Lorsch – Wie hat es wohl ausgesehen, das bedeutende Reichskloster Karls des Großen? Nicht nur der heutige Besucher des UNESCO Welterbe Kloster Lorsch mit seiner weltberühmten Torhalle stellt sich diese Frage. Auch zahlreiche Gelehrte und Wissenschaftler haben sich in den vergangenen Jahrhunderten den Kopf darüber zerbrochen. Doch was ist überhaupt bekannt und historisch gesichert vom Aussehen der einstmals mächtigen Lorscher Benediktinerabtei, die im Dreißigjährigen Krieg fast völlig zerstört wurde?
Erstmals geht die Ausstellung „Zum Bild verführt – Visualisierungsversuche eines verlorenen Klosters“ (5. August bis 21. Oktober 2018 im Museumszentrum Lorsch), bisherigen Versuchen nach, das ursprüngliche Erscheinungsbild des Karolingerklosters wiederherzustellen. Gezeigt werden frühe Zeichnungen, Stiche und Publikationen, Grafiken, Modelle und digitale Animationen, aber auch fotorealistische Darstellungen. Sie geben Auskunft über die unterschiedlichen Rekonstruktionsversuche und Visualisierungsansätze der frühmittelalterlichen Klosteranlage von den Anfängen der Erforschung des Klosters Lorsch bis in die Gegenwart. Zu sehen sind außerdem Vorschläge und Planungen zum Wiederaufbau der Abtei.
„Die Suche nach verlässlichen Hinweisen zum einstigen Aussehen des Klosters gestaltet sich trotz der zahlreich vorliegenden Rekonstruktionen äußerst schwierig“, erklärt Anne-Karin Kirsch, Kuratorin der Ausstellung. Das einzige erhaltene Bild, das die Anlage kurz vor ihrer Zerstörung zeigt, ist ein Kupferstich von Matthäus Merian d. Ä. Doch zeigt der Stich nicht das Kloster Karls des Großen, sondern dessen Zustand im 17. Jahrhundert, als es schon kein Kloster mehr war. Auch die zeitgleichen Beschreibungen des Klosters von Georg Helwich in den Antiquitates Laurishaimenses vermitteln nach Kirsch zwar Eindrücke von der Anlage, gehen aber nicht näher auf die Gebäude ein.
Erst im 19. Jahrhundert beginnt die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Kloster Lorsch, insbesondere mit seinem heute wichtigsten Gebäude, der Torhalle. Zu dieser Zeit entsteht durch Rudolf Adamy, Leiter der ersten wissenschaftlichen Ausgrabung in Lorsch, die erste grafische Rekonstruktion des karolingischen Königsklosters. Seitdem wurde immer wieder versucht, das Aussehen der historisch reich belegten, doch in ihrer Bausubstanz weitgehend verlorenen Anlage in verschiedenen Medien zu visualisieren: in Zeichnungen, Modellen, 3D-Animationen oder aber in Form der sogenannten „Footprints“ am Boden des Klostergeländes.
Neben wissenschaftlichen Grabungen- und Bauforschungen wurde der Bereich um die Torhalle im 19. und frühen 20. Jahrhundert aber auch zum Aufstellungsort von Denkmälern und damit zum ideologisch geprägten Gedächtnisort. „Alle diese Auseinandersetzungen haben eines gemeinsam“, sagt Anne-Karin Kirsch: „Sie sind Zeugnisse ihrer Zeit und geben letztlich keine verlässliche Auskunft über das einstige Aussehen des Klosters.“
Wurde am Ende der 1990er Jahre noch eine aufwendige 3D-Animation angefertigt, so ist man heute vorsichtiger: „Die Schlösserverwaltung hat sich bei der heutigen Gestaltung des Kloster-Areals, das 2014 neu eröffnet wurde, ganz bewusst gegen eine direkte Sichtbarmachung der Klostergebäude entschieden“, sagt Kirsten Worms, Direktorin der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Hessens. Dr. Hermann Schefers, Leiter der UNESCO Welterbestätte Kloster Lorsch, erläutert weiter: „Letztlich können wir nur das dokumentieren und den Besuchern zeigen, was tatsächlich historisch und archäologisch belegt ist.“ So deuten heute die „Footprints“ – Erhöhungen oder Vertiefungen im Boden – die einstigen Standorte der Gebäude auf dem landschaftsarchitektonisch preisgekrönten Klostergelände an. „Jede Information zu aufgehendem Mauerwerk oder Datierungen würden nur das Bild verfälschen“, so Dr. Hermann Schefers.
Kirsten Worms erklärt zum heutigen Erscheinungsbild: „Da uns Informationen fehlen, ist dies die einzige korrekte Lösung: Weg von der visuellen Rekonstruktion hin zu einem Ort, an dem die Klostergeschichte und das Leben der früheren Bewohner lebendig vermittelt werden. Nicht nur unsere vielfältigen Führungsangebote, auch die neu entstandenen Stationen auf dem Welterbe-Areal wie das Schaudepot Zehntscheune mit seinen archäologischen Schätzen und das Freilichtlabor Lauresham, ein 1:1 Modell eines karolingischen Herrenhofes, nehmen die Besucher mit auf eine anschauliche Reise in die Zeit Karls des Großen.“
Einen historisch gesicherten Einblick in das Kloster vermitteln auch digitale Archive wie die Bibliotheca Laureshamensis und das Archivum Laureshamense.
Die Sonderausstellung „Zum Bild verführt – Visualisierungsversuche eines verlorenen Klosters“ ist vom 5. August bis 21. Oktober 2018 im Museumszentrum Lorsch zu sehen. Die Öffnungszeiten sind von Dienstag bis Sonntag, 10 – 17 Uhr, an Feiertagen auch montags. Der Eintritt kostet 3 EUR, ermäßigt 2 EUR, Familienkarte 7 EUR, Führungen auf Anfrage: Tel: + 49 (0)6251-51446 | info@kloster-lorsch.de.