Mainz – Anna Katharina Hahn wird die Mainzer Stadtschreiberin des Jahres 2018. Hahn, 1970 im schwäbischen Ruit auf den Fildern, Kreis Esslingen, geboren und wohnhaft in Stuttgart, ist die 34. Trägerin des von ZDF, 3sat und der Stadt Mainz vergebenen renommierten Literaturpreises.
Gemeinsam mit dem ZDF wird die Autorin eine Dokumentation nach freier Themenwahl produzieren und die Stadtschreiberwohnung im Mainzer Gutenberg-Museum beziehen. Die Verleihung des mit 12 500 Euro dotierten Preises ist für Februar 2018 geplant.
Mit großartiger Menschen- und Milieukenntnis, mit ihrem ebenso präzisen wie ironischen Sprachwitz ist Anna Katharina Hahn eine durch und durch heutige Autorin. Sie ist die große Erzählerin des jungen Bürgertums ihrer schwäbischen Heimat mit allen seinen Irrungen und Abgründen, so die Jury:
„Sie verbindet die schonungslose Genauigkeit ihrer Beobachtungen mit Verständnis für die rührende Hilflosigkeit und die Selbsttäuschungen ihrer Protagonisten.“
Thematisch und stilistisch greift sie von Buch zu Buch weiter aus: Über den Stadtrand von Stuttgart bis nach Spanien, vom knappen Realismus, über beziehungsreiche Anspielungen auf die Romantik, bis hin zum fast schon surrealen Entwurf der Verschmelzung einer Tochter mit ihrer Mutter und mit deren bewegtem Leben.
Nach dem Abitur studierte Anna Katharina Hahn ab 1990 Germanistik, Anglistik und europäische Ethnologie in Hamburg. Seit den 1990er Jahren veröffentlichte sie zunächst kürzere literarische Arbeiten in Zeitschriften und Anthologien. Es folgten zwei Bände mit Erzählungen („Sommerloch“, 2000, „Kavaliersdelikt“, 2004), ehe ihr mit dem Roman „Kürzere Tage“, der im grün-linken Stuttgarter Bürgertum spielt, im Jahr 2009 der Durchbruch bei der Kritik und bei den Lesern gelingt. Auch ihr nächster Roman „Am schwarzen Berg“ (2012), der das gehobene Bürgertum in Zeiten des Protestes gegen Stuttgart 21 zeigt, war ein großer Erfolg bei Publikum und Kritik. Für ihren jüngsten Roman „Das Kleid meiner Mutter“ (2016), der die junge Generation Spaniens in prekären Verhältnissen schildert, erhielt sie viel Resonanz.
Kulturdezernentin Marianne Grosse begrüßt das Votum der Jury nachdrücklich:
„Anna Katharina Hahn hat gerade mit ihrem Werk ,Kürzere Tage‘ viele Anhänger im Literaturbetrieb gewonnen. Die bittere Geschichte der jungen Mutter Jutta, die sich im bürgerlichen Stuttgarter Milieu von der Studienabbrecherin mit geheimen Sehnsüchten und sexuellen Verwerfungen zur Stilikone und Vorzeige-Mutter im Waldorfschul-Ambiente verbiegt, liest man lustvoll – und zugleich unter mentalen Schmerzen. Jutta mutiert nicht nur zur ,klangvolleren‘ künstlichen Judith – mit dem Namen nimmt sie sich auch eine Rolle ein, in der sie sich selbst kaum mehr erkennt. Ein literarischer Parforceritt, den Hahn auch im Folgewerk „Das Kleid meiner Mutter“ fortsetzt.
,Kürzere Tage‘ lässt die Leserschaft in meilentiefe Abgründe blicken. Hahn ermöglicht den scharfen Blick hinter die edlen Fassaden der vermeintlich heilen Welt, wo sich menschlich kaum noch etwas zusammenfügen mag und Vieles in Scherben liegt. Eine Liebhaberin dieser kunstvollen Skizzen sagte treffend über ihr Werk: ,Hahn röntgt die Gesellschaft.‘ Ich freue mich außerordentlich auf diese Autorin.“
Anna Katharina-Hahn, die auch für das Theater gearbeitet hat, ist vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit
– dem Clemens Brentano-Preis (2005),
– dem Roswitha-Preis (2010),
– dem Heimito von Doderer-Preis (2010) sowie
– dem Wolfgang Koeppen-Literaturpreis (2012).
Hahn wird – wie ihre Vorgänger Abbas Khider, Clemens Meyer, Feridun Zaimoglu und Judith Schalansky – gemeinsam mit dem ZDF eine Dokumentation nach freier Themenwahl produzieren und die – komplett sanierte – Stadtschreiberwohnung im Mainzer Gutenberg-Museum beziehen.
Die Verleihung des mit 12.500 Euro dotierten Preises findet voraussichtlich im März 2018 statt.