Wiesbaden – Dass die hessische Landeshauptstadt nicht gerade als Eldorado für Fahrradfahrerinnen und Fahrradfahrer gilt, ist bekannt – der letzte Platz beim ADFC Fahrradklimatest 2014 ist nur ein Beleg dafür.
Bislang gab es keine belastbaren statistischen Informationen darüber wer in Wiesbaden überhaupt betriebsbereite Räder hat, wie häufig sich Wiesbadenerinnen und Wiesbadener mit dem Fahrrad fortbewegen oder auch warum sie nur selten Rad fahren und vor allem wie zufrieden oder unzufrieden sie mit verschiedenen Bedingungen für den Radverkehr sind. Diese Lücke ist im Rahmen der Bürgerumfrage „Leben in Wiesbaden“ geschlossen worden.
In 80 Prozent der Wiesbadener Haushalte gibt es mindestens ein funktionstüchtiges Fahrrad: 20 Prozent haben ein Fahrrad, über 30 Prozent zwei Fahrräder und jeder vierte Haushalt hat sogar drei und mehr Räder im Keller – der Durchschnittshaushalt hat 1,7 Räder. Familien haben – im Schnitt – mehr Räder und Innenstadtbewohner weniger.
Mit dem Fahrradbesitz sind die Voraussetzungen da, sich auch aufs Rad zu setzen; doch lediglich acht Prozent aller Wege legen die Wiesbadener mit dem Fahrrad zurück. Am ehesten wird das Rad für Wege in der Freizeit genutzt. Mehr als jeder zweite Wiesbadener fährt nie Fahrrad. Etwas zugespitzt ausgedrückt: Eine typische Fahrrad-Abstinenzlerin ist eine ältere Frau aus Dotzheim oder Klarenthal, die in einem Einpersonenhaushalt wohnt. Nicht-Fahrradfahrern gilt Wiesbaden wegen der mangelnden Fahrradinfrastruktur als zu gefährlich und wegen der Topographie als zu anstrengend und unbequem. Lediglich ein Viertel der Wiesbadener können als „Vielfahrer“ bezeichnet werden, sie steigen mehrmals im Monat bis täglich aufs Fahrrad. Der typische Fahrrad-Vielfahrer ist ein gut ausgebildeter, mittelalter Mann aus Amöneburg, Kastel oder Kostheim, der zusammen mit seiner Familie lebt.
In der Umfrage „Leben in Wiesbaden“ hatten die Befragten auch die Möglichkeit, verschiedene Aspekte städtischer Lebensqualität zu beurteilen – ein Aspekt betraf allgemein „die Fahrradwege und die Radverkehrssicherheit“. Damit zeigt sich mehr als jeder dritte Befragte unzufrieden und sehr unzufrieden; das ist im Vergleich zu allen anderen Aspekten städtischer Lebensqualität (beispielsweise ärztliche Versorgung, Grünanlagen und Parks, Sauberkeit des Stadtbildes) das schlechteste Urteil. Die Bewohner der Innenstadt, Fahrrad-Vielfahrer sowie gut Qualifizierte sind in ihrem Urteil am negativsten.
Neben dieser generellen Einschätzung zum Thema Radfahren in Wiesbaden konnten Befragte auch verschiedene Bedingungen des Radverkehrs bewerten (Qualität und Sicherheit der Radwege, Ausschilderung, Abstellmöglichkeiten sowie die Rücksichtnahme verschiedener Verkehrsteilnehmer). Dabei wurde die Anzahl der Fahrradwege und die Rücksichtnahme der Verkehrsteilnehmer am negativsten beurteilt (jeweils 42 Prozent und 45 Prozent sind (sehr) unzufrieden). Befragte, die regelmäßig Rad fahren, sind durchweg kritischer mit ihrer Beurteilung. In der Gruppe der „Vielfahrer“ sind Jüngere unzufriedener als Ältere und Familien unzufriedener als Haushalte ohne Kind(er). Auch Innenstadtbewohner beurteilen durchweg alle abgefragten Aspekte negativer als Wiesbadener aus den Vororten.
Zusätzlich zu den Fakten und Einschätzungen zum Radverkehr in Wiesbaden sind in der Umfrage „Leben in Wiesbaden“ auch Fragen zur Verkehrsmittelnutzung und zum PKW-Verkehr gestellt worden. Fast 50 Prozent der Wiesbadenerinnen und Wiesbadener nutzen für ihre Alltagswege das Auto, weitere 30 Prozent Bus und Bahn; 16 Prozent aller Wege werden zu Fuß zurückgelegt. 40- bis 49-Jährige legen 55 Prozent ihrer Wege mit dem Auto zurück, 18- bis 29-Jährige hingegen nur zu 35 Prozent. Familien nutzen das Auto stärker als Einpersonenhaushalte. Biebricher sind die „eifrigsten“ Nutzer öffentlicher Verkehrsmittel. Für Besuche der Innenstadt werden gerne Bus und Bahn genutzt; der Einkauf und der Weg zur Arbeit/Ausbildung werden überwiegend mit dem Auto erledigt.
90 Prozent der Wiesbadener haben in ihrem Haushalt ein Auto zur Verfügung: 55 Prozent einen Pkw und fast 35 Prozent zwei und mehr. Familien und „Gutverdienerhaushalte“ haben eher zwei und mehr Autos, ein Drittel der Einpersonenhaushalte besitzt kein Auto. Die Autos werden zu 48 Prozent auf/in einem/r eigenen Parkplatz/Garage abgestellt, 33 Prozent stehen aber „im öffentlichen Straßenraum“. Fast 20 Prozent mieten für ihren fahrbaren Untersatz einen Parkplatz und geben dafür mehrheitlich zwischen 41 und 80 Euro aus.
Wer an Details interessiert ist, wird im Internet fündig: Die Wiesbadener Stadtanalyse kann unter www.wiesbaden.de/statistik kostenfrei heruntergeladen werden. Dort sind auch die Ergebnisberichte aus der Bürgerumfrage Leben in Wiesbaden 2014 „Wahrnehmung und Bewertung Wiesbadens“, „Politisches Interesse und Bürgerbeteiligung“ sowie „Persönliche Lebenssituation“ abrufbar. Weitere Ergebnisberichte zur Wohnsituation und zum Klima werden in den nächsten Monaten folgen. An der Umfrage hatten sich im Herbst 2014 insgesamt 3022 repräsentativ ausgewählte Bürgerinnen und Bürger beteiligt. Konzipiert und durchgeführt wurde die Studie im Auftrag des Magistrats vom Amt für Strategische Steuerung, Stadtforschung und Statistik.