Grünstadt – Was die Bundesligatruppe der TSG Grünstadt in dieser Saison dem Nervenkostüm ihrer zahlreichen Anhänger zumutet, ist definitiv nicht mehr zu überbieten. Bisheriger Höhepunkt dieser emotionalen Strapazen war die beeindruckende Aufholjagd im vergangenen Heimwettkampf gegen das Überraschungsteam der TG Saar II. Schon im Vorfeld rechnete man auf der Pfälzer Seite mit einem sehr engen Ausgang. „Beide Teams sind auf Augenhöhe. Es war klar, daß dies kein Spaziergang wird. Aber der heutige Verlauf ist einfach unglaublich“, meinte ein überglücklicher Trainer Florian Bachmann.
Das Wechselbad der Gefühle nahm schon nach den ersten Duellen seinen Lauf. Justus Fröhlich durfte mit einer soliden Bodenübung die ersten Punkte für die Pfälzer bejubeln, doch das Team aus dem Saarland ließ sich von diesem Rückstand keineswegs beeindrucken und ging mit drei starken Darbietungen am Boden in Führung. Das anschließende Pauschenpferd war an diesem Tag nicht auf Grünstädter Seite, lediglich Lasse Gauch konnte das Zittergerät auf Grünstädter Seite adäquat zähmen. Der sympathische Neuzugang, erstmals nach seiner schweren Fußverletzung für die Pfälzer am Start, hielt den Rückstart in Grenzen. Erste Hoffnung für eine Wende in diesem nervenaufreibenden Wettstreit keimte bei den kraftvoll vorgetragenen Darbietungen an den Ringen auf. Der stets zuverlässige Jan Damrau, der Brite Joe Cemlyn-Jones, David Jäger und Joachim Kindler ließen mit ihren Duellen Hoffnung bei dem lautstarken Publikum aufkeimen, welche jedoch jäh beim Sprung zerstört wurde.
Grünstadt zeigte hier zweifellos eine beeindruckende Vorstellung, aber die Saarländer hatten stets die passende Antwort parat. Viktor Weber, seit Wochen in bestechender Form, hielt den Rückstand einigermaßen in Grenzen, aber eigentlich war der Wettkampf für die Pfälzer gelaufen…eigentlich….
Was danach in der ausverkauften Wettkampfarena in Grünstadt passierte, riß die Zuschauer am Ende regelrecht von den Sitzen. Trotz des deutlichen Rückstandes feuerten die Pfälzer ihr Team weiterhin an, der Funke sprang spürbar über. David Jäger und Viktor Weber starteten die fulminante Aufholjagd mit zwei blitzsauberen Übungen am Barren und erkämpften wertvolle Score-Punkte.
Danach war die Bühne frei für den rumänischen Nationalturner Vlad Cotuna. Nach seinem Einsatz bei der Turn-Weltmeisterschaft in Stuttgart unterstütze er erstmals in dieser Saison seine Mannschaft.
Genesen von seinem Kreuzbandriß im letzten Jahr zeigte er dem Anhang seine WM-Übung und wurde mit weiteren vier Punkten belohnt. Vor dem abschließenden Reckfinale glich die Halle einem Hexenkessel, das sportliche Drama bog auf die Zielgerade ein. Trotz eines Rückstandes von elf Punkten glaubte das Pfälzer Team an ihre Chance und wurden von ihrem Publikum regelrecht zur Höchstform getragen. Viktor Weber nahm sich als erstes der Nervenschlacht an und gab mit einer beeindruckenden Darbietung seinem Team Sicherheit. Vlad Cotuna durfte mit seiner Flugshow die Stimmung weiter aufheizen. Als danach David Jäger wiederholt zeigte, wie wichtig er für das Team von der Weinstraße ist und den Rückstand mit einer gekonnten Übung auf lediglich zwei Punkte schmelzen ließ, stand der Hallen-Vulkan kurz vor dem Ausbruch. Das letzte Duell mußte die Entscheidung bringen. Ausgerechnet in diesem Duell patzten die sonst sehr starken Saarländer und boten dem 17 jährigen Noah Graf die Chance, den Wettkampf völlig zu drehen. „Ich war sehr nervös, aber ich wollte mir das nicht anmerken lassen. Ich wollte diesen Sieg für das Team und für unser Publikum und als ich gelandet bin hab ich einfach nur noch gejubelt“, strahlte ein glücklicher Graf.
Die aufgestaute Anspannung in der Halle entlud sich in einem gewaltigen Jubelschrei nach Grafs Doppelsalto-Abgang und man konnte diesen mit Sicherheit in der ganzen Stadt hören. Kein Halten mehr gab es dann im TSG-Team, als auf der großen Videoleinwand die Punkte für Graf angezeigt wurden. Eine riesige Vier auf grünem Hintergrund erhellte die Halle und ließ die beeindruckende Aufholjagd ihr frenetisch umjubelndes Ende finden. „Man muß immer an sich glauben, im Sport kann alles passieren. Es ist erst vorbei, wenn es vorbei ist und nicht früher, das sage ich den jungen Athleten immer, jetzt wissen sie es“, sagte Trainer Alexander Pogoreltsev, „jetzt haben wir zwei Wochen Zeit für konzentriertes Arbeiten im Training und dann wollen wir wieder angreifen.“
Mit diesem Sieg eroberte die TSG Grünstadt den zweiten Tabellenplatz knapp hinter Eintracht Frankfurt. Der nächste Wettkampf startet am 9. November 2019 bei der KTV in Fulda.