Mainz – Wie bewerten die Unternehmen ihren eigenen Wirtschaftsstandort Rheinhessen? Mit einer Umfrage unter Betrieben der gewerblichen Wirtschaft und des Handwerks haben die Industrie- und Handelskammer (IHK) für Rheinhessen und die Handwerkskammer Rheinhessen einen aktuellen Stimmungsstatus erhoben. Ziel der Kammern ist es, den Dialog mit Politik und Verwaltung auf Basis von belastbaren Zahlen zu führen, um die Zukunftsfähigkeit der rheinhessischen Wirtschaft zu sichern.
Die Ergebnisse der Umfrage zeigen: Es gibt viele Bereiche, in denen die Unternehmen vorwiegend zufrieden sind mit ihrem Standort. Mit einer Gesamtnote von 2,33 wird Rheinhessen von der Wirtschaft insgesamt als gut bewertet. Dennoch gibt es Felder, auf denen die Betriebe Optimierungsbedarf sehen.
So weist der Wirtschaftsraum zumindest in Teilen eine stagnierende Entwicklungsdynamik auf. Über alle Teilregionen hinweg haben gut ein Drittel der Unternehmen in den vergangenen fünf Jahren keine relevanten Veränderungen ihres Standortes wahrgenommen. Zugleich fällt auch der Anteil der Unternehmen, die mittelfristig mit keiner Entwicklung ihrer Geschäftstätigkeit rechnen, mit 52 Prozent überproportional hoch aus. Zudem planen 14,4 Prozent in den kommenden fünf Jahren, ihr Unternehmen aufzugeben, zu verlagern und zu verkleinern.
„Mittelfristig könnte Rheinhessen damit in eine Stagnationsfalle geraten, während sich viele andere Regionen wahrnehmbar dynamischer entwickeln“,
stellt der Präsident der IHK für Rheinhessen, Dr. Engelbert J. Günster, fest.
Hans-Jörg-Friese, Präsident der Handwerkskammer, fordert:
„Das Handwerk braucht Rahmenbedingungen, in denen es sich optimal entwickeln kann. Dies ist zum einen Verlässlichkeit und Planbarkeit – etwa wenn es um die Vorhersage von Baustellen oder Einschränkungen vor Ort geht. Zum anderen braucht es ein Umfeld, das sich ebenso sehr an moderne Herausforderungen anpasst, wie es die Betriebe auch tun müssen. Hier sind die Stichworte etwa eine gut ausgebaute und verlässliche Kinderbetreuung vor Ort oder ein funktionierendes und schnelles Internet in ganz Rheinhessen.“
Als besonders vorteilhaft dagegen bewerten die befragen Unternehmerinnen und Unternehmer die weichen Standortfaktoren. So geben 26 Prozent an, dass sie sehr zufrieden mit der allgemeinen Lebens- und Aufenthaltsqualität sind. Dies stellt mit Abstand die beste Bewertung unter den insgesamt 31 abgefragten Standortfaktoren dar. Wenngleich die Lebensqualität laut Umfrage eine ausgewiesene Stärke ist, sehen die Kammern in diesem Standortfaktor nicht genügend Potenzial zur weiteren Stärkung der Wirtschaft. So meint IHK-Hauptgeschäftsführer Günter Jertz:
„Gerade im interregionalen Wettbewerb braucht der Wirtschaftsraum ein starkes Profil, um sich auf Dauer erfolgreich positionieren zu können – damit Unternehmen sich ansiedeln, investieren und auch Fachkräfte für die Region gewinnen. Anja Obermann, Hauptgeschäftsführerin der Handwerkskammer Rheinhessen, meint: „Die Konkurrenz schläft nicht, das weiß jedes Unternehmen und jeder Unternehmer. Das gilt aber auch für Standorte. Die Akteure in Rheinhessen müssen sich zukünftig noch mehr anstrengen, um diesen Standort auch weiterhin so auszubauen, dass er für Betriebe und für die Bevölkerung in Rheinhessen attraktiv ist. Alle müssen gemeinsam anpacken.“
Aus den Ergebnissen ihrer Umfrage formulieren die beiden rheinhessischen Wirtschaftskammern einen besonderen Handlungsbedarf in zwei Bereichen:
Breitbandausbau: Die Breitbandanbindung ist über alle Regionen der Standortfaktor mit der höchsten Relevanz (für 87 Prozent der Unternehmen) – allerdings auch mit dem höchsten Grad an Unzufriedenheit (für 40 Prozent).
„Die Versorgung der Gewerbegebiete muss flächendeckend Vorrang beim weiteren Ausbau erhalten“,
fordert IHK-Hauptgeschäftsführer Günter Jertz.
