Frankfurt: Graphische Sammlung – Frank Auerbach und Lucian Freud – Ausstellung vom 16. Mai bis 12. August 2018

Frank Auerbach (* 1931) Julia Asleep, 2001 Radierung und Aquatinta von zwei Platten in Schwarz über Gold 203 × 252 mm (Platte) Städel Museum, Frankfurt am Main. Erworben 2018 als Schenkung aus Privatbesitz, Köln Foto: Städel Museum – ARTOTHEK © Frank Auerbach, courtesy Marlborough Fine Art
Frank Auerbach (* 1931) Julia Asleep, 2001 Radierung und Aquatinta von zwei Platten in Schwarz über Gold 203 × 252 mm (Platte) Städel Museum, Frankfurt am Main. Erworben 2018 als Schenkung aus Privatbesitz, Köln Foto: Städel Museum – ARTOTHEK © Frank Auerbach, courtesy Marlborough Fine Art

Frankfurt am Main – Frank Auerbach (*1931) und Lucian Freud (1922– 2011) zählen zu den bedeutendsten figurativen Künstlern der englischen Nachkriegskunst. Vom 16. Mai bis 12. August 2018 versammelt die Graphische Sammlung des Städel Museums erstmals Hauptwerke der beiden Künstler in einer gemeinsamen Ausstellung. „Frank Auerbach und Lucian Freud. Gesichter“ zeigt insgesamt vierzig Zeichnungen und Druckgrafiken, insbesondere Bildnisse, die zu den kompromisslosesten und innovativsten der zeitgenössischen Kunst gehören.

Über nahezu vier Jahrzehnte, bis zum Tod von Lucian Freud, waren die Künstler eng befreundet. Sie verband nicht nur die Wertschätzung für die Kunst des je anderen, sondern auch das Schicksal, in Berlin als Söhne jüdischer Familien geboren worden zu sein. Noch im Kindesalter mussten sie aus dem nationalsozialistischen Deutschland nach England flüchten beziehungsweise emigrieren. Ihre Werke sind Ausdruck eines sehr persönlichen Sehens und Erlebens und entstanden trotz großer formaler und stilistischer Unterschiede nach überraschend gleichen Strategien: Über Wochen, manchmal Jahre hinweg beobachteten und porträtierten Auerbach und Freud beharrlich dieselben Menschen aus ihrer jeweils näheren Umgebung. Wiederholung und Beschränkung sind ihnen Mittel der Konzentration auf der Suche nach Erkenntnis: über das Gegenüber, über sich selbst und über die Welt.

Anlass der Sonderausstellung sind mehrere exzeptionelle Neuerwerbungen für das Städel Museum: der Ankauf eines gezeichneten Selbstbildnisses (Self-Portrait, 2017) von Auerbach durch den Städelschen Museums-Verein e. V. mit Mitteln der Jürgen R. und Eva-Maria Mann Stiftung sowie der Radierung Pluto (1988) von Freud mit Mitteln der Heinz und Gisela Friederichs Stiftung, die großzügige Schenkung ausgewählter Druckgrafiken und Zeichnungen von Auerbach und Freud aus Kölner Privatbesitz sowie die Stiftung einer Druckplatte Auerbachs durch den Künstler und den Balakjian Estate. Ergänzt um weitere, auch internationale Leihgaben bilden diese neu in die Städelsche Sammlung gelangten Werke wichtige Eckpunkte der Sonderausstellung.

„Das Städel Museum erwarb bereits 1994 mit Lucian Freuds Large Head eine der ersten, wenn nicht sogar die erste Radierung des Künstlers für ein deutsches Museum überhaupt. Es ist ein großer Glücksfall, dass wir dieser Arbeit nun zehn neu in die Sammlung gekommene Werke von Auerbach und Freud an die Seite stellen können. Sie stärken diese herausragenden Positionen der figurativen Kunst des 20. beziehungsweise 21. Jahrhunderts und steigern die beachtliche Qualität der Graphischen Sammlung“, kommentiert Städel Direktor Philipp Demandt.

„Von Beginn ihres Schaffens an ringen Auerbach und Freud um ein tieferes Verständnis der sichtbaren Welt. Es geht ihnen nicht um Abbildhaftigkeit, sondern um Wahrheit, und dabei kommen sie immer wieder zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen, Erkenntnissen, müsste man korrekterweise eigentlich sagen. Die so unterschiedlichen Werke der beiden Künstler lohnt es also unter diesem Gesichtspunkt einmal gemeinsam zu sehen“, stellt Regina Freyberger, Leiterin der Graphischen Sammlung ab 1750 am Städel Museum, heraus.

Die Ausstellung

„Frank Auerbach und Lucian Freud. Gesichter“ beginnt mit zwei Selbstbildnissen der Künstler: einer Grafitzeichnung mit abstrahierenden, energisch bewegten Strichen von Frank Auerbach (Self-Portrait, 2017) und einer Radierung mit konkret und nahezu malerisch beschreibenden Linien von Lucian Freud (Self-Portrait: Reflection, 1996). Beiden Bildnissen ist eine ähnlich intensive psychische Aufladung eigen. Sie sind formal sowie in der kritischen und unsentimentalen Selbstreflexion typisch für das Œuvre beider Künstler. Vor allem Bildnisse entstanden ab den 1940er- und 1950er-Jahren in Auerbachs und Freuds Londoner Ateliers, zunächst in Öl, später auch in der Technik der Radierung. Die in der Ausstellung gezeigten Druckgrafiken umreißen dieses Schaffen ab den späten 1970er-Jahren exemplarisch. Dennoch sind beide Künstler keine klassischen Porträtisten: Aufträge sind im Bereich der Druckgrafik selten, und repräsentative Bildnisse sucht man vergebens. Den britischen Politiker Lord Arnold Goodman zeigt Freud mit wirrem Haar im gelben Schlafanzug (Lord Goodman in His Yellow Pyjamas, 1987). Auerbach und Freud geht es nicht um die öffentliche Person mit ihrer spezifischen Biografie, sondern um den Menschen in seiner physischen und psychischen Ganzheit, um seine Präsenz und seine Kreatürlichkeit. Deshalb zeigt Freud seine Modelle auch meist nackt und unverstellt. Gleichzeitig erklärt dies das Motiv des Schlafes oder des Einschlafens in Auerbachs und Freuds Schaffen: Denn je müder die Modelle werden, desto deutlicher kommt ihr wahres Gesicht zum Vorschein. Eine gegenseitige Vertrautheit von Künstler und Modell ist dennoch unentbehrlich. Auerbach und Freud wählten ihre Modelle daher stets aus einem sehr engen Personenkreis: Freud saßen immer wieder seine Kinder Modell. Seine Mutter porträtierte er ab den 1970er-Jahren in über eintausend Sitzungen. Daneben entstanden Bildnisse von Personen, die den Künstler inspirierten, wie dem Performancekünstler Leigh Bowery (Large Head, 1993) oder der Arbeitsvermittlerin Sue Tilley (Woman with an Arm Tattoo, 1996). Bei Auerbach verhält es sich ähnlich: Die Malerin Julia Wolstenholme sitzt für ihren Ehemann seit 1958 Modell (Julia, 1981, 1998, 2001). Wiederholt porträtierte Auerbach zudem seinen Sohn Jake (1990, 2006), verschiedene Künstlerkollegen und Freunde.

Der Schaffensprozess

Jedem Bildnis, sei es auf das Gesicht beschränkt oder um den Körper ergänzt, geht bei beiden Künstlern ein Prozess der Erkenntnis voraus, der auf genauer, forschender Beobachtung gründet. Pro Sitzung zeichnet oder malt Frank Auerbach ein Bildnis. Hält es seiner kritischen Beurteilung bei der nächsten Sitzung nicht stand, wird die Farbe abgeschabt oder der Bleistift ausradiert. Auf demselben Bildträger beginnt Auerbach anschließend erneut. Da bei Radierungen ein solches Vorgehen des ständigen Neuerfahrens, Neusehens und Neuarbeitens technisch unmöglich ist, werden die Druckgrafiken über mehrere Skizzen auf Papier vorbereitet und zuletzt auf der Platte vollendet.

