Heidelberg – Obwohl chinesische Filme mittlerweile regelmäßig an Filmfestivals teilnehmen und auch im Kinoverleih auftauchen, ist im Westen über die Geschichte des chinesischen Kinos nur sehr wenig bekannt.
Einer der wichtigsten Schauspieler und Filmemacher aus dem Shanghai der 1940er- und 50er-Jahre ist Shi Hui 石挥, geboren als Shi Yutao 1915 in Tianjin als viertes von fünf Kindern. Aufgewachsen ist er in Peking und später ließ er sich in Shanghai nieder. Seine Kindheit und Jugend waren sowohl familiär wie auch gesellschaftlich von Unruhe geprägt – mit dem Sturz des Kaiserhauses geriet 1911 das gesamte Land in Aufruhr und als Shi Hui drei Jahre alt war, starb sein Vater. Seine Faszination für die Peking-Oper begleitete Shi Hui seit seiner Kindheit und brachte ihn dazu, sein Wissen über diese Kunstform zu erweitern. Er nutzte außerdem jede Gelegenheit, moderne Theaterstücke sowie ausländische (vorwiegend amerikanische) Filme anzuschauen. Um Geld zu verdienen, schloß er sich zunächst als Arbeiter einer kleinen Theatertruppe an. Bald jedoch wurde er immer häufiger wegen seines großen schauspierischen Talents als Hauptrolle besetzt und war ab den 1940ern in weiten Kreisen als profilierter Schauspieler bekannt und beliebt. Er wurde er Shanghai als Kaiser der Bühne gefeiert. Er spielte in mehr als zwanzig Filmen und war auch als Regisseur tätig. Sein Engagement erstreckte sich auf alle Bereiche des Shanghaier Theater- und Filmwesens: Shi Hui war einer der wenigen Schauspieler, der sich sowohl auf der Bühne wie auch im Film wohl fühlte. Er spielte Haupt- und Nebenrollen, komische und tragische, ernsthafte und humorvolle. Zur Vorbereitung auf eine neue Rolle verbrachte er Tage damit, Menschen und ihre Verhaltensweisen zu studieren. Er feilte am Gesichtsausdruck und der Gestik, bis sie schlussendlich natürlich waren.
Shi Hui war auch schriftstellerisch tätig: Vor allem nach Ende des Zweiten Weltkriegs schrieb er meinungsbildende Artikel zur Tagespolitik. Er sprach sich gegen einen Bürgerkrieg aus, sprach der Shanghaier Bevölkerung Mut zu, sich politisch zu äußern, verlangte nach demokratischen Prinzipien und verurteilte die korrupten Profiteure des Krieges.
Im Alter von gerade einmal 42 Jahren beging er Selbstmord, weil er sich in der Anti-Rechts-Kampagne 1957 heftigsten Angriffen ausgesetzt sah. Sein ganzes Leben hatte er der Kunst gewidmet. Shi Huis Filme waren in China lange Zeit nicht zu sehen. Erst nach 1979 wurde er rehabilitiert und sein Film MEIN LEBEN (1950) wird heute zu den Klassikern der chinesischen Filmgeschichte gezählt. Trotzdem ist sein Werk weitgehend unbekannt. Mit unserer Retrospektive, die wir gemeinsam mit dem Institut für Sinologie der Universität Heidelberg, Dr. Isabell Wolte von der Universität Wien, dem Karlstorkino Heidelberg und dem China Film Archive organisieren, wollen wir dazu beitragen, das Schaffen von Shi Hui bekannter zu machen.
PROGRAMMÜBERSICHT:
Samstag, 9. Juni 2018
14.00 Uhr: Kinder der Welt, 《世界儿女》Shijie ernü, China 1941, 90min OmU
17.00 Uhr: Die Ehefrau lebe hoch, 《太太万岁》Taitai wan su, China 1947, 110min OmU
19.30 Uhr: Mein Leben《我这一辈子》, Wo zhe yi beizi, VR China, 1950, 108min OmU
Sonntag 10. Juni 2018
11.00 Uhr: Nachtasyl, 《夜店》Ye Dian, China 1947, 108min OmU
17.00 Uhr: Amerika im Visier, 《美国之窗》Meiguo zhichuang , VR China 1952, 67min, OmU
19.00 Uhr: Nächtliche Schifffahrt auf nebligem Meer《雾海夜航》Wu hai ye hang, VR China 1956
Jeweils mit einer Einführung von Dr. Isabel Wolte
20.45 Uhr: Gesprächsrunde mit Dr. Isabel Wolte (Universität Wien) und Dr. Martin Gieselmann (Südasien-Institut, Universität Heidelberg): Film als Abbild der Gesellschaft
Termin: 9. und 10. Juni 2018
Uhrzeit: siehe Programm
Ort: Karlstorkino, Am Karlstor 1, 69117 Heidelberg
Eintritt: siehe Karlstorkino