„Was die Region braucht, ist ein systematischer Umstieg auf ein Glasfasernetz. Dafür müssen bereits heute durch entsprechende Planungen die Grundlagen gelegt werden.“
Fachkräftesicherung: Das Thema „Fachkräfte“ genießt für 60,6 Prozent der Unternehmen hohe Priorität. Unzufrieden mit der Verfügbarkeit von geeignetem Personal am Standort sind aber mehr als ein Viertel (26,5 Prozent der Unternehmen). Zugleich stufen nur 24 Prozent der Befragten das Bildungsangebot an den Berufsbildenden Schulen als zufriedenstellend ein. Anja Obermann, Hauptgeschäftsführerin der Handwerkskammer Rheinhessen, schildert, dass in den kommenden Jahren viele Arbeitnehmer altersbedingt aus dem Erwerbsleben ausscheiden und nur wenige Jugendliche nachrücken. Sie fordert mehr Investitionen: „Qualität, Attraktivität und Wertigkeit der beruflichen Bildung müssen gesichert und gestärkt werden.“
„Die Auswertung der Standortumfrage hat ergeben, dass die Unternehmen im Landkreis Mainz-Bingen mit ihrem Standort sehr zufrieden sind und ein hoher Anteil diesen wieder wählen würde“
resümiert Landrätin Dorothea Schäfer.
„Erfreulich ist auch, dass viele Betriebe im Landkreis für die nächsten fünf Jahre Erweiterungen planen“
so Schäfer. Das für die Betriebe wichtigste Thema „Breitbandausbau“ hat Mainz-Bingen bereits aufgegriffen.
„Mit Hilfe von Bundes- und Landesfördermitteln will der Landkreis mehr als 17 Millionen EUR in die Nachrüstung der weißen Flecken stecken und hat dazu die entsprechenden Mittel im Haushalt vorgesehen“
erläutert Schäfer weiter.
„Weitere Zukunftsaufgaben für den Landkreis sind der Ausbau der Wirtschaftsförderung sowie die Intensivierung der Kooperationen in Rheinhessen im Bereich des Standortmarketings. Auch hat der Kreistag bereits eine Bestands- und Bedarfsanalyse zum Mietwohnungsbau auf den Weg gebracht“
so Schäfer.
Der Landrat des Landkreises Alzey-Worms, Ernst-Walter Görisch, stellt fest:
„Die aktuellen Daten und Fakten der Wirtschaft belegen, dass in den vergangenen Jahren in Rheinhessen für die Wirtschaft ein positives, förderliches Umfeld geschaffen werden konnte. Dem Landkreis Alzey-Worms war es wichtig durch bauliche Maßnahmen in die Infrastruktur und in Kitas, Schulen und soziale Einrichtungen sowohl in die sog. harten als auch in die weichen Standortfaktoren zu investieren.“
Die Ansiedlung von Unternehmen und die Bestandspflege der ansässigen Betriebe hat hohe Priorität in der Politik des Kreises. In 2018 werden rund 8,5 Millionen EUR mittels Unterstützung des Bundes und des Landes in den Breitbandausbau fließen; wobei ein besonderes Augenmerk auf den Gewerbeflächen liegt. Für Landrat Ernst Walter Görisch ist ein weiterer Ausbau der Kooperation der Akteure der Wirtschaft das Gebot der Stunde.
Für den Vorsitzenden des Vorstandes von Rheinhessen Marketing e.V., Peter E. Eckes, zeigt die Umfrage der Kammern, dass Rheinhessen als Wirtschaftsstandort und auch als Wohn- und Freizeit-Region auf dem richtigen Weg ist:
„Wir haben viele und eindeutige Stärken. Schwachstellen, insbesondere bei der Infrastruktur, werden deutlicher und fordern zum Handeln auf. Insgesamt also bekommen wir wichtige Denkanstöße für die Zukunft. Insgesamt versteht sich Rheinhessen als eine der Erfolgsregionen in Deutschland – und darüber hinaus als ein sympathisches Stück Rhein-Main. Die Initialzündung für mehr Bewusstsein und Realitätsbezug fand im Jubiläumsjahr 2016 statt. Wir Rheinhessen haben unsere Region wachgeküsst. Unser Anliegen ist es, dass auch die Wirtschaft einen Nutzen davon hat.“
Günter Reichart, Mitglied des Vorstands der EWR AG, sagte, das seit über 100 Jahren in Rheinhessen verankerte Energieunternehmen investiere bewusst in den Ausbau erneuerbarer Energien, in intelligente Stromnetze, Breitbandversorgung und E-Mobilität:
„So stärken wir die Wirtschaftskraft des ländlichen Raums, schaffen wir die Voraussetzung für neue Unternehmensansiedlungen und machen Rheinhessen noch lebenswerter.“