Walldorf – Was bedeutet Revolution im künstlerischen Sinn? Dieser Frage gehen die „Walldorfer Musiktage 2017“ vom 20. September bis 7. Oktober 2017 in fünf Konzerten nach.
Mit dem in Klammern gesetzten „R“ wird aus der Revolution die Evolution, die so manche Revolution in Gang gesetzt hat. Auch dieser will Dr. Timo Jouko Herrmann als künstlerischer Leiter des städtischen Musikfestivals in diesem Jahr nachspüren. „Ich habe die Zwischenwege gesucht, die Bindekräfte zwischen den großen geschichtlichen Eckdaten, die jeder kennt“, so Herrmann. Er habe überlegt, sich im Jahr der Reformation auch musikalisch auf diese zu konzentrieren, doch wäre das Programm dann zu stark konfessionell gebunden gewesen. Als wichtiger Erneuerung und geistiger Evolution widmet sich aber das Abschlusskonzert am 7. Oktober in der Neuapostolischen Kirche Martin Luther. „Wer singt, betet doppelt“ hat das Ensemble „Music for a While“ dieses Konzert genannt. Gemeinsam mit der Sopranistin Antonia Bourvé werden Ulrike Mauerhofer (Blockflöte), Sabine Kreutzberger (Viola da gamba) und Irene Müller-Glasewald (Orgelpositiv) Choräle von Martin Luther in unterschiedlichen Vertonungen seiner Zeit spielen. Das Ensemble wird auch die Weiterbearbeitung reformatorischer Inhalte im Frühbarock zu Gehör bringen. Werke von Heinrich Schütz, Johann Hermann Schein und Samuel Capricornus stehen auf dem Programm. Den Abschluss bilden Werke der barocken Großmeister Johann Sebastian Bach, Georg Friedrich Händel und Georg Philipp Telemann, die von den Luther‘schen Lehren beeinflusst waren. Als idealen Aufführungsort empfindet Herrmann die Neuapostolische Kirche. In der einstigen reformierten Kirche dürfte sich der „genius loci“ an diesem Abend besonders inspirierend entfalten. Vom Ende zum Anfang: Weder ein Komponist noch ein bedeutender Revolutionär stehen im Mittelpunkt des Auftaktabends am 20. September im Rathaus-Atrium. Vielmehr geht es um die Evolution des Geigenbogens, die Mitte des 18. Jahrhunderts eine kleine künstlerische Revolution auslöste. Der Geigen- und Bogenbauer Matthias Kohl erläutert, wie auch dank des Mannheimer Geigers Johann Wilhelm Cramer aus dem barocken Rundbogen der bis heute verwendete lange Geigenbogen wurde. Dieser ermöglichte das Spiel langer Melodien und führte zur Wiener Klassik. Wie sich diese Entwicklung vollzog, wird das Ensemble „Operino“ mit Britta Maneth-Hofmann (Violine), Timo Jouko Herrmann (Violine), Johannes Kasper (Violoncello) und Wilke Lahmann (Cello) auf historischen Instrumenten mit Werken von Mozart, Johann Christian Bach und Antonin Kammel demonstrieren.
Musical und Kunstlied
Nach den Sternen greifen am 23. September die Musiktheater-AG und die Kunst-AG des Walldorfer Gymnasiums in der Astoria-Halle. „Reaching for the Stars“ heißt das Science-Fiction-Musical aus eigener Feder, das das Revolutionieren der Lebensform von Außerirdischen auf die Bühne bringt. „Die Aufführungen des Gymnasiums sind eine tolle Konstante der Musiktage“, freut sich Herrmann, der die „unkomplizierte, zuverlässige und entspannte Zusammenarbeit“ mit den ideenreichen Schülerinnen und Schülern und deren Lehrkräften sehr schätzt. „Himmelsfunken“ entzünden am 26. September der in Walldorf lebende international renommierte Countertenor Franz Vitzthum und Katharina O. Brand aus Wiesloch am Hammerflügel. Dem Duo geht es an diesem Abend in der Laurentiuskapelle um die Evolution des Kunstliedes, in dessen reiche und verzweigte Geschichte sie das Publikum entführen. Von den aphoristischen Vertonungen Mozarts führt die Spurensuche zu der „Revolution im Stillen“, die sich Anfang des 19. Jahrhunderts vollzog. Im häuslichen Rahmen, der nicht bespitzelt wurde, konnte experimentiert werden und das Lied wurde zur Chiffre für Kritik an Politik und Gesellschaft.
Alte Söhne Mannheims
Nicht unbemerkt möchte Timo Jouko Herrmann den 300. Geburtstag von Johann Stamitz, dem Stammvater der weltberühmten „Mannheimer Schule“ vorübergehen lassen. Herrmann bedauert, dass dieses „tolle Jubiläum“ in Mannheim selbst keinen Widerhall gefunden hat. Das Mitte des 18. Jahrhunderts „beste Orchester der Welt“ beeinflusste mit seiner Musikkultur Wolfgang Amadeus Mozart. Vor allem die Instrumentalbehandlung galt als revolutionär. „(R)Evolution an Rhein und Neckar“ ist der Konzertabend am 30. September im Rathaus-Atrium denn auch betitelt. Marja Poppelbaum (Flöte) und Volker Hemken (Bassetthorn) – beide Mitglieder des Gewandhausorchesters Leipzig – und das Ensemble „Operone“ unter Leitung von Timo Herrmann gestalten den Abend mit Werken der Familie Stamitz, von Mozart, Franz Anton Pfeiffer und Peter von Winter. „Wenn wir nur Klarinette in Salzburg hätten“, meinte Mozart damals. Dieses Kompliment würde er auch heute sicher Volker Hemken machen, der laut Herrmann zur „allerersten Riege“ gehöre und dessen Spiel keine Grenzen kenne. Keine kreativen Grenzen gibt es auch bei Walldorfs Kunstbeauftragtem, Hartmuth Schweizer, der wieder das Festivalplakat gestaltet hat. Auf seinem revolutionären Entwurf sind Che Guevara, Luther, der Mai 68, Hammer und Sichel und viele weitere Ikonen diverser umstürzlerischer Bewegungen mit Augenzwinkern vereint.
Der Kartenvorverkauf beginnt am 28. August. Eintrittskarten zum Preis von 15 Euro, ermäßigt 12 Euro, gibt es bei Bücher Dörner in Walldorf und im Rathaus. Der Auftaktabend und das Musical kosten keinen Eintritt. Weitere Informationen:
www.walldorfer-musiktage.de