Mainz – Ameisen können auf Klimaveränderungen reagieren, indem sie die Zusammensetzung der Wachsschicht ändern, die ihre Körperoberfläche überzieht und sie vor dem Austrocknen schützt.
Biologen der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums (BiK-F) haben festgestellt, dass diese Anpassung innerhalb von wenigen Wochen erfolgen kann, wenn sich die Tiere auf veränderte klimatische Bedingungen einstellen müssen.
„Es war uns bisher schon bekannt, dass die Arten auf Klimaänderungen reagieren“,
erklärt der Evolutionsbiologe Dr. Florian Menzel von der JGU.
„Aber es hat uns doch überrascht, dass auch einzelne Tiere innerhalb so kurzer Zeit ihre Wachsschicht anpassen, um unter schwierigeren Bedingungen besser überleben zu können.“
Ameisen tragen wie fast alle Insektenarten eine hauchdünne Wachsschicht auf ihrer Körperoberfläche, die sich aus kutikulären Kohlenwasserstoffen zusammensetzt. Die Schicht schützt nicht nur den Körper vor Austrocknung, sondern ist das wichtigste Kommunikationsmittel, um sich innerhalb einer Art, aber auch zwischen Arten zu verständigen oder zu erkennen. Das Profil einer Ameisenart kann aus bis zu 150 verschiedenen Kohlenwasserstoffen bestehen. Es ist so speziell, dass sogar zwischen nahe verwandten Arten große Unterschiede auftreten können.
Um den Effekt von Klimaveränderungen auf die „Cuticular Hydrocarbons“ oder CHCs zu untersuchen, hat die Gruppe um Florian Menzel zwei nordamerikanische Ameisenarten ausgewählt: Temnothorax longispinosus und Temnothorax ambiguus. Das Verbreitungsgebiet der beiden Arten überschneidet sich zum großen Teil, aber sie bewohnen unterschiedliche Habitate. Kolonien von T. longispinosus finden sich am ehesten in dichten, schattigen Wäldern. T. ambiguus ist als Prärieameise bekannt und lebt vorwiegend im offenen Grasland.
„Das heißt also, die beiden Arten bewohnen unterschiedliche klimatische Nischen. Wir hätten deshalb erwartet, dass die Prärieameisen besser an trockene und wärmere Bedingungen angepasst sind als ihre in Wäldern lebenden Verwandten“,
erläutert Menzel. Tatsächlich gelingt es jedoch den Individuen beider Arten, sich auf die neue Situation recht kurzfristig einzustellen.
Chemische Plastizität des CHC-Profils ist fürs Überleben unter Hitze- und Trockenstress entscheidend
Die Untersuchung erfolgte für beide Ameisenarten an Tieren aus unterschiedlichen Kasten: Königinnen, Brutpflegerinnen und Futtersammlerinnen. Ermittelt wurde, ob und wie sich die Wachsschicht bei höheren Temperaturen und geringerer Luftfeuchtigkeit ändert und wie sich dies auf die Überlebensrate auswirkt.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass beide Ameisenarten ihr Kohlenwasserstoffprofil plastisch anpassen können und damit Hitze- und Trockenstress besser überstehen“,
fasst Menzel zusammen.
Obwohl die CHC-Zusammensetzung artspezifisch verschieden ist, haben T. longispinosus und T. ambiguus auf ganz ähnliche Weise chemisch reagiert, indem sie mehr und längere n-Alkane erzeugt haben.
„Bei höheren Temperaturen wird die Wachsschicht zu flüssig und schützt die Tiere nicht mehr vor Verdunstung. Durch einen größeren Anteil von n-Alkanen wirken die Ameisen der Trockenheit entgegen, Moleküle aus längeren Ketten machen die Wachsschicht zähflüssiger und sind ein besserer Verdunstungsschutz“,
so Menzel. Diese Effekte wurden bei allen Tieren beobachtet, lediglich die Königinnen beider Arten haben auf Trockenheit überhaupt nicht reagiert. Wahrscheinlich sind sie wegen ihrer Größe resistenter.
„Für die Anpassung an veränderte Klimabedingungen ist also nicht unbedingt das ursprüngliche CHC-Profil entscheidend, sondern eher, wie gut die Tiere diese Zusammensetzung beeinflussen können, also die Plastizität des Profils“,
resümiert Dr. Barbara Feldmeyer vom BiK-F, die das Projekt mitgeleitet hat. Ameisen leben in der Regel ein bis drei Jahre. Dass es ihnen gelingt, ihr CHC-Profil in nur drei Wochen zu ändern und damit ihre Überlebenschance deutlich zu verbessern, ist für die Wissenschaftler eine kleine Sensation. Sie wollen nun als nächstes untersuchen, was die chemische Anpassung in physikalischer Hinsicht bedeutet, also wie sich Viskosität und Schmelzpunkt der Wachsschicht konkret ändern. Ungeklärt ist bislang außerdem, was die Veränderung des Profils für die Kommunikationssignale bedeutet, die von dem Duft der Kohlenwasserstoffe ausgehen.