Mannheim – Die Einstufung Serbiens als sicherer Herkunftsstaat für Asylbewerber ist weder verfassungs- noch unionsrechtlich zu beanstanden. Dies gilt auch für Angehörige des Volks der Roma aus Serbien. Das hat der 6. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (VGH) mit einem Urteil auf Grund mündlicher Verhandlung vom 24. Juni 2015 entschieden und ein Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart (VG) vom 25. März 2014, das eine politische Verfolgung der Roma in Serbien bejaht hatte, geändert.
Der Kläger ist serbischer Staatsangehöriger und gehört dem Volk der Roma an. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Beklagte) lehnte seinen Asylantrag im August 2013 als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft offensichtlich sowie Abschiebungsverbote nach dem Aufenthaltsgesetz nicht vorliegen, und drohte dem Kläger die Abschiebung nach Serbien an. Dagegen erhob der Kläger Klage. Das VG ordnete die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung an und verpflichtete mit Urteil vom 25. März 2014 die Beklagte, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, weil ihm in Serbien eine an seine Rasse anknüpfende Verfolgung drohe. Auf Antrag der Beklagten ließ der VGH die Berufung zu. Während des Berufungsverfahrens trat das Gesetz zur Einstufung weiterer Staaten als sichere Herkunftsstaaten und zur Erleichterung des Arbeitszugangs für Asylbewerber und geduldete Ausländer vom 31. Oktober 2014 in Kraft, wonach die Republik Serbien ein sicherer Herkunftsstaat ist. Der VGH gab der Berufung der Beklagten statt.
Der Kläger habe nach der maßgebenden Sach- und Rechtslage im Zeit-punkt der Berufungsverhandlung keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, weil er aus einem sicheren Herkunftsstaat stamme und die Vermutung, dass ein Asylsuchender aus einem solchen Staat nicht politisch verfolgt werde, nicht widerlegt habe.
Die Einstufung der Republik Serbien als sicherer Herkunftsstaat sei verfassungsgemäß. Der Gesetzgeber habe zahlreiche Erkenntnismittel ausgewertet und bewertet, insbesondere (Lage-)Berichte des Auswärtigen Amtes, eine EASO-Untersuchung zu Asylanträgen aus den westlichen Balkanstaaten vom November 2013 sowie Erkenntnisse lokaler Menschenrechtsgruppen, vor Ort vertretener Nichtregierungsorganisationen und internationaler Organisationen. Zudem habe er die Einstufung Serbiens als sicherer Herkunftsstaat in anderen EU-Staaten und in der Schweiz in den Blick genommen. Im Gesetzgebungsverfahren seien Gutachten mehrerer Sachverständiger eingeholt und in einer öffentlichen Anhörung des Innenausschusses ausführlich erörtert worden. Dieses Vorgehen sei, auch unter dem Gesichtspunkt der Transparenz, verfassungsgemäß.
Der Gesetzgeber habe die von ihm ermittelten Tatsachen auch tragfähig beurteilt. Die dabei zu Grunde gelegten Teilbereiche (Demokratie und Mehrparteiensystem, Rechtsstaatlichkeit und unabhängige Regulierungsbehörden, freie Medien, rechtliche und praktische Gewährung von Menschenrechten, Grundfreiheiten, Minderheiten- und Diskriminierungsschutz unter besonderer Berücksichtigung der Volksgruppe der Roma, wirtschaftliche und soziale Lage, Folgen der Asylantragstellung im Ausland, Stabilität der Verhältnisse) entsprächen den verfassungsrechtlichen Prüfkriterien. Der Gesetzgeber habe vor allem die für Roma schwierige wirtschaftliche, soziale und gesellschaftliche Lage in Serbien berücksichtigt und eigenständig, teils auch abweichend von gutachtlichen Stellungnahmen, bewertet und daraus innerhalb seines Einschätzungs- und Bewertungsspielraums vertretbare Schlussfolgerungen gezogen. Entscheidendes Gewicht habe er dem Bemühen der serbischen Regierung zugemessen, die Lage der Roma durch eine aktive Minderheitenpolitik zu verbessern.
Entgegen der Ansicht des VG seien Roma in Serbien keiner asylerheblichen staatlichen oder quasistaatlichen Verfolgung auf Grund ihrer Volkszugehörigkeit ausgesetzt. Das entspreche gefestigter und nahezu einhel-liger Rechtsprechung. Das VG stütze seine gegenteilige Ansicht lediglich auf die Aussage einer Zeugin in einem anderen Verfahren des VG. Die Angaben der Zeugin würden aber nicht durch Beispielsfälle konkretisiert. Auch wenn es in der Vergangenheit immer wieder eine Reihe zum Teil auch gewalttätiger Übergriffe Dritter auf Roma gegeben habe, die die Polizei nicht immer mit der gebotenen Konsequenz verfolgt habe, sei nach den vorliegenden Erkenntnissen nicht davon auszugehen, dass der serbische Staat zur Schutzgewährung grundsätzlich nicht willens oder nicht in der Lage sei. Auch unter diesen Gesichtspunkten sei die Bestimmung Serbiens als sicheres Herkunftsland nicht zu beanstanden.
Es bestünden auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der serbische Staat in die nach dem Protokoll Nr. 4 zur Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Ausreisefreiheit von Angehörigen der Roma asylrelevant eingreife oder Asylbewerber allein wegen der Stellung eines Asylantrags im Ausland strafrechtlich verfolge und verurteile. Insbesondere gebe es keine Anhaltspunkte für die vom VG nicht weiter begründete Annahme, dass sich insoweit Strafvorschriften speziell gegen Roma richteten und diskriminierend seien. Schließlich sei die Bestimmung Serbiens als sicherer Herkunftsstaat auch im Blick auf die serbischen Ausreise- und Grenzkontrollbestimmungen und ihre Anwendung auf serbische Staatsangehörige, insbesondere Roma, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Eine Unionsrechtswidrigkeit der – auch in zahlreichen anderen EU-Mitgliedstaaten wie Belgien, Frankreich, Luxemburg, Österreich und Großbritannien geltenden – Bestimmung Serbiens als sicherer Herkunftsstaat habe der Kläger nicht geltend gemacht. Dafür sei nach den Maßstäben einschlägiger EU-Richtlinien auch nichts ersichtlich.
Der Kläger habe auch nicht schlüssig und substantiiert Tatsachen vorgetragen oder Beweismittel vorgelegt, die die Annahme begründeten, dass ihm abweichend von der gesetzlichen Vermutung politische Verfolgung drohe. Ihm sei schließlich auch kein subsidiärer Schutz zuzuerkennen. Abschiebungshindernisse oder Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Die Abschiebungsandrohung sei ebenfalls rechtmäßig.
Das Urteil des VGH (Az.: A 6 S 1259/14) ist noch nicht rechtskräftig. Der VGH hat die Revision nicht zugelassen. Diese Entscheidung kann binnen eines Monats nach Zustellung des schriftlichen Urteils durch Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.