aus Frankreich aus und sahen und diskutierten gemeinsam über den Film „Lueurs de Gurs/Lichtschimmer in Gurs“. Das Filmprojekt setzt sich auf dokumentarische und künstlerische Weise mit den Erfahrungen Paul Niedermanns und den Briefen seiner Mutter Friederike aus dem Lager Gurs auseinander. Jugendliche, die an der Gedenkreise im Jahr 2014 teilgenommen haben, treten im Film als Statisten auf. Alle Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Gurs, so auch der Bezirksverband Pfalz, haben das Projekt finanziell unterstützt.
Der Bezirksverband Pfalz beschäftigt sich seit einigen Jahren intensiv mit dem dunkelsten Kapitel der pfälzischen Geschichte. 2001 bewilligte der Bezirkstag Pfalz einen Zuschuss von 25.000 Euro zur Errichtung einer Gedenkstätte auf dem ehemaligen Lagergelände in Gurs, das nach Kriegsende eingeebnet und mit Bäumen bepflanzt wurde. 2006 trat der Bezirksverband Pfalz der Arbeitsgemeinschaft badischer Städte bei und zahlt nun jährlich einen Zuschuss von 5.000 Euro für die Pflege und Unterhaltung des Friedhofs, auf dem etwa 1.070 deportierte Juden aus Baden und der Pfalz beerdigt sind. Seit 2008 lädt der Regionalverband Jugendliche zu Gedenkfahrten unter anderem nach Gurs ein.