Mainz – Nicht nur beim Menschen lässt das Gedächtnis mit zunehmendem Alter nach. Auch Tiere entwickeln eine altersabhängige Gedächtnisschwäche, so auch die Fruchtfliege Drosophila melanogaster.
Im mittleren Lebensalter zwischen 30 und 40 Tagen zeigen die Insekten Defizite beim mittel- und langfristigen Geruchsgedächtnis. Aber auch das kurzfristige Orientierungsgedächtnis leidet unter Altersschwäche, fanden Wissenschaftler der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) heraus. Wie sie feststellten, steht ein Protein, das bei der Alzheimer-Krankheit eine wichtige Rolle spielt, in seiner natürlichen Funktion ebenfalls bei Drosophila im Zentrum des Geschehens.
Fruchtfliegen können sich recht gut daran erinnern, wohin sie eigentlich gehen wollten, wenn sie von ihrem Ziel zwischenzeitlich abgelenkt werden. Das visuelle Arbeitsgedächtnis speichert die Richtung für etwa vier Sekunden. Neurobiologen um Prof. Dr. Roland Strauss von der JGU haben junge und alte Fruchtfliegen einem Test unterzogen. Sie zeigten den Tieren in einer kreisförmigen Versuchsanordnung einen Orientierungspunkt. Sobald der erste Orientierungspunkt verschwindet, richtet sich die Fliege auf den neu erscheinenden zweiten Punkt aus. Verschwindet dieser zweite Orientierungspunkt ebenfalls, dann sind junge Fliegen zu etwa 80 Prozent in der Lage, sich an die Position ihres ursprünglichen Zielpunkts zu erinnern und bewegen sich darauf zu. Ältere Fliegen hatten dagegen Probleme: Tiere im Alter von vier Wochen hatten ein deutlich schwächeres Gedächtnis und im Alter von sechs Wochen einen kompletten Erinnerungsverlust.
Spaltung von APP-ähnlichem Protein nimmt im Alter zu und geht mit Gedächtnisabbau einher
„Unsere Ergebnisse zeigen deutlich, dass sich das visuelle Arbeitsgedächtnis mit dem Alter verschlechtert“,
teilt Franziska Rieche, Erstautorin der Studie, dazu mit.
„Wir haben darüber hinaus entdeckt, dass dieser Gedächtnisabbau unterbunden werden kann.“
Zentrale Rolle spielt hier ein Protein, das beim Menschen als Amyloid-Vorläuferprotein oder „Amyloid Precursor Protein“ (APP) bezeichnet wird. Drosophila verfügt in ihren Nervenzellen über ein APP-ähnliches Protein. Wie Franziska Rieche zeigt, geht der Verfall des Arbeitsgedächtnisses bei zunehmendem Alter mit einer vermehrten Spaltung des Gesamtproteins in Teilproteine einher. Wurde diese Prozessierung vermindert, hatten auch alte Fliegen noch ein perfektes Gedächtnis. Wurde die Prozessierung beschleunigt, ging der Niedergang schneller vonstatten. Verantwortlich dafür sind drei Enzyme, sogenannte Sekretasen, die das Protein in Fragmente zerlegen. Je mehr Enzyme, desto mehr Fragmente entstehen.
„Die Art und Weise, wie das Vollprotein von den Enzymen zu Fragmenten gespalten wird, erfolgt bei Drosophila ganz ähnlich wie beim menschlichen APP“,
so Rieche. Beim Menschen wird das ß-Amyloid, das zwei Enzyme aus APP herausschneiden, für die Bildung von Plaques bei Alzheimer verantwortlich gemacht.
Für eine gute Funktion des Kurzzeitgedächtnisses bei der Fruchtfliege ist also das APP-ähnliche Protein in voller Länge nötig. Versuche mit einer Proteinvariante, die nicht zerschnitten werden kann, verhinderten dementsprechend den Gedächtniszerfall. Rieche hat außerdem einen Wirkmechanismus gefunden, wonach das APP-ähnliche Protein den Fasziklin-II-Rezeptor in der Zellmembran unterdrückt und umgekehrt, dass eine stärkere Prozessierung des APP-ähnlichen Proteins die Fasziklin-II-Unterdrückung vermindert und dadurch der Gedächtnisabbau in Gang gesetzt wird.
System der Gedächtnisregulation seit 580 Millionen Jahren erhalten
„Es ist absolut erstaunlich, dass sich solch ein System der Gedächtnisregulation über 580 Millionen Jahre bis heute konserviert hat“,
bemerkt Arbeitsgruppenleiter Roland Strauss zu der großen Ähnlichkeit des Mechanismus, einschließlich der Proteine und Sekretasen, bei Drosophila und beim Menschen. Vor etwa 580 Millionen Jahren haben sich die beiden Stammbäume getrennt. Strauss merkt außerdem an, dass die jetzigen Ergebnisse zur natürlichen Funktion speziell auf das visuelle Arbeitsgedächtnis der Fruchtfliegen zutreffen, das sich in 40 Ringneuronen, 20 in jeder Gehirnhälfte, befindet.
„Das Spannende ist jetzt herauszufinden, welche Prozessierung andere Gedächtnisformen benötigen“,
so Strauss.
„Wir arbeiten aktuell am Langzeitgedächtnis, dessen Zellen kein Fasziklin enthalten und das daher einen anderen Wirkmechanismus aufweisen muss.“
Die präzise Regulation von APP-ähnlichem Protein scheint jedenfalls für alle Gedächtnisformen wichtig zu sein, auch wenn sie unterschiedliche Anforderungen an die Prozessierung stellen.