Freuds Arbeitsweise ist hier anders: Mit weißer Kreide notiert er die Umrisse seines Gegenübers auf die vorbehandelte Kupferplatte und beginnt dann mit der Radiernadel von der Mitte aus Körper und Gesichter auszuarbeiten. Seine Modelle studiert er dazu aus wechselnden Positionen. Die Wiederholung einzelner Linien schafft daher nicht nur Plastizität, sie dient auch der Bestätigung des einmal Formulierten. Gelegentliche Korrekturen dokumentieren die schrittweise Annäherung an das Gegenüber.

Biografisches

Auerbach und Freud verbindet das tragische Schicksal, als Kinder jüdischer Familien in den 1930er-Jahren aus Deutschland geflüchtet beziehungsweise emigriert zu sein. Die britische Staatsbürgerschaft nahm Freud 1939, Auerbach 1947 an. Begegnet waren sie einander vermutlich erstmals 1956, in Auerbachs erster Ausstellung in London – ein Kunsterlebnis, das bei Freud großen Eindruck hinterließ. Überhaupt verband beide Künstler zunächst eine tiefe Wertschätzung für die Kunst des jeweils anderen. Freud bat gegen Ende des Werkprozesses nicht selten Auerbach um seine Meinung; sie arbeiteten auch für ihre Radierungen meist mit denselben Druckern zusammen, und sie porträtierten einander. Über Jahre baute Freud zudem eine der größten Privatsammlungen mit Werken Auerbachs auf. Nach seinem Tod wurde diese Sammlung dem britischen Staat gestiftet und auf verschiedene Museen verteilt. Zwei Zeichnungen daraus, heute im Fitzwilliam Museum in Cambridge, sind als Dokument dieses engen künstlerischen Austausches nun erstmals in Deutschland zu sehen. Auerbach wiederum schenkte neun seiner Radierungen von Freud 2012 dem Courtauld Institute in London; eine weitere Radierung, Ib von 1982, die sich bis heute im Besitz Auerbachs befindet, wird ebenfalls in der Ausstellung gezeigt. Die Biografie beider Künstler wird dem Betrachter – zusammen mit den angewandten Drucktechniken – im letzten Raum der Ausstellung erschlossen.

FRANK AUERBACH UND LUCIAN FREUD. GESICHTER

Kuratorin: Dr. Regina Freyberger (Leiterin Graphische Sammlung ab 1750, Städel Museum) Ausstellungsdauer: 16. Mai bis 12. August 2018

Information: www.staedelmuseum.de

Besucherservice und Führungen: +49(0)69-605098-200, info@staedelmuseum.de Ort: Städel Museum, Schaumainkai 63, 60596 Frankfurt am Main

Öffnungszeiten: Di, Mi, Sa, So 10.00–18.00 Uhr; Do, Fr 10.00–21.00 Uhr; montags geschlossen Sonderöffnungszeiten (10.00–18.00 Uhr): 20.5., 21.5., 22.5., 31.5.

Eintritt: 14 Euro, ermäßigt 12 Euro, Familienkarte 24 Euro; bis 21. Mai kostet der Eintritt an den Feiertagen 16 Euro, ermäßigt 14 Euro, Familienkarte 24 Euro; freier Eintritt für Kinder unter 12 Jahren; Gruppen ab 10 regulär zahlenden Personen: ermäßigter Eintrittspreis pro Person. Für Gruppen ist vorab eine Anmeldung unter Telefon +49(0)69-605098-200 oder info@staedelmuseum.de erforderlich.

Überblicksführungen durch die Ausstellung: freitags 18.00 Uhr, sonntags 14.00 Uhr sowie Montag, 21. Mai, und Donnerstag, 31. Mai, 12.00 Uhr. Die Teilnehmerzahl ist begrenzt, eine Anmeldung ist nicht erforderlich.

Kartenvorverkauf: tickets.staedelmuseum.de

Für Mitglieder des Städelschen Museums-Vereins ist der Eintritt in die Sonderausstellung frei.

Katalog: Zur Ausstellung erscheint ein von Dr. Regina Freyberger verfasster Katalog mit dem Titel „Frank Auerbach und Lucian Freud. Gesichter“, herausgegeben vom Städel Museum, deutsch, 104 Seiten, 15 Euro, ermöglicht durch den Städelschen Museums-Verein e.V.