Es ist eine von Wissenschaftlern und Technikern mit Spannung erwartete Premiere: Am 19. April 2013 hat eine Sojus-Rakete den ersten Nachfolger der langjährigen russischen Forschungssatellitenreihe BION erfolgreich ins All befördert.
"BION-M1" ist um 12 Uhr Mitteleuropäischer Sommerzeit (16 Uhr Ortszeit) vom russischen Weltraumbahnhof in Baikonur gestartet und soll die Erde bis zum 19. Mai in einer Höhe von 575 Kilometern umrunden. Wegen seiner Sonnensegel, die die internen Batterien wieder aufladen, kann der auf biologische Experimente in Schwerelosigkeit spezialisierte Satellit nun länger und in einer größeren Höhe im Orbit bleiben als seine BION-Vorgänger, die zwischen 1973 und 1996 als Forschungsplattformen im All dienten.
Algen, Buntbarsche, Schnecken und Krebse unter einem Dach
Zu den wissenschaftlichen Nutzlasten auf BION-M1 gehören auch zwei vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) geförderte Experimente: Für das "Omegahab" haben Biologen und Zoologen der Universitäten Erlangen und Hohenheim ein aus zwei Kammern bestehendes Aquarium entwickelt; ein künstliches Mini-Ökosystem, das in der Schwerelosigkeit als bioregeneratives Lebenserhaltungssystem mit eigenem Nährstoff- und Gasaustausch funktionieren soll. Nicht größer und schwerer als ein Getränkekasten ist der Experimentcontainer vier Wochen lang das Zuhause einer illustren Schicksalsgemeinschaft: der einzelligen Alge Euglena gracilis, auch Augentierchen genannt, der Wasserpflanze Hornblatt (Ceratophyllum demersum), von 40 Buntbarsch-Larven (Oreochromis mossambicus), mexikanischen Bachflohkrebsen (Hyalella azteca) und einigen Posthornschnecken (Biomphalaria glabrata). "Die Algen und das Hornblatt produzieren dabei den Sauerstoff für die Fische, Krebse und Schnecken", erklärt Markus Braun, Omegahab-Projektleiter im DLR Raumfahrtmanagement. Das von den Tieren freigesetzte Kohlendioxid wiederum verwerten die Pflanzen in ihrer Photosynthese.
Jeder "WG-Bewohner" hat seine Aufgabe
Zwischen beiden Kammern haben die Wissenschaftler einen Filter eingebaut: Hier sind Bakterien aktiv, die die Ausscheidungen der Fische zersetzen und damit Dünger für das Hornblatt und die Algen produzieren. Die Schnecken sind darüber hinaus noch als "Saubermacher" aktiv: Sie sollen die Ausscheidungen entfernen und die Scheiben "putzen". So können die Bewegungen der Fischlarven in der Schwerelosigkeit von einer Spezialkamera besser gefilmt werden. "Mit Omegahab schicken wir zum ersten Mal ein solch komplexes, in sich abgeschlossenes Ökosystem ins All, das vollkommen automatisch funktioniert", erläutert DLR-Projektleiter Markus Braun. Zugleich arbeiten die Wissenschaftler aus Deutschland mit Unterstützung des DLR eng mit russischen Forschern zusammen: So wurden die beiden Omegahab-Flugmodelle – eines ist auf BION-M1 im All, eines bleibt als Kontrollmodul am Boden – im Moskauer IBMP (Institut für Biomedizinische Probleme) der Russischen Akademie der Wissenschaften getestet, befüllt und von hier aus nach Baikonur geflogen. Die Fischlarven stammen vom staatlichen russischen Fischerei-Institut "VNIRO". Vier Arbeitsgruppen aus Moskau und Sankt Petersburg werten nach dem Weltraumflug die Ergebnisse mit aus. In Deutschland erhalten zusätzlich die Universitäten in München, Konstanz und Magdeburg einen Teil der geflogenen Proben.
Wie reagieren Zellen und Organe in Schwerelosigkeit?
Die Wissenschaftler wollen mit Omegahab herausfinden, wie genau Zellen, Organe und ganze Organismen auf Schwerelosigkeit reagieren. Bei den Fischen untersuchen sie Knochen, Muskulatur, Nervensystem, Milz und das Gleichgewichtsorgan. Dieses ähnelt dem Innenohr des Menschen. Bei den Algen werden Fortpflanzung, Photosynthese und die lichtorientierte Bewegung erforscht. Besonders neugierig sind die Biologen darauf, zu erfahren, wie Schwerelosigkeit und Strahlung die komplexen Wechselwirkungen der Organismen in einem geschlossenen Ökosystem beeinflussen. "Die Ergebnisse sind wichtig für unser Verständnis von biologischen Systemen auf der Erde und helfen uns, ressourcenschonende bioregenerative Lebenserhaltungs- und Energiesysteme zu entwickeln", erläutert DLR-Projektleiter Markus Braun. Diese können beispielsweise in extremen Umwelten wie der Antarktis oder auch auf längerfristigen bemannten und unbemannten Weltraummissionen eingesetzt werden.
Studenten testen Kleinsatelliten auf "Herz und Nieren"
Als weitere vom DLR Raumfahrtmanagement geförderte Nutzlasten fliegen auf BION-M1 drei an deutschen Hochschulen entwickelte Kleinsatelliten (Picosatelliten) mit. "Das ist für die beteiligten Studenten und Ingenieure eine sehr gute Möglichkeit, das Studium praxisnäher zu gestalten und neue Technologien unter realen Weltraumbedingungen zu testen", berichtet Christian Nitzschke, Leiter des universitären Kleinsatellitenprogramms im DLR Raumfahrtmanagement. Die "Berlin Experimental and Educational Satellites" BeeSat-2 und BeeSat-3 stammen von Studenten der Technischen Universität Berlin, SOMP-1 (Student's Oxygen Measurement Project) ist ein Projekt der Technischen Universität Dresden. Die würfelförmigen Kleinsatelliten sind bei einer Kantenlänge von zehn Zentimetern rund ein Kilogramm schwer. Sie werden zwei Tage nach dem Start des Forschungssatelliten jeweils im Abstand von 16 Sekunden von BION-M1 getrennt. Alle drei Projekte umfassen Entwicklung, Bau, und nach dem Start den Missionsbetrieb der Kleinsatelliten.
SOMP 1 soll einen Sensor, der atomaren Sauerstoff messen kann, sowie Dünnschichtsolarzellen unter Weltraumbedingungen testen. Seine geplante Lebensdauer beträgt ein Jahr. BeeSat-3 soll ein Jahr lang auf einem kreisförmigen Orbit in 575 Kilometern Höhe den neu entwickelten, für Kleinsatelliten geeigneten S-Band-Transmitter HiSPiCO (Hoch Integrierter S-Band-Sender für PICO- und NANO-Satelliten) verifizieren. Rund 50 Studenten haben den Kleinsatelliten entwickelt. BeeSat-2 ist eine wissenschaftlich-technische Mission zur Verifikation eines aktiven Lagereglungssystems unter Verwendung von Mikro-Drallrädern. "Wenn der Test erfolgreich verläuft, steht zum ersten Mal ein aktives Lageregelungssystem für Pico- und Nanosatelliten zur Verfügung", erklärt Christian Nitzschke.