Frankfurt am Main – In diesen Sommerferien wird den Frankfurtern die Bedeutung ihres innerstädtischen Tunnelsystems mal wieder vor Augen geführt. Die Bahn erneuert ihr in die Jahre gekommenes Stellwerk.
Fünf Wochen lang gelten Sonderfahrpläne, müssen die Pendler ausweichen. Ein echter Härtetest, denn durch den S-Bahn-Tunnel verkehren selbst an den frequenzärmsten Tagen des Jahres 100.000 Menschen täglich. Nicht auszudenken, was wäre, wenn es die U-Bahn nicht gäbe.
Frankfurt als Vorreiter
Mittendrin im unterirdischen Geflecht aus S- und U-Bahn-Linien liegt die Hauptwache, Frankfurts zentraler Umsteigepunkt. Hier verkehren zu normalen Zeiten acht der neun S-Bahn-Linien, die das Rhein-Main-Gebiet von Ost nach West und von Nord nach Süd erschließen, sowie sechs der neun Frankfurter U-Bahn-Linien. Ausgerechnet wenn in den Ferien nun die S-Bahnen gekappt werden, jährt sich der Beginn der Untertunnelung dieses Frankfurter Nadelöhrs zum 50. Mal. Am 5. August 1965 wurde der erste Rammschlag an der Hauptwache zum Bau der Frankfurter U-Bahn feierlich begangen.
Der heute 88-jährige Winfried Boss war damals im eigens geschaffenen Stadtbahnbauamt zuständig für die Unterrichtung der Öffentlichkeit.
„Es waren zwar nicht ganz so viele Leute da wie beim ersten Abschnitt der A-Strecke an der Miquel/Adickesallee zwei Jahre früher. Die Stadtspitze mit Oberbürgermeister Willi Brundert und Verkehrsdezernent Walter Möller war aber vertreten, ebenso Hessens Ministerpräsident Georg-August Zinn.“
Der Rammschlag war der Auftakt zu einer 28-monatigen Großbaustelle, deren Entwicklung Boss fotografisch dokumentierte. Auch Vertreter anderer Stadtverwaltungen führte er dort herum.
Gewaltige Investitionen
Tatsächlich hatten zu diesem Zeitpunkt nur zwei deutsche Metropolen eine unterirdisch verlaufende Bahn: Berlin und Hamburg. Der stark anschwellende Autoverkehr brachte damals viele Städte ins Grübeln.
„Es gab riesige Diskussionen im Städtetag“, erzählt Boss.
Weithin herrschte die Überzeugung vor, dass eine U-Bahn nur in Städten ab einer Million Einwohner sinnvoll betrieben werden könne. Natürlich schreckte diese gewaltige Investition auch ab. Trotzdem traf die Frankfurter Stadtpolitik nach langen und emotionalen Debatten 1961 die Entscheidung zum Bau. Zu offensichtlich waren die Verkehrsprobleme in der Innenstadt.
Lange war allerdings nicht klar, was für eine Art von Bahn es werden sollte.
„Die erste Überlegung war, einfach die Straßenbahn unter das Pflaster zu verlegen“, so Boss.
Neben der Stadtbahn, die in der City unter der Erde, aber außerhalb des Zentrums wieder mit dem Straßenbahnnetz verknüpft werden sollte, wurde eine noch ganz andere Variante diskutiert: Eine Hochbahn, die auf nur einer Schiene fahren sollte. Der Skytrain, der am Flughafen die beiden Terminals verbindet, erinnert daran. Wäre diese sogenannte ALWEG-Bahn (benannt nach dem schwedischen Ingenieur Axel Lennart Wenner-Gren) realisiert worden – es gäbe heute in Frankfurt Stationen in luftiger Höhe. Doch so attraktiv und kostengünstig es anfangs schien, sie fand nach einer misslungenen Probefahrt keine Unterstützung mehr. Man entschied sich für die Stadtbahn.
Wie ein Dombau
Die anschließende Untertunnelung der Innenstadt und der Bau der U-Bahn, die offiziell bis heute Stadtbahn heißt, ist die in der Summe wohl größte Investition der Mainmetropole im vergangenen Jahrhundert. Am ehesten vergleichbar mit dem Bau der Kanalisation im 19. Jahrhundert, schätzt Boss.
„Heute würde sich im Stadtparlament wahrscheinlich keiner mehr finden, der da zustimmt“, glaubt er.
Der damalige Oberbürgermeister Brundert sprach schon damals von einer Leistung, die mit dem Dombau vergleichbar sei. Tatsächlich wurde wie auch beim Dombau die Arbeit zwischenzeitlich unterbrochen, weil kein Geld mehr da war. Das war zum Beispiel 1966 so.
"Einen Kassensturz für den Bau der U-Bahn-Bau hat es in Frankfurt nie gegeben. Wo will man auch die Grenzen ziehen? Die U-Bahn ist kein Tunnel, sondern ein System",
sagt Frank Nagel, erster Vorsitzender des Vereins Historische Straßenbahn der Stadt Frankfurt.
An der Hauptwache sollten die von Nord nach Süd verlaufende A-Strecke, die ost-westlich verlaufende C-Strecke und die Trasse der S-Bahnen zusammenkommen.
„Ursprünglich wollten wir die A-Strecke in einem durch bauen“, sagt Boss. „Doch dagegen haben damals die Ladeninhaber aufbegehrt.“
Sie forderten die große Lösung, also die Fertigstellung der Station als Ganzes. Zu lange hätte die Baustelle sonst ihren Umsatz gedrückt. Für Untertunnelung und Bau der drei Tiefebenen wurde der ganze Platz aufgerissen. Das Hauptwachen-Gebäude mit dem schnuckeligen Café wurde abgetragen, um es nach Abschluss der Arbeiten wieder aufzubauen.
Kommerzieller Nutzen
Hans Ulrich Wetterhahn, der Archivar des Vereins Historische Straßenbahn der Stadt Frankfurt, stellt sich beim Studium der historischen Fotos auch die Frage, wie es sein kann, dass sich damals keine Bürgerinitiativen gegen die riesigen und lärmenden Rammen regten. Er glaubt, dass der Fortschrittsglaube damals viel stärker gewesen sei als heute.
„Die U-Bahn stellte ja den Fortschritt dar. Da wollte niemand gerne im Weg stehen.“
Boss widerspricht nicht. Natürlich habe es auch Diskussionen gegeben, sagt er. Aber man sei den Geschäften auch entgegengekommen. Die erste Zwischenebene (B-Ebene), die gemäß dem Vorbild des Potsdamer Platzes in Berlin für eine kommerzielle Nutzung entstand, sei nach Norden so ausgedehnt worden, um dem Kaufhof einen Eingang zu bescheren, so Boss. Ebenso profitierte die Kaufhalle, die in der heutigen Sportarena in Richtung Roßmarkt untergebracht war. Auch sie gehörte zum Kaufhof-Konzern.
Am Rathenauplatz stiegen die Menschen aus und um. Diese Gleichzeitigkeit von Verkehr und Baustelle führte am 8. Dezember 1965 zu einem tödlichen Unfall. Eine ältere Frau wollte einer nahenden Bahn ausweichen und fiel rücklings in ein Bohrloch. Sie konnte nur noch tot geborgen werden. Nach dem tödlichen Unfall wurden die Probleme der ungenügenden Fußgängerwege deutlich. Für die vielen Neugierigen, die einen Blick in die Baugrube werfen wollten, wurde eine Zuschauertribüne errichtet.
Großes Zuschauer-Interesse
Das große Interesse an dem Projekt zeigte sich auch 1968 bei der Eröffnung der ersten Teilstrecke, die mit einem zweitägigen Volksfest vorbereitet wurde. Damals strömten 10.000 Bürger herbei. Willi Brundert sprach von einem „Jahrhundertereignis“. Der Andrang auf die ersten Züge war so groß, dass die Stationen zweitweise geschlossen werden mussten. In den Folgejahren bis 1971 wurde die A-Strecke in Richtung Bad Homburg verlängert. Bis 1973 folgte der Tunnel von der Hauptwache zum Theaterplatz, dem heutigen Willy-Brandt-Platz. Ihren Abschluss fand die A-Strecke erst 1984 nach der Untertunnelung des Mains am Südbahnhof.
Da hatte man an anderen Stellen längst weitergebaut: Vom Hauptbahnhof unter der Altstadt hindurch zur Konstablerwache und hin zur Rampe in der Friedberger Anlage, sowie entlang der Berger Straße bis zur Seckbacher Landstraße; außerdem entstand die Strecke vom Industriehof und Hausen über Bockenheim, Alte Oper, Westend, Haupt- und Konstablerwache, nach Ostbahnhof und Enkheim.
Exorbitante Kosten
Die Arbeiten rund um die Frankfurter U-Bahn waren im Laufe der Jahrzehnte immer wieder von Planänderungen gekennzeichnet. Die anfangs sehr eng in der Innenstadt gefassten Rampen stießen auf Ablehnung und wurden weiter nach draußen verlegt. Dadurch wurde der U-Bahn-Bau natürlich teurer. Andererseits wurden manche geplanten Strecken nie vervollständigt: die Untertunnelung der Eschersheimer Landstraße etwa, oder eine zweite Mainquerung nach Niederrad.
„Eine U-Bahn ist Luxus, eine Straßenbahn ist wesentlich günstiger“, sagt Boss.
Andererseits bedeutet jedes Verkehrsmittel der Stadtgesellschaft einen Zusatznutzen für die Mobilität. Dass die Stadt gerade die Verlängerung der Linie U5 vom Hauptbahnhof ins Europaviertel absegnete, wundert Boss nicht.
„Mein Chef hat immer gesagt: Eine Stadt, die einmal mit dem U-Bahn-Bau beginnt, hört nie mehr damit auf.“