Mainz – Wer kennt das nicht: Lange Wollfäden verheddern sich schneller, als man hinschauen kann – und auch Ladekabel und Co. neigen dazu, unliebsame Knoten auszubilden. Auch unser Erbgut liegt in langen Strängen vor, die – ginge es nach unserer Alltagserfahrung – ebenfalls zum Verheddern neigen müssten. Bisher war es nicht möglich, dies experimentell zu untersuchen.
Wie Forscher der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) nun herausgefunden haben, könnten Chromosomen tatsächlich verknotet sein.
„Mit mathematischen Algorithmen haben wir die 3-D-Polymermodelle von Chromosomen untersucht, die Kollegen der University of Cambridge aus ihren experimentellen Daten erstellt haben“,
berichtet Dr. Peter Virnau vom Institut für Physik der JGU.
„Bisher konnte die Verknotung von Chromosomen nicht untersucht werden, da die genaue dreidimensionale Struktur nicht vorlag. Aber auf Grundlage der Chromosomenmodelle aus Cambridge können wir jetzt davon ausgehen, dass Chromosomen miteinander verwoben und verknotet sind.“
Basis der Berechnung bildeten die dreidimensionalen Chromosomen-Modelle, die im Frühjahr 2017 veröffentlicht wurde. Die Mainzer Forscher haben diese Modelle an beiden Enden verlängert und miteinander verbunden, denn die mathematische Berechnung von Knoten kann nur an geschlossenen Kurven funktionieren.
„Man kann sich das vorstellen, als fasse man an beiden Enden des Chromosoms an und ziehe sie zusammen“,
verdeutlicht Virnau. Das so erweiterte Modell haben die Forscher mit speziellen mathematischen Algorithmen analysiert.
Das Mainzer Forscherteam geht nun davon aus, dass die Verknüpfungen zwischen Chromosomen im weiteren Zellzyklus aufgelöst werden müssen, dass aber Verknotungen innerhalb eines Chromosoms vielleicht keinen Einfluss auf die Funktion und die Übermittlung von genetischen Informationen haben. Außerdem gibt es bereits bestimmte Proteine mit komplizierten Knoten, was man sich in der Fachwelt lange nicht vorstellen konnte. Und auch die DNA in Viren, die Bakterien angreifen – „Bakteriophagen“ genannt – ist verknotet. Während sich die Knoten in diesen speziellen Proteinen immer an der gleichen Stelle bilden, scheinen sie bei den Viren jedoch eher zufällig verteilt aufzutreten – wie man es im Alltag von langen Fäden kennt. Dr. Peter Virnau vermutet, dass es genauso auch bei den Chromosomen sein könnte.
Noch können die Forscher aus Mainz nicht gesichert sagen, ob ihre Ergebnisse in der vereinfachten Struktur des Polymermodells selbst begründet liegen oder ob sie in der Tat auf die wahre Form von Chromosomen hinweisen. Jedoch liefern die Berechnungen aus Cambridge und Mainz einen ersten Hinweis darauf, dass Chromosomen mitunter verknotet und trotzdem funktional sein könnten.