Frankfurt am Main – Mit dem Wintersemester 2017/18 setzt die Schauspielabteilung an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main (HfMDK) eine Zäsur: Prof. Dr. Dagmar Borrmann übernimmt für die kommenden drei Jahre als Ausbildungsdirektorin die Leitung des Schauspielstudiengangs an Hessens Hochschule für Musik, Theater und Tanz. Sie vertritt Marion Tiedtke, die für drei Jahre beurlaubt und als stellvertretende Intendantin und Chefdramaturgin ans Schauspiel Frankfurt gewechselt ist.
Der Beruf des Schauspielers hat sich in den vergangenen zehn Jahren enorm verändert: Die Spielweisen haben sich diversifiziert und der Schauspieler ist zunehmend nicht mehr nur „Erfüllungsgehilfe“ eines Regisseurs, sondern als kreativer Partner und selbständiger Künstler gefordert. Zudem ist das Berufsbild insgesamt komplexer geworden, weil der Schauspieler auf der Bühne, im Film und Hörfunk gleichermaßen sein Geld verdienen und seine Fähigkeiten permanent den sich verändernden Bedingungen anpassen muss. Das erfordert Selbständigkeit, Flexibilität und Selbstbewusstsein.
Aufgrund dieser Arbeitssituation hat die HfMDK bereits vor Jahren entscheidende Weichen für eine praxisgerechtere Schauspielausbildung gestellt: u.a. durch eine stärkere Verknüpfung der Ausbildung mit dem zukünftigen Berufsfeld Theater und der Integration der Bereiche Medien und Berufsfeldvermittlung in die Ausbildung. Die ausgezeichneten Vermittlungsergebnisse der Absolventen an professionelle Theater bestätigen den Erfolg der Ausbildung. Ab Wintersemester 2017/18 setzt die Hochschule in Kooperation mit Schauspiel Frankfurt einen kraftvollen neuen Akzent: Der dritte Jahrgang der Schauspielstudierenden wird als „Studiojahr Schauspiel“ in das Ensemble integriert sein und eine Spielzeit lang unter professionellen Bedingungen arbeiten können.
Darum sieht Dagmar Borrmann das Schauspielstudium an der HfMDK sehr gut aufgestellt
Daneben geht sie ihre neue Aufgabe mit konkreten Vorstellungen an: Die professionellen Fähigkeiten, die einem Schauspieler heute zur Verfügung stehen müssen, sind vielfältig und aufgefächert. Das Feld ist fluid, und selbst der noch vor wenigen Jahren gern als Gegensatz herangezogene Unterschied zwischen Stadttheater und Freier Szene existiert so nicht mehr. Es ist Alltag für einen Schauspieler, heute eine psychologisch-realistische Rolle in einem Stück von Tschechow, morgen eine Textfläche von Jelinek und übermorgen einen performativen Abend zu gestalten, in dem er möglicherweise seine eigene Geschichte erzählt.
Diese Öffnung des Theaters stellt auch die Ausbildung vor neue Fragen. Was kann man lehren? Was sollte man lehren? Ist die Vermittlung von Handwerk überhaupt noch ein zeitgemäßes Ziel?
Wie können wir unsere Studierenden auf diese Praxis angemessen vorbereiten, ohne Moden hinterher zu laufen, die möglicherweise schon verflogen sind, wenn die Absolventen die Hochschule verlassen?
Hier setzt Dagmar Borrmann zwei klare Akzente: „das uneingeschränkte Bekenntnis zur Wichtigkeit von Handwerk und mehr Freiraum für die Entwicklung der eigenen Künstlerpersönlichkeit.
Was zunächst wie ein Widerspruch klingt, scheint mir als Zukunftskonzept der Ausbildung unausweichlich, weil es die einzige Strategie ist, die Absolventen auf eine Theaterpraxis vorzubereiten, die wir noch nicht kennen. Einerseits Handwerk als Basis für alle nur möglichen Spielweisen. Und andererseits die größtmögliche Öffnung der Phantasie, der eigenen Kreativität und der künstlerischen Selbstbehauptung. Die Füße auf dem Boden, den Kopf im Wind“.
Dagmar Borrmann ist gebürtige Dresdnerin, studierte in Leipzig Theaterwissenschaft und wurde an der Humboldt-Universität Berlin über das Thema „Theatrale Adaptionen epischer Literatur“ promoviert. 1984 ging sie als Chefdramaturgin ans Thalia Theater Halle und wechselte 1990 ans Schauspiel Leipzig, wo sie zunächst Dramaturgin für Gegenwartsdramatik, später dann Chefdramaturgin und stellvertretende Intendantin war. Das Deutsche Literaturinstitut Leipzig berief sie 2002 zur Gastprofessorin für Szenisches Schreiben. Von 2004 bis 2014 war sie als Chefdramaturgin für Schauspiel am Hessischen Staatstheater Wiesbaden tätig.
Über 120 Inszenierungen, darunter zahlreiche Ur- und Erstaufführungen, begleitete Dagmar Borrmann als Dramaturgin. Sie arbeitete mit den Regisseuren Konstanze Lauterbach, Wolfgang Engel, Herbert Fritsch, Armin Petras, David Mouchtar-Samorai, Dietrich Hilsdorf, Andreas Dresen, Hermann Schmidt-Rahmer, Alexander Lang, Cesare Lievi, Herbert König, Manfred Beilharz, Johanna Schall, Tilman Gersch, Markus Dietz und anderen.
Parallel zu ihrer Theatertätigkeit unterrichtet sie seit Mitte der 90er Jahre im Lehrauftrag an Hochschulen und Universitäten. Von 2006 bis 2014 lehrte Dagmar Borrmann an der Goethe Universität Frankfurt Szenisches Schreiben. Einen Lehrauftrag für Theorie und Theatergeschichte an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst hat sie seit 2007.
Dagmar Borrmann ist Autorin zahlreicher Fachartikel über Dramatik und Theater der Gegenwart. 2014 wurde ihre Bühnenadaption »Spur der Steine« nach dem gleichnamigen Roman von Erik Neutsch in Magdeburg uraufgeführt. 2015 folgte die Uraufführung des Stückes »Kruso« nach dem gleichnamigen Roman von Lutz Seiler. Dagmar Borrmann ist Mitglied der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste.