Kaiserslautern – Herr Weichel, das Corona-Virus und seine Folgen ist laut Kanzlerin Merkel die größte Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg. Teilen Sie diese Ansicht?
Ohne Zweifel. Selbst das Reaktorunglück von Tschernobyl oder die Anschläge vom 11. September haben das gesamte gesellschaftliche Zusammenleben nicht annähernd so lahm gelegt, wie es dieses Virus gerade tut. Corona erfasst alle Lebensbereiche, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit, mit nicht absehbaren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen. Entscheidend wird sein, wann wir zur Normalität zurückkehren können. Das vermag aber noch keiner vorherzusagen.
Wir alle erfahren im Moment Einschränkungen unserer gewohnten Freiheit, wie sie die allermeisten von uns nie zuvor erlebt haben. Ich sage aber gleich dazu: Diese Einschränkungen sind richtig. Wir müssen die Ausbreitung irgendwie stoppen, sonst werden die grauenhaften Nachrichten, die uns aus Italien und Spanien erreichen, auch bei uns Realität.
Die Geschwindigkeit, mit der im Moment immer neue Verordnungen und Einschränkungen im Eilverfahren erlassen werden, bereitet vielen Menschen Sorge. Manche sehen sogar den Rechtsstaat gefährdet. Sehen Sie das auch so?
Erst einmal finde ich es gut und wichtig, dass wir als demokratischer Staat mit solchen Verfahren schnell und effizient auf diese Krise reagieren können. Dabei bewegen wir uns selbstverständlich im Rahmen unserer demokratischen Strukturen. Der Rechtsstaat ist also nicht im Geringsten gefährdet. Diese Einschränkungen sind nicht gemacht worden, um die Menschen zu ärgern, sondern um sie zu schützen. Man hat ja gesehen, dass trotz aller Hinweise Corona-Partys gefeiert wurden, sich weiterhin größere Gruppen in Parks und auf Spielplätzen getroffen haben. Da mussten wir reagieren, denn scheinbar halten sich manche Menschen bedauerlicherweise nicht an Hinweise oder Ratschläge, sondern scheinbar nur an gesetzlich auferlegte Maßnahmen. Das war schließlich unser letztes Mittel. Die Beschränkungen sind zeitlich befristet. Eine Verlängerung muss dann stets aufs Neue legitimiert werden. Im Übrigen habe ich vor diesen strengen Maßnahmen mehr Aufrufe aus der Öffentlichkeit gehört, den Ausgang aller zu beschränken, als solche, die sich auf Grund von Ausgangsbeschränkungen Sorgen machen.
Die demokratischen Gremien können im Moment nicht wie gewohnt tagen, auch nicht in Kaiserslautern. Wir haben eine denkwürdige Stadtratssitzung mit drei anwesenden Mitgliedern hinter uns. Nun soll ein Interimsausschuss gebildet werden. Wie geht es weiter?
Zunächst einmal gilt die Prämisse: Wir müssen unsere Stadtratsmitglieder schützen wie jeden anderen Bürger auch, also ist es unabdinglich, das Gremium zu verkleinern. Der Stadtrat ist nun am Montag zu einer Sitzung eingeladen, allerdings nicht mehr in den Großen Ratssaal, sondern in die Fruchthalle, damit die Ratsmitglieder genügend Abstand zueinander halten können. Einziger Tagesordnungspunkt soll dann die Wahl des Interimsausschusses sein. Diesem werden bis zum 10. Juli die Aufgaben des Haupt- und Finanzausschusses, des Personalausschusses und des Bauausschusses übertragen. Ebenso alle weiteren Aufgaben des Stadtrates, soweit sie diesem nicht ausdrücklich und zwingend zugewiesen sind. Sollte in der Zeit der Fall eintreten, dass der „normale“ Stadtrat einen dringenden Beschluss treffen muss, müssen wir aber wohl oder übel eine Sondersitzung durchführen, in der dann aber nur der relevante Tagesordnungspunkt behandelt wird.
Die Sitzungen sollen, wenn es die dann geltenden Verordnungen zulassen, öffentlich stattfinden, natürlich unter größtmöglichen Sicherheitsauflagen. Am Montag wird die Galerie der Fruchthalle interessierten Zuhörern offenstehen.
Wie geht man in der Verwaltung mit dem Virus um?
Wir haben hier eine sehr dynamische Situation, auf die man permanent neu reagieren muss. Seit 16. März ist das Rathaus für den normalen Publikumsverkehr geschlossen. Bereits im Februar hat die Verwaltung einen Krisenstab eingerichtet, der längst täglich zusammentritt. In den Sitzungen werden die aktuelle Situation besprochen und entsprechende Maßnahmen sowohl nach Innen wie nach Außen beschlossen. Die Themen werden reihum von den Mitgliedern eingebracht. Aus Sicherheitsgründen wurde der Stab inzwischen verkleinert und tagt im Großen Ratssaal, um die Abstände zu gewährleisten.
Innerhalb der Verwaltung wurde in den letzten Tagen eine Liste mit den jeweiligen Schlüsselfunktionen in enger Abstimmung mit den Fachreferaten erstellt und dem Krisenstab zugeleitet. Hier geht es um die Aufgaben, die wir zwingend erledigen müssen. Um die Verwaltung handlungsfähig zu halten, sind diese Schlüsselfunktionen mehrfach zu besetzen. Da wird es auch nicht ausbleiben, dass wir Kolleginnen und Kollegen von ihren bisherigen Aufgaben freistellen und auf die Schlüsselfunktionen umsetzen.
Hauptaugenmerk liegt darauf, unsere Mitarbeiter weitestgehend zu trennen, um mögliche Infektionsketten gar nicht erst entstehen zu lassen. Dank der großartigen Arbeit unserer IT ist es gelungen, auf die Schnelle eine dreistellige Zahl von Home-Office-Zugängen zu kreieren, so dass viele Kolleginnen und Kollegen nicht mehr immer ins Rathaus kommen müssen. Wir denken inzwischen aber auch über eine Art Schicht-Betrieb nach, um die Zahl der Menschen, die gleichzeitig im Rathaus anwesend sind, weiter herunterzufahren.
Konnten Sie sich schon Gedanken machen, welche fiskalischen und wirtschaftlichen Auswirkungen die Krise für Kaiserslautern haben wird?
Eins vorweg: Es ist noch nicht die Zeit für fiskalische Betrachtungen. Im Moment muss allein gewährleistet sein, dass die Versorgung läuft, egal ob sie einen Euro kostet oder zwei.
Dass diese Krise Geld kostet, liegt auf der Hand. Sehr viel Geld. Die Größenordnung kann ich jedoch kaum benennen. Unsere konkreten Ausgaben hier vor Ort, etwa für Schutzausrüstung, werden sich sicherlich beziffern lassen. Wie es jedoch mit dem großen Ganzen aussieht, wird sich zeigen müssen.
Weltweit werden ja jetzt die schweren Finanz-Geschütze ausgepackt, um das Schlimmste zu verhindern. Kaiserslautern ist Teil dieses weltweiten wirtschaftlichen Netzwerks. Darauf sind wir zu Recht stolz. Prognosen sind dadurch aber umso diffiziler. Wie wird sich die Lautrer Wirtschaft erholen? Wie werden sich die Steuern entwickeln? Wie wird sich das Corona-Jahr auf unsere Maßnahmen der Haushaltskonsolidierung auswirken? Was ist mit dem Deckel der Freiwilligen Leistungen? Behält das Land seinen harten Kurs bei? Das werden spannende Fragen, aber für die ist jetzt einfach noch nicht der richtige Zeitpunkt.
Ganz aktuell stellt uns das Land 2,5 Millionen Euro zur Corona-Bekämpfung zur Verfügung, die auch rasch ausgezahlt werden sollen.
Hat die Stadt Möglichkeiten, Unternehmern oder Künstlern, die nun vor der Pleite stehen, zu helfen? Vielleicht Steuernachlässe gewähren?
Konkret kann ich dazu noch keine Aussage treffen. Insgesamt versuchen wir unter den gegebenen Rahmenbedingungen mit viel Fingerspitzengefühl im Bereich der Forderungen/Schuldner der Stadt zu agieren. Über begründete Stundungsanträge wollen wir unbürokratisch entscheiden. Mahn- und Vollstreckungsmaßnahmen wurden bereits Mitte März ausgesetzt.
Eine Unterstützung muss aber nicht zwingend finanzieller Natur sein. Unsere KL.digital GmbH und unser Kulturreferat geben Lautrer Künstlerinnen und Künstlern in dieser Woche vier Tage lang die Möglichkeit für einen Auftritt in der Fruchthalle. Natürlich ohne Publikum, aber live und kostenlos gestreamt ins Internet. So bekommen die Künstler ein Podium, und die vielen Menschen, die zu Hause vor ihren Bildschirmen sitzen, etwas Abwechslung im Corona-Alltag.
So viele Menschen wie vermutlich noch nie sitzen derzeit in ihren Wohnungen und verlassen diese nur fürs Nötigste. Viele müssen sogar komplett zu Hause bleiben, weil sie Kontakt zu einem Patienten hatten oder selbst betroffen sind. Auch sie waren auch eine Woche lang in freiwilliger häuslicher Quarantäne. Was können Sie berichten? Wie kommt man damit klar?
Auch ich habe sehr schnell einen Home-Office-Zugang bekommen, über den ich tagtäglich in die Arbeit im Rathaus eingebunden war. Dazu unzählige Telefonate und Telefonkonferenzen. Langweilig war mir ganz und gar nicht. Wir können froh sein, dass es heute so viele Möglichkeiten der Kommunikation und Information gibt, und auch der Unterhaltung. Via Internet können die Menschen von zu Hause arbeiten und relativ problemlos mit ihren Kollegen in Kontakt bleiben. Unterhaltungs- und Informationsangebot sind gigantisch, wozu wir, wie eben gesagt, auch gerne einen kleinen Beitrag leisten. Das alles ist in diesen Zeiten Gold wert. Ich will mir gar nicht ausmalen, wie diese Krise vor 40 oder 50 Jahren verlaufen wäre. Da war ja noch nicht mal in jedem Haushalt ein Telefon.
Zum Abschluss möchte ich alle Bürgerinnen und Bürgerinnen noch mal dringend bitten, zu Hause zu bleiben. Bitte gehen Sie wirklich nur vor die Tür, wenn es nicht unbedingt notwendig ist. Nur so können wir das Virus eindämmen. Ich bedanke mich bei allen, die sich an die derzeitigen Gebote halten. Und noch viel mehr danke ich allen, die durch ihre tägliche Arbeit unmittelbar zur Bekämpfung des Virus und zur Versorgung der Bevölkerung beitragen, sei es nun der Pfleger im Klinikum oder der Kassierer im Supermarkt.
Und an uns alle: Durchhalten! Wenn wir alle an einem Strang ziehen, werden wir auch diese Krise bewältigen.