Mannheim / Heidelberg – Dr. Michael Kötz leitet das „Internationale Filmfestival Mannheim-Heidelberg“ seit 1992, 2019 zum letzten Mal. In diesen 28 Jahren rettete er das renommierte Nachwuchsfestival vor der Schließung, erweiterte es auf Heidelberg und reformierte das Programm. Er schaffte eine Marke mit internationaler Strahlkraft, weit über die Grenzen Deutschlands hinaus – für das Publikum, die Branche und die Filmemacher in der Welt. Statt einer Bilanz haben wir ein Interview geführt.
Wie fühlt sich der Abschied nach 28 Jahren an?
Das Mannheim-Heidelberg Filmfestival ist für mich wie ein Kind, dass man groß gezogen hat, mit vielen Widrigkeiten aber auch großen Erfolgen. Das abzugeben fällt sehr schwer. Aber das 2005 auf der anderen Rheinseite von uns gegründete Festival des deutschen Films in Ludwigshafen ist sehr groß geworden und liegt nur wenige Wochen davor.
Welche Filme sind Ihnen besonders in Erinnerung?
Da gibt es einige, aber es fällt schwer, einzelne herauszustellen. In jedem Jahrgang gab es natürlich Lieblingsfilme, Filme, die ein wirkliches Talent zeigten, oft ja auch der Auftakt für große Karrieren waren. Wobei es mir immer wichtiger wurde, dass die Filme nicht nur ästhetisch interessant sind, sondern auch in ihrer menschlichen Dimension bedeutend. Am schönsten ist es, wenn Filme ihre Zuschauer als echte Partner sehen und die Autoren ihr Publikum so ernst nehmen wie sich selbst.
Welchen der Filmemacher würden Sie gerne wieder treffen und warum?
Das dürften mindestens hundert sein, aber natürlich besonders auch die Regiestars, die wir zu Gast hatten wie Krzysztof Kieslowski, Atom Egoyan, Raoul Ruiz, Daniel Schmid oder Zhang Yimou. Aber es gibt ja auch Menschen, die hinter den Kulissen agierten, ohne die aber viele großartige Filme nie niemals entstanden wären, wie Karl „Baumi“ Baumgartner. Ich freue mich, dass wir ihm 2009 einen Ehrenpreis überreicht haben. Baumi fehlt, wie so einige andere.
Wo lagen die Erfolge in den 28 Jahren?
Wir haben Hunderte neuer Regisseurinnen und Regisseure entdeckt in den vergangenen fast drei Jahrzehnten, die dann mit ihren zweiten und dritten Filmen auf den ganz großen Festivals liefen. Wir haben vor 23 Jahren die „Mannheim Meetings“ gegründet, die neben dem etwas älteren CineMart von Rotterdam ein erster großer Koproduktionsmarkt für internationale Koproduktionen waren und international sehr berühmt wurden, bis dann zwölf Jahre später dasselbe auch bei der Berlinale gemacht wurde, was alle Fördergelder aus Brüssel dorthin lenkte. Trotzdem haben wir das Projekt als „Mannheim Meeting Place“ fortgeführt und auf Start Up Producer konzentriert.
Lag der filmwirtschaftliche Aspekt also im Vordergrund?
Nein, nicht nur. Wir haben es neben all diesem Wirken für die geschäftliche Seite des Films ja außerdem geschafft, dass über die Jahre hinweg ein unglaublich treues und hoch motiviertes Publikum entstand. Es ist als das „Wunder von Mannheim-Heidelberg“ bezeichnet worden, dass hier jährlich 40 bis 50.000 Menschen ein Kinoticket kaufen, um sich Filmwerke völlig unbekannter „Newcomer“-Regisseure ohne Stars anzuschauen, und das sehr oft aus Ländern, deren Filme als nahezu unverkäuflich gelten.
Was war die größte Krise in diesen fast drei Jahrzehnten?
Eigentlich gleich am Anfang, 1993, als damals das Festival vom Mannheimer Gemeinderat einfach abgeschafft werden sollte, um ein bisschen Geld zu sparen. Das war schrecklich. Die rettende Idee nach einer durchgrübelten Nacht kam mir morgens beim Aufwachen: Ich frage Heidelberg, ob sie das Festival haben wollen. Sie wollten, also wurde eine Vereinbarung zwischen den beiden Städten geschlossen – mit dem schönen Effekt, dass sich damit ab sofort die Gemeinderäte sozusagen gegenseitig in Schach hielten, weil es ja jetzt einen Kooperationsvertrag gibt, den man nicht mehr so einfach wieder beenden kann.
Wenn Sie die Festivallandschaft von damals mit der von heute vergleichen, was hat sich verändert?
Wir haben darum gekämpft, dem Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg einen Platz im weltweiten Geschäftsbetrieb mit Arthouse Filmen zu sichern, indem wir den Filmeinkäufern hochkarätige und ganz neue Newcomerfilme boten oder den Filmproduzenten neue internationale Partner vermittelten. Seit einigen Jahren funktioniert das nicht mehr richtig, auch weil zum Beispiel ein hochdotierter Preis fehlt. Aber Mannheim, das gilt auch für Heidelberg, ist keine Filmstadt und das Verständnis darüber, was wir da eigentlich erkämpft haben, hält sich sehr in Grenzen, während zugleich andere Filmfestivals immer höhere Etats erhalten. Diese fehlende faktische Wertschätzung unserer Arbeit in Mannheim hat uns durchaus all die Jahre auch negativ begleitet, so als Grundgefühl. Das stand immer in einem extremen Kontrast zur Begeisterung des Publikums und dem Enthusiasmus der teilnehmenden Kinokünstler aus aller Welt. Denn für die jungen Regisseurinnen und Regisseure war unser Filmfestival stets ein ganz intensives Forum der Begegnung auch mit ihren Kollegen, bei dem sie jedes Jahr wieder ins Schwärmen gerieten.
Was geben Sie Ihrem Nachfolger mit auf den Weg?
Mannheim-Heidelberg wurde in den letzten Jahren immer mehr zu einem Filmfestival der sehr besonderen Art. Dass sich Publikum und Filmkünstler bei uns so intensiv treffen können und die Künstler zugleich auch untereinander, dieser fast eher soziale Aspekt, wurde immer wichtiger gegenüber jenem der medialen Herausstellung spektakulärer Einzelwerke oder Stars. Ohnehin liegt in diesem Aspekt die Zukunft von Filmfestivals: Sie sollten vor allem festliche Orte der gemeinsamen Erfahrungen mit Film im Raum des Kinos sein. Wir übergeben das Internationale Filmfestival Mannheim-Heidelberg wie ein wohl bestelltes Feld, als ein Festival mit ausgezeichneter Reputation und einem leidenschaftlichen Publikum.
Wie sind Ihre Pläne für die Zukunft?
Wir freuen uns auf Ferien, aber auch auf die Arbeit für das nächste Festival des deutschen Films 2020 in Ludwigshafen, das sich ja auch prächtig entwickelt hat. Das verlangt jetzt unseren vollen Einsatz. Darauf freuen wir uns alle.