Karlsruhe – Der Klimawandel stellt die Windkraft in Europa vor große Herausforderungen. Dies haben Forscherinnen und Forscher am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) anhand räumlich und zeitlich hochaufgelöster Klimamodelle festgestellt. Demnach wird sich die mittlere Windstromerzeugung für den gesamten europäischen Kontinent bis Ende des 21. Jahrhunderts nur geringfügig ändern. Dafür sind im Allgemeinen größere jahreszeitliche Schwankungen sowie eine Häufung von Schwachwindphasen zu erwarten. Die Forscher präsentieren ihre Studie im Journal of Geophysical Research: Atmospheres. (DOI: 10.1029/2018JD028473)
Strom aus erneuerbaren Energien trägt schon heute wesentlich zur Energieversorgung in Europa bei; in Deutschland soll der Anteil regenerativer Quellen mit der Energiewende weiter steigen. Wind hat sich als vielversprechende erneuerbare Energie erwiesen. Allerdings wird die Windstromproduktion stark von den vorherrschenden Wetter- und Klimabedingungen beeinflusst und unterliegt damit sowohl kurzzeitigen Schwankungen als auch dem Klimawandel. Wie sich die Windgeschwindigkeiten und damit das Potenzial der Windkraft in Europa bis Ende dieses Jahrhunderts entwickeln werden, haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Arbeitsgruppe „Regionales Klima und Wettergefahren“ am Institut für Meteorologie und Klimaforschung – Department Troposphärenforschung (IMK-TRO) des KIT gemeinsam mit Forscherinnen und Forschern der Universität zu Köln nun anhand regionaler Klimaprojektionen untersucht. Sie präsentieren die Ergebnisse im Journal of Geophysical Research: Atmospheres.
Für ihre Studie nutzten die Forscher ein räumlich und zeitlich hochaufgelöstes Modellensemble, das auf Simulationen des europäischen Klimamodellierungsprojekts EURO-CORDEX (Coordinated Regional Climate Downscaling Experiment – European Domain) basiert. Bei CORDEX handelt es sich um den regionalen Beitrag zum IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change). Die räumliche Auflösung beträgt zwölf Kilometer, die zeitliche Auflösung drei Stunden, was eine genauere Quantifizierung der Windstromproduktion auf der regionalen Skala ermöglicht. Für die Berechnungen wird eine typische Windkraftanlage mit einer Nabenhöhe von 100 Metern angenommen.
Die Auswertung zeigt, dass zum Ende des 21. Jahrhunderts für den gesamten europäischen Kontinent nur geringfügige Änderungen bei der mittleren Windstromerzeugung zu erwarten sind. Diese Änderungen liegen im Bereich von plus/minus fünf Prozent. „Für einzelne Länder ist allerdings mit deutlich größeren Änderungen im Bereich bis plus/minus 20 Prozent zu rechnen“, berichtet der Leiter der Arbeitsgruppe „Regionales Klima und Wettergefahren“ am IMK-TRO des KIT, Professor Joaquim G. Pinto. „Zudem können die Änderungen starken saisonalen Schwankungen unterliegen.“
Wie die Studie ergeben hat, ist für große Teile von Nord-, Mittel- und Osteuropa mit einer erhöhten Variabilität der Windstromerzeugung auf unterschiedlichen Zeitskalen zu rechnen – sowohl zwischen einzelnen Tagen als auch einzelnen Jahren. Zu erwarten ist, dass Windgeschwindigkeiten, die für die Stromproduktion optimal sind, über den Meeren etwas seltener auftreten. Zugleich sind häufigere Schwachwindphasen mit Windgeschwindigkeiten unter drei Metern pro Sekunde über dem europäischen Kontinent zu erwarten. Dies ist insoweit problematisch, als dadurch die Volatilität der Windstromproduktion weiter erhöht wird.
Den Projektionen nach wirkt sich der Klimawandel in verschiedenen Gebieten unterschiedlich auf die Windkraft aus.„Im Baltikum und in der Ägäis könnte die Windstromerzeugung künftig von den Klimaänderungen profitieren“, erklärt Julia Mömken, Forscherin in der Arbeitsgruppe „Regionales Klima und Wettergefahren“ am IMK-TRO. „Für Deutschland, Frankreich und die Iberische Halbinsel dagegen sind eher nachteilige Auswirkungen zu befürchten.“ Alles in allem sehen die Forscher in den projizierten Änderungen große Herausforderungen für die Windenergienutzung in Europa. Geeignete Gegenmaßnahmen, wie der dezentrale Ausbau der Windenergie und der Ausbau des europäischen Stromverteilnetzes, könnten den Einfluss des Klimawandels auf die Windkraft aber abschwächen.