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Gemessene Teilchenbahnen über einen Zeitraum von fünf Minuten. Aufgrund der wechselseitigen Anziehung bilden sich „Moleküle“, Aggregate von Teilchen, deren Dynamik und Struktur gut mit den theoretischen Vorhersagen übereinstimmen.Abb./©: Thomas Speck, JGU

Mainz – Was die Fortbewegung von uns Menschen angeht, so gibt es nicht mehr allzu viel Neues zu entdecken: Wir laufen, rennen, gehen, hüpfen, kriechen mitunter auch mal auf allen Vieren – alles bekannt.

Anders dagegen sieht es auf der Mikroskala aus: Teilchen von weniger als einem tausendstel Millimeter Größe, die fein verteilt in einem Trägermedium schwimmen, auch kolloidale Teilchen genannt, ein klassisches Beispiel ist die Milch, haben weitaus weniger Möglichkeiten zur Fortbewegung. Dazu kommt: Es ist bislang nur wenig darüber bekannt, wie solche kolloidalen Teilchen vorwärtskommen.

„Marktschreier“-Teilchen ziehen andere an

Forscher der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) haben nun Licht in dieses Dunkel gebracht. Sie haben mikrometergroße Teilchen entdeckt, die eine spezielle Strömung erzeugen und andere Teilchen über diese anziehen. „Man kann sich diese Teilchen wie Marktschreier vorstellen, die mit ihren Rufen andere Personen auf den Markt locken“, sagt Prof. Dr. Thomas Palberg vom Institut für Physik an der JGU. Der „Ruf“ dieser Teilchen hallt weit. Obwohl sie nur einige Mikrometer groß sind, wirkt ihre Strömung noch in Millimeterabständen – die Reichweite ihrer Strömung übersteigt ihre eigene Größe also um ein Tausendfaches. Das Besondere: Die Forscher haben diese Teilchen nicht nur entdeckt, sondern ihre Anziehung vermessen und quantitativ beschrieben. Anders gesagt: Sie haben das Wechselwirkungspotenzial bestimmt. Auch fanden sie heraus, wie die Teilchen zu Marktschreiern werden, wie sie also die Strömung erzeugen.

„Die Teilchen tauschen ihre Protonen, das sind positiv geladene Wasserstoffionen, gegen Verunreinigungen aus. Dadurch entsteht ein pH-Gradient, die elektrischen Ladungen werden getrennt, die Raumladungszone setzt sich in Bewegung und zieht das umgebende Wasser mit – es entsteht eine Strömung“,

beschreibt Palberg. Den gesamten Prozess der Fortbewegung können die Wissenschaftler rund um Prof. Dr. Thomas Palberg im Computer nachbilden und simulieren. Für ihre Experimente nutzen sie negativ geladene Plastikkügelchen, die in salzarmem oder destilliertem Wasser schwimmen. Diese Kügelchen untersuchen sie mit Videomikroskopie und anderen optischen Methoden.

Teilchen lagern sich in festem Abstand an

Zwar reicht die Anziehung, die die „Marktschreier-Teilchen“ mit ihrer Strömung erzeugen, millimeterweit. Allerdings ist sie nicht überall gleich stark. Es gilt: Teilchen, die sich in der Nähe der Marktschreier befinden, werden stärker angezogen als weit entfernte Partikel. Kommen sie dem Marktschreier jedoch zu nah, schlägt die Anziehung ins Gegenteil um – die Teilchen werden abgestoßen. Das führt dazu, dass die Teilchen sich im Abstand von einem Partikeldurchmesser rund um den Marktschreier anordnen – ähnlich wie Menschen dies beim „Wohlfühlabstand“ auch tun.

Einfaches Modellsystem für weitere Forschungen

Doch wofür lassen sich diese Erkenntnisse nutzen? „Die kolloidale Suspension, die wir entwickelt haben, dient als einfaches Modellsystem. Mit diesem können wir zum einen Computersimulationen überprüfen und validieren, zum anderen Situationen untersuchen, in denen sich das System nicht im Gleichgewicht befindet – also etwa den Transport auf der Mikroskala. Interessant ist das beispielsweise für selbstorganisierende Beschichtungstechniken, wo man genau wissen will, wie sich die Teilchen zur zu beschichtenden Oberfläche hinbewegen. Oder auch für Drug Delivery, bei dem das Medikament über kleine ‚Transporter‘ direkt an die Stelle im Körper gelotst wird, an der es benötigt wird“, erläutert Palberg.