Mainz – Wie kann es gelingen, eine neue Begeisterung für die europäische Union zu entfachen? Eine Woche vor den Wahlen zum Europäischen Parlament hat Landtagspräsident Hendrik Hering heute bei der Festveranstaltung des Landtags zum rheinland-pfälzischen Verfassungstag dafür geworben, Zerrbilder über die Europäische Union zu korrigieren. Zugleich verwies er auf die Politisierung junger Menschen als Chance für den europäischen Einigungsprozess.
Ein weit verbreitetes Zerrbild betreffe, so Hering, die Bürokratie in der EU, die sich nicht zuletzt in einem vermeintlich überbordenden Beamtenapparat ausdrücke. „Wenn man jedoch bedenkt, welches Aufgabenfeld die Kommission hat und auf wie viele unterschiedliche Länder sich ihre Arbeit bezieht, so sind die rund 32.000 Beschäftigten keine sehr hohe Zahl“, sagte Hendrik Hering. Die Stadtverwaltung München beschäftige zum Vergleich mehr als 38.000 Personen. Der europäischen Gemeinschaft sei zudem etwas „Sensationelles“ gelungen: Sie habe einen gemeinsamen Markt – den weltweit größten zusammenhängenden Wirtschaftsraum – geschaffen für über 500 Millionen Menschen ohne Wettbewerbsverzerrungen. Nie vergessen werden sollte darüber hinaus, dass die Europäische Integration das erfolgreichste politische Friedensprojekt der neueren Geschichte sei.
Vorbildlicher Umgang der EU mit Brexit
„Der größte Erfolg der EU liegt aber in der Förderung der Demokratie“, betonte Hendrik Hering. Von Beginn an sei klar gewesen, dass eine enge Zusammenarbeit nur unter demokratischen Ländern möglich sei. Demokratie und Rechtsstaatlichkeit seien die grundlegenden Prinzipien des europäischen Einigungsprozesses. Aber auch im vermeintlich Kleinen habe die EU viele Versprechen verwirklicht, seien es die Durchsetzung von Fahrgast- und Fluggastrechten oder die Abschaffung von Roaming-Gebühren.
Wohin ein Zerrbild von Europa führen könne, habe der „Brexit“ gezeigt. Dabei habe die EU gerade im Angesicht der Brexit-Krise ihr hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein bewiesen. „Der Umgang der Kommission mit der Brexit-Krise ist vorbildlich“, sagte Hendrik Hering. Die Kultur des Kompromisses, auf der die Gemeinschaft basiere, erweise sich hier als absoluter Vorteil. „Die EU zeigt damit: Uns ist ein vernünftiger, sachorientierter Umgang miteinander wichtig“, so der Landtagspräsident. Das sei für ihn ein Zeichen von Souveränität und Größe.
Und schließlich seien es gerade junge Menschen, die Zuversicht und Begeisterung für Europa ausstrahlten. „Wir brauchen nur freitags auf die Straßen unserer Städte zu schauen“, verwies Hendrik Hering auf die europaweiten Klimaproteste junger Menschen, denen sich inzwischen auch Eltern, Lehrer und andere angeschlossen hätten. Zum ersten Mal erlebten wir, dass sich so etwas wie eine „europäische Öffentlichkeit“ entwickle. „Aus solchen Protesten kann ein gemeinsames europäisches politisches Bewusstsein entstehen“.
Festrednerin Juliane Kokott, Generalanwältin am EU-Gerichtshof, beschäftigte sich in ihrem Vortrag mit dem Thema „Der Gerichtshof der Europäischen Union als Hüter der Rechtsstaatlichkeit der Union“. Sie ging dabei auf die großen Zukunftsfragen der Europäischen Union ein sowie auf die Rolle des Europäischen Gerichtshofs als Garant von Rechtsstaatlichkeit und Chancengleichheit und hob hervor: „Ein Rechtsstaat ist undenkbar ohne Demokratie, eine Demokratie ist undenkbar ohne Grundrechtsschutz und der wirksame Schutz von Grundrechten setzt den Rechtsstaat voraus.“
Ministerpräsidentin: Mut und eine neue gemeinsame Vision für Europa
Ministerpräsidentin Malu Dreyer bedauerte, dass sich die Leidenschaft für die europäische Vision etwas abgekühlt habe, weil Frieden, Freiheit und Wohlstand in weiten Teilen selbstverständlich geworden, aber auch ungleich verteilt geblieben seien. „Ich bin der Überzeugung, dass die EU in stärkerem Maße ein gerechtes und soziales Europa werden muss. Und wir müssen dagegen angehen, dass Europa manchmal bürgerfern und zu stark bürokratisiert wirkt“, so die Ministerpräsidentin. Unter Jean-Claude Juncker habe die Kommission erste wichtige und richtige Schritte in die Wege geleitet, um dem entgegen zu wirken. Diesen Weg müsse die neue Kommission konsequent weitergehen. „Nicht alles muss auf der europäischen Ebene bis ins Detail geregelt werden. Stattdessen brauchen wir Mut und eine neue gemeinsame Vision für Europas Zukunft.
Und wir brauchen junge, engagierte Menschen, die Ideen für ihre eigene Zukunft entwickeln und diese mit anderen jungen Menschen in Europa teilen“, sagte Ministerpräsidentin Malu Dreyer. Deshalb sei Rheinland-Pfalz sehr engagiert, um die Jugend fit für Europa zu machen, mit mittlerweile 64 Europaschulen, 1.300 Schulpartnerschaften oder Leuchtturmprojekten wie dem trinationalen Master in „European Studies“ der Universitäten Mainz, Dijon und Oppeln. „Im Juli übernimmt Rheinland-Pfalz den Vorsitz in der Europaministerkonferenz der Länder. Wir freuen uns sehr darauf, auch rheinland-pfälzische Akzente in der europapolitischen Diskussion zu setzen“, sagte die Ministerpräsidentin.