Mannheim – Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat soeben der Beschwerde der AfD (Antragstellerin) gegen das Verbot der für morgen geplanten Demonstration auf dem Schillerplatz in Stuttgart teilweise stattgegeben. Aus Gründen des Schutzes von Versammlungsteilnehmern, Polizisten und Gegendemonstranten vor einer Infektion mit dem Coronavirus und des Schutzes der Bevölkerung vor einer weiteren Ausbreitung des Virus kann die Versammlung nur unter strengen Auflagen stattfinden.
Das Verwaltungsgerichts Stuttgart hat gestern einen Eilantrag des Landesverbands Baden-Württemberg der AfD gegen das von der Landeshauptstadt Stuttgart (Antragsgegnerin) verfügte Versammlungsverbot auf dem Schillerplatz in Stuttgart-Mitte am 24. Mai 2020 abgelehnt und damit das Verbot bestätigt. Es sei zu erwarten, dass auf Seiten der Gegendemonstranten ein erhebliches Gewaltpotential bestehe und es nicht bei verbalen Angriffen oder Störungen aus einiger Entfernung verbleiben würde, sondern körperliche Auseinandersetzungen mit Polizeibeamten in größerer Zahl zu erwarten seien. Auseinandersetzungen solcher Art würden zu einem erheblichen Infektionsrisiko aller daran beteiligten Personen führen, sowohl der Polizeibeamten als auch der Gegendemonstranten. Daher sei ausnahmsweise mangels Abwendungsmöglichkeit durch Auflagen und vor dem Hintergrund der SARS-CoV-2-Pandemie ein Vorgehen gegen die – voraussichtlich selbst friedliche – Versammlung als Nichtstörerin gerechtfertigt.
Hiergegen hat die AfD Beschwerde zum VGH eingelegt. Der 1. Senat des VGH hat der Beschwerde zum Teil stattgegeben. Er hat den Sofortvollzug des Versammlungsverbots unter folgenden Auflagen aufgehoben:
- Die Zahl der Teilnehmer der von der Antragstellerin für den 24.05.2020 angemeldeten Versammlung wird auf 100 Personen begrenzt.
- Die Teilnehmer der