Frankfurt am Main – Wissenschaftler der Goethe-Universität, der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung und der Universität Lund haben erstmals das komplette Erbgut des Blauwals sowie drei weiterer Furchenwalarten entziffert. Das Genom der Wale ermöglicht es, die Evolutionsgeschichte des größten Tieres der Welt und seiner Verwandten detailliert nachzuvollziehen. Überraschenderweise zeigt es, dass sich verschiedene Furchenwalarten im Lauf ihrer Geschichte miteinander gepaart haben. Darüber hinaus haben sich Furchenwale wohl ohne geografische Barrieren in verschiedene Arten aufgespalten. Dabei handelt es sich um ein sehr seltenes Phänomen. Die Studie ist soeben im Fachmagazin „Science Advances“ erschienen.
Sie sind die Giganten der Meere – Blauwale. Mit bis zu 33 Metern Länge und bis zu 200 Tonnen Gewicht sind Blauwale die größten Tiere der Erde. Während die sanften Riesen durch den Menschen bis Ende der 80er Jahre an den Rand des Aussterbens gebracht wurden, erholen sich die Populationen langsam wieder. Neue Forschung zeigt nun, dass die Evolution der Blauwale unkonventionelle Wege nahm.
Wie ein Team um den Evolutionsgenomiker Prof. Axel Janke, Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum und Goethe-Universität nämlich herausgefunden hat, haben sich die Furchenwale, zu denen der Blauwal zählt, während und nach ihrer Artbildung über die entstehenden Artgrenzen hinweg gepaart. „Diese sogenannte ‚Artbildung mit Genfluss‘ gilt in der Natur als selten. Arten bilden sich gewöhnlich durch reproduktive Isolation, die durch genetische oder geografische Barrieren entsteht. Beides scheint für Furchenwale nicht zu gelten“, erklärt der Ko-Erstautor der Studie, Fritjof Lammers, Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum.
Gemeinsam mit seinen Kollegen und dem schwedischen Walforscher Ulfur Arnason hat er erstmals das komplette Genom des Blauwals und weiterer Furchenwalarten, darunter Buckelwal und Grauwal, sequenziert. Geografische Barrieren gibt es in den Weiten der Ozeane für Wale nicht. Das Genom zeigt nun, dass es anscheinend auch keine genetischen Barrieren zwischen den Arten gab und es in der Vergangenheit Genfluss zwischen vielen Furchenwalarten gegeben hat.
Sogar heute noch werden Hybride von Finn- und Blauwalen gesichtet. Im Erbgut konnten die Forscher solche Spuren einer Liaison zwischen den beiden Arten aber noch nicht direkt nachweisen. Der Evolution der Furchenwale auf die Spur gekommen, sind die Wissenschaftler mit sogenannten Netzwerkanalysen. „Damit wird die Artentstehung nicht wie üblich als stammesgeschichtlicher Baum, sondern als verwobenes Netz betrachtet. Dies ermöglicht ansonsten versteckte genetische Signale zu entdecken,“ so Prof. Axel Janke.
Außerdem stellte das Team fest, dass auch die Verwandtschaftsverhältnisse unter den anderen Furchenwalen komplizierter sind als angenommen. So gilt der Buckelwal bisher aufgrund seiner enormen Brustflossen als Außenseiter unter den Furchenwalen. Die Studie bestätigt nun, dass diese klassische Taxonomie nicht der evolutionären Systematik entspricht. Gleiches gilt für den Grauwal, von dem man annahm, dass er nicht zu den Furchenwalen gehört. Tatsächlich sind Grauwale aber sehr nahe mit anderen Furchenwalen verwandt. Sie haben sich nur eine andere Lebensquelle erschlossen und ernähren sich von Krebstieren am Grund von Küstengewässern.
„Die Studie zeigt, welche enormes Potential uns die Genomik bietet, biologische Prozesse und die Grundlagen der biologischen Vielfalt besser zu verstehen. Wir können daraus sogar lesen, wie sich die Grösse der Populationen der Furchenwale in den letzten Millionen Jahren entwickelte“, resümmiert Janke, der auch Sprecher des gerade neu gegründeten hessischen LOEWE Forschungszentrums für Translationale Biodiversitätsgenomik (LOEWE-TBG) ist. Das im Januar 2018 gestartete Forschungszentrum hat sich der systematischen Analyse des vollständigen Genoms beziehungsweise aller aktiven Gene verschrieben. Damit soll nicht nur Grundlagenforschung betrieben werden, sondern das neue Wissen soll aktiv für die Erforschung von Naturstoffen und den Erhalt der Biodiversität genutzt werden.