VGH BW: Beschränkung der Verkaufsfläche auf 800 m² im sonstigen Einzelhandel gleichheitswidrig – bleibt aber bis zum 03. Mai 2020 in Kraft

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH BW) (Foto: Holger Knecht)
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH BW) (Foto: Holger Knecht)

Mannheim – Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat mit Beschluss von heute dem Eilantrag eines Sportgeschäfts (Antragstellerin) gegen die Beschränkung der Verkaufsfläche auf 800 m2 im sonstigen Einzelhandel teilweise stattgegeben. Diese Beschränkung sei gleichheitswidrig, da der Handel mit Kraftfahrzeugen und Fahrrädern sowie der Buchhandel – für die keine Verkaufsflächenbegrenzung gilt – ohne sachlichen Grund privilegiert werde. Die Begrenzung der Verkaufsfläche auf 800 m2 bleibt aber vorläufig bis zum 3. Mai in Kraft.

Zur Begründung führt der 1. Senat des VGH aus: Die in § 4 Abs. 3 Nr. 12a CoronaVO vorgenommene Beschränkung der Ausnahmen von den Betriebsuntersagungen auf Einzelhandelsgeschäfte mit einer Verkaufsfläche von nicht mehr als 800 m2 sei voraussichtlich nicht grundsätzlich zu beanstanden. Denn eine solche Beschränkung dürfte geeignet sein zu verhindern, dass sehr große Mengen potentieller Kunden insbesondere in die Innenstädte strömten und dadurch weiterhin zu vermeidende sehr große Menschenansammlungen mit den damit verbundenen erheblichen Infektionsrisiken entstünden. Dem Verordnungsgeber sei es nicht verwehrt, insoweit pauschalierende Lösungen mittels plausibler Kriterien umzusetzen, wenn sich diese an infektionsschutzrechtlichen Gründen orientierten und gleichheitsgerecht angewandt würden. Die Erwägung, dass der großflächige Einzelhandel eine besondere Anziehungskraft habe und dessen unbegrenzte Öffnung zu starken Kundenströmen in den Innenstädten und im ÖPNV und damit zu sehr erheblichen Infektionsgefahren führen könne, erscheine plausibel und sachgerecht.

Für die Privilegierung des Handels mit Kraftfahrzeugen und Fahrrädern – für die die Landesregierung (Antragsgegner) keine Gründe anführe – fehle eine Rechtfertigung. Ein sachlicher Grund für die Bevorzugung ergebe sich nicht daraus, dass dieser Handel typischerweise nicht in Geschäften, die in der Innenstadt lägen, erfolge, dass in diesen Geschäften die Kundenfrequenz geringer ausfalle und dass diese Geschäfte in der Regel eine so große Verkaufsfläche hätten, dass sich Kunden sowie Verkäufer dort allenfalls in geringem Umfang begegneten, so dass die Gefahren der Übertragung des Coronavirus ausgesprochen gering seien. Denn diese Gesichtspunkte hätten für eine unbeschränkte, nicht auf 800 m2 Verkaufsfläche begrenzte Zulassung auch von zahlreichen anderen Geschäften, z.B. des Möbelhandels gesprochen. Zudem lägen die genannten Aspekte – große Verkaufsflächen, keine Innenstadtlage, geringere Kundenfrequenz – offensichtlich im Fall des Buchhandels nicht vor. Dieser sei gleichwohl ohne eine Begrenzung auf 800 m2 Verkaufsfläche ab dem 20. April 2020 wieder möglich.

Das Vorbringen des Antragsgegners, die Bevorzugung des Buchhandels diene dem Zugang der Bevölkerung zu Zeitungen und Zeitschriften und damit der Meinungsbildung der Bürger, könne diese Ungleichbehandlung nicht rechtfertigen. Zum einen sei in keiner Weise erkennbar, dass diese behaupteten Funktionen nicht auf einer auf 800 m2 begrenzten Verkaufsfläche erfüllt werden könnten. Zum anderen sei die in einem demokratischen Rechtsstaat zweifellos elementare und in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Freiheit des Bürgers, sich unbeschränkt zu informieren, durch die schon seit Mitte März nach § 4 Abs. 3 Nr. 10 CoronaVO bestehende Ausnahme für den Zeitschriften- und Zeitungsverkauf zu einem sehr erheblichen Teil gewährleistet gewesen.

Insgesamt sei daher nicht zu erkennen, dass die Begrenzung der Zulassung sonstiger Einzelhandelsgeschäfte auf eine Verkaufsfläche von 800 m2 bei gleichzeitiger unbegrenzter Zulassung des Handels mit Kraftfahrzeugen, Fahrrädern und Büchern einem nach Gesichtspunkten des Infektionsschutzes stimmigen Regelungskonzept folge oder aus sonstigen Gründen den Anforderungen des Gleichbehandlungsgrundsatzes genüge. Die Privilegierung des Handels mit Kraftfahrzeugen, Fahrrädern und Büchern beruhe vielmehr auf nicht sachgerechten Erwägungen.

Der Antrag sei jedoch nur teilweise begründet. Denn dem Antragsgegner stünden verschiedene Möglichkeiten offen, den voraussichtlichen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG zu beseitigen. Der allgemeine Gleichheitssatz sei grundsätzlich kein Instrument, das es Beteiligten erlaube, die anderen eingeräumte, sie selbst nicht betreffende Vergünstigung zu bekämpfen und so auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüfen zu lassen. Folglich könne die Landesregierung insbesondere entweder eine Begrenzung der Verkaufsflächen auf 800 m2 auch für den Buchhandel sowie den Handel mit Kraftfahrzeugen und Fahrrädern vorsehen oder diese Begrenzung in der Corona-Verordnung für sonstige Einzelhandelsbetriebe aufheben. Nehme sie keine diesbezügliche Änderung der Corona-Verordnung vor, werde die Begrenzung der Verkaufsfläche auf 800 m2 ab dem 4. Mai 2020 vorläufig außer Kraft gesetzt.


Der Beschluss vom 30. April 2020 ist unanfechtbar (Az. 1 S 1101/20).