Walldorf – Nicht nur mit einem Paket mit über 9.000 Unterschriften, sondern auch einem Kompromissangebot von Wieslochs Oberbürgermeister Franz Schaidhammer konnte Dr. Johannes Fechner, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW), das Kulturhaus in Wiesloch am 2. September 2015 nach einer Diskussion zur Zukunft des ärztlichen Bereitschaftsdienstes verlassen.
Das Doppelzentrum Wiesloch-Walldorf hatte zu dem Abend eingeladen, an dem die Gegner der Schließung des ärztlichen Bereitschaftsdienstes in Wiesloch dem Vertreter der KV ihre Argumente nochmals mündlich darlegten. Wieslochs Oberbürgermeister Franz Schaidhammer und Walldorfs Bürgermeisterin Christiane Staab hatten der KV nach Bekanntwerden der Schließungspläne zum 1. Juli 2016 einen „Brandbrief“ geschickt. Auch Bürgermeisterkollegen und Politiker, die den Wahlkreis in Bundestag und Landtag vertreten, hatten gegen die Schließung protestiert und wollten Johannes Fechner am 2. September zum Umdenken bewegen. Eine von Wiesloch ausgehende Bürgerinitiative hatte eine Unterschriftenaktion für den Erhalt des Bereitschaftsdienstes initiiert, die es auf 9.475 Unterschriften brachte, die Michael Glaser als Vertreter der Initiative an diesem Abend an Fechner übergab. „Die Empörung in der Bevölkerung ist groß“, meinte Glaser. Fechner zeigte sich von der Anzahl der Unterschriften beeindruckt, ob ihn auch die im Laufe des Abends aufgeführten Argumente für den Erhalt des Bereitschaftsdienstes beeindruckten, glaubten die meisten Anwesenden, zu denen auch Mitglieder der Gemeinderäte von Wiesloch und Walldorf sowie Ärzte und Apothekerinnen und Apotheker zählten, wohl kaum.
Medizinische Versorgung gefährdet
Das Kompromissangebot Schaidhammers beinhaltet, künftig auf den Bereitschaftsdienst in der „Tiefnacht“, das heißt zwischen 22 Uhr und 8 Uhr, zu verzichten. Damit würde sich die Bereitschaftszeit von aktuell 47 Stunden auf 28 reduzieren. Auch die von der KV bemängelte hohe Miete für die Praxis im Kegelbahnweg, die im Jahr 25.000 Euro beträgt, könnte entfallen. Schaidhammer sieht es als realistisch an, die Praxis vielleicht beim Psychiatrischen Zentrum Nordbaden (PZN) unterzubringen. „Diesen Vorschlag nehme ich mit“, versprach Fechner. „Wir haben ernsthafte Sorgen, dass unsere medizinische Versorgung Schaden erleiden wird“, stellte Oberbürgermeister Franz Schaidhammer eingangs fest. Er meinte, dass Wiesloch und die Nachbarschaft durch die Pläne der KVBW, den Bereitschaftsdienst an Krankenhäuser anzudocken, doppelt bestraft würden. Zuerst habe Wiesloch das einst geplante Krankenhaus wegen der Kreisreform nicht erhalten, nun solle der sowieso nur noch auf das Wochenende und Feiertage reduzierte Bereitschaftsdienst an das Schwetzinger Krankenhaus verlagert werden. Etwa 1.700 Patienten im Quartal suchten, so Schaidhammer, den Bereitschaftsdienst in Wiesloch auf. Hinzu kämen rund 170 Hausbesuche in diesem Zeitraum. Im Gegensatz zur Einschätzung der KV empfand er diese Anzahl als „nicht wenig“. Sinsheim und Schwetzingen seien bereits völlig überlastet und man müsse dort sicherlich zusätzliches Personal einstellen, gab Schaidhammer zu bedenken. Er sprach auch die Raumnot in Schwetzingen an, wo letztlich nur dreißig Quadratmeter für den Bereitschaftsdienst zur Verfügung stehen würden. „Der ärztliche Bereitschaftsdienst muss dort sein, wo die Menschen leben!“ forderte Schaidhammer. Dem stimmte auch Walldorfs Erster Beigeordneter Otto Steinmann zu, der auf die eingeschränkte Erreichbarkeit Schwetzingens mit öffentlichen Verkehrsmitteln hinwies. Weder am Wochenende noch an Feiertagen und abends gebe es eine Busverbindung. Gerade ältere Menschen, die nicht im Heim lebten und keinen Anspruch auf einen Fahrdienst hätten, würden benachteiligt. Er widersprach damit den Angaben der KV, die davon ausgeht, dass man von Wiesloch und Walldorf aus den Standort Schwetzingen innerhalb von dreißig Minuten, ja sogar in achtzig Prozent der Fälle innerhalb von zwanzig Minuten erreichen könne. Steinmann befürchtete auch, dass der Notarzt künftig vermehrt gerufen würde, auch in Fällen, in denen dies nicht gerechtfertigt sei. Vom Walldorfer Notarztstandort aus würden im Jahr durchschnittlich 90.000 Kilometer zurückgelegt – eine Zahl, die sich noch steigere. „Wir sollten nichts tun, was den Notarzt von seiner eigentlichen Arbeit abhält“, stellte Steinmann fest und machte auch deutlich, dass man in einer Wachstumsregion lebe, in der in den letzten drei Jahren die Bevölkerung um fünf Prozent zugelegt habe – Flüchtlinge nicht eingerechnet.
Synergieeffekte fraglich
Dr. Johannes Fechner erklärte, dass man in Baden-Württemberg die Zahl der bereitschaftsärztlichen Praxen reduzieren und die Reform durchziehen müsse. Er führte den Nachwuchsmangel, vor allem bei Ärztinnen, als ein Argument für die Neuorientierung des Bereitschaftsdienstes an. Außerdem, so Fechner, könne man durch das Andocken an die Krankenhäuser Synergieeffekte erzielen. Er erklärte, dass es auch künftig sowohl den „Sitzdienst“ als auch den bereitschaftsärztlichen Fahrdienst zu immobilen Patienten geben werde. Dr. Günter Willinger, der als Arzt an der Diskussion teilnahm, kritisierte, dass der Fahrdienst künftig einen viel größeren Einzugsbereich als bisher abdecken müsse und man nach einem solchen Wochenenddienst seine eigene Praxis am Montag nicht öffnen könne, weil man viel zu erschöpft sei. Er machte deutlich, dass die Pläne der KVBW nicht unbedingt auf die Zustimmung der Ärzteschaft stießen, was auch die anderen anwesenden Ärzte bestätigten. Willinger hob hervor, dass sich die Versorgung verschlechtern werde, da dieselbe Anzahl von Ärztinnen und Ärzten im Bereitschaftsdienst doppelt soviele Patientinnen und Patienten behandeln müsse. Eine Apothekerin meinte, dass ein Notdienst am Krankenhaus nicht sinnvoll sei. Man müsse dort sehr lange Wartezeiten von bis zu drei Stunden in Kauf nehmen für die Behandlung von weniger schwerwiegenden Erkrankungen oder das simple Verschreiben eines Medikaments. Dies wisse sie aus vielen Gesprächen mit ihrer Kundschaft. Auf die Frage von Moderator Hans-Dieter Siegfried, ob die Pläne denn am „Reißbrett“ entstanden seien, entgegnete Fechner, dass Praktiker vor Ort dabei gewesen seien und die Notfalldienstkommissionen. Neue Argumente nehme er gerne mit, mache aber „wenig Hoffnung“, dass sich noch etwas ändere. „Wir nehmen der Klinik Arbeit ab“, berichtete ein Kinderarzt, der bereits seit einem Jahr im an eine Kinderklinik angeschlossenen Bereitschaftsdienst Erfahrungen gesammelt hat. Das bringe keinen Vorteil, meinte er, sondern die Arbeitsbelastung habe deutlich zugenommen. Die Kritiker der Reform meinten auch, dass die KV die Kundenorientierung völlig verloren habe. Ärztliche Versorgung müsse nah, gut erreichbar und qualitätvoll sein, was nach der Reform nicht mehr der Fall sei. Unverständnis wurde laut, als Fechner auf die Frage, warum Kirrlach seine Notfallpraxis behalten dürfe, meinte, dass hier andere Fallzahlen vorlägen und die Entfernungen zu Krankenhäusern zu weit seien. Ein Raunen ging auch durch den Saal, als Fechner erklärte, dass man vor allem Personalkosten sparen wolle, dann aber erläuterte, dass man den bisher durch eine Mitarbeiterin in der Notfallpraxis geleisteten Telefondienst an die zentrale DRK-Leitstelle übergeben wolle für rund drei Millionen Euro im Jahr.
„Die Hoffnung stirbt zuletzt“, meinte Oberbürgermeister Franz Schaidhammer und sieht der von Fechner für Ende 2015 avisierten Entscheidung der KV doch noch mit etwas Optimismus entgegen.