Frankfurt: Gewalt-Sehen-Helfen – Wie man sich selbst und anderen in brenzligen Situationen hilft

Opfer fokussieren, Täter ignorieren

GSH Logo (Foto: Stadt Frankfurt am Main)
GSH Logo (Foto: Stadt Frankfurt am Main)

Frankfurt am Main – Ein Mann, auf Krawall gebürstet, läuft über die Zeil. Rempelt einen anderen Mann, der den Blick starr auf sein Smartphone richtet, an. „Ey! Glotz nicht so blöd auf dein Handy, wenn du hier rumläufst!“

Was würden Sie in dieser Situation tun? Versuchen, den Aggressor mit Argumenten sanft zu stimmen? Zurückpöbeln? Handgreiflich werden? Kann man machen. Kann man aber auch besser machen. Wie? Das kann man lernen: In den Gewalt-Sehen-Helfen-Seminaren des Präventionsrats Frankfurt. Ganz praktisch erfahren die Teilnehmer dort, wie man sich in brenzligen Situationen verhält, ohne sich und andere zu gefährden. Während des Seminars gilt: Nicht erklären, wie man meint, eine Situation lösen zu können, sondern in Rollenspielen ausprobieren.

Reden hilft nicht immer

Der Pöbler, gemimt von Seminarleiter Jens Rösler, raunzt sein Opfer an. Dieses, im ersten Rollenspiel ein älterer Herr, der seine „Konflikte sein Leben lang mit Reden gelöst“ hat, bleibt stehen, versucht, auf den Pöbler einzugehen, und – reizt den Krawallmacher nur noch mehr. Der geht einen Schritt auf sein Opfer zu, noch einen und noch einen. „Ey, Opa, was willst du denn von mir?“ Dagmar Schöne, die das Seminar an diesem Tag gemeinsam mit Rösler leitet, ruft aus dem Hintergrund laut „Stopp!“. Die Männer gehen auseinander. „Wie fühlen Sie sich jetzt?“, fragt Schöne das Opfer. „Bedrängt“, sagt der Mann, ist aber nach wie vor überzeugt, er hätte den Pöbler beschwichtigen können. Der verneint deutlich: „Ich hätte Ihnen eher eine Kopfnuss verpasst“, sagt Rösler.

Auf den Überraschungseffekt setzen

Nächster Teilnehmer, nächster Versuch. Pöbler pöbelt, Opfer – Mann, groß und sportlich – lächelt, sagt „Entschuldigung“ und geht unbeeindruckt weiter. Das Opfer fühlt sich nach dem Zusammentreffen „gut“, bei Rösler ist „die Luft raus“, die Lust am Konflikt verpufft. Selbiges passiert beim dritten Opfer, einer Dame um die 60. Die reckt ihr Handy in die Luft, hüpft wild herum, ruft „Ich bin gerade Oma geworden!“ und läuft dem Pöbler davon.

Raus aus der Situation

Die Seminarteilnehmer, ob Rollenspieler oder Zuschauer, lernen: Wer in eine gefährliche Situation gerät, sollte unbedingt Abstand wahren, nicht auf den Pöbler eingehen und so schnell wie möglich das Weite suchen. „Raus aus dem Magnetfeld des Täters“, erklären die Seminarleiter. Wichtig sei auch, keinen Körperkontakt herzustellen oder gar handgreiflich zu werden und konsequent beim „Sie“ zu bleiben. Das helfe Außenstehenden zu realisieren, dass sich zwei Fremde streiten und Hilfe angezeigt ist. Den Krawallmacher zu überraschen, kann auch funktionieren, ebenso wie sehr laut zu sprechen oder zu rufen. Das kann auch ein „Hey! Polizei!“ sein. Hauptsache, das Gegenüber rechnet nicht damit.

Eine Brücke bauen

Diese Regeln gelten auch im zweiten Teil des Seminars. Ging es in der ersten Hälfte darum, sich selbst aus einer Gefahrensituation zu retten, ist nun Helfen gefragt, ohne sich selbst dabei in Gefahr zu bringen. Die Situation: Zwei Fußballrowdys rücken einer Person im Vierersitz einer U-Bahn auf die Pelle. Diese, so gibt es das Szenario vor, kann sich nicht selbstständig befreien und ist auf Hilfe angewiesen.

Die Person in Sicherheit bringen kann man zum Beispiel, indem man auf sie zugeht, sie laut und deutlich anspricht. „Hallo Renate, wir müssen aussteigen“, sagt die Helferin des ersten Rettungsversuchs, reicht „Renate“ die Hand. Diese greift sofort zu. Opfer und Helferin gehen gemeinsam Richtung U-Bahn-Tür. Die beiden Rowdys bleiben verdutzt zurück.

Die Helferin hat „Renate“ eine Brücke zum Ausstieg gebaut. Andere Möglichkeiten, das Opfer zu befreien, sind Öffentlichkeit herzustellen oder zu Solidarität aufzurufen: „Schauen Sie, was dort passiert! Lassen Sie uns der Frau/dem Mann helfen!“ Auch die Polizei zu rufen oder den Fahrer der Bahn über den Notfallknopf über das Geschehen zu informieren, wird die Täter davon abhalten, das Opfer weiter zu bedrängen. „Von der Polizei erwischt und aktenkundig zu werden, ist das, was die Täter am wenigsten wollen“, sagt Rösler. Und Schöne ergänzt: „Für die Helfer gilt immer, sich nicht selbst als Gegner anzubieten und sich nur an das Opfer zu richten, nie an den Täter. Nimmt man den Konflikt nicht an, muss man auch nicht aussteigen.“

Gewalt-Sehen-Helfen: Ein Beststeller

Dass der Bedarf an solchen Tipps groß ist, zeigt die stetig wachsende Zahl der Gewalt-Sehen-Helfen-Seminare. 1997, zu Beginn des Angebots, gab es in Frankfurt 12 Workshops pro Jahr. 2017 waren es 76. Besuchen kann sie jeder Bürger, die Teilnahme ist kostenfrei. Geleitet werden die Seminare von Referenten aus dem Polizeidienst, der Kinder und Jugendhilfe, von Ehrenamtlichen mit entsprechender Qualifikation oder von Mitarbeitern des Präventionsrats wie Dagmar Schöne.

„Seit 2010 bietet der Präventionsrat die Workshops auch für geschlossene Gruppen wie Firmen und Vereine an – auch hier wächst die Nachfrage“, sagt Dagmar Schöne. „Seit 2005 fördert das Land Hessen das Angebot und hat es über Frankfurt hinaus in Landkreisen und Kommunen etabliert.“ Konzipiert haben es der Präventionsrat und die Polizei Frankfurt, nachdem 1997 eine ältere Dame in der Innenstadt angegriffen wurde und niemand zu Hilfe kam. „Es ist eine Kampagne gegen die Kultur des Wegschauens und für die Kultur des Hinschauens“, sagt Schöne.

Alle Informationen zu den Seminaren findet man auf www.gewalt-sehen-helfen.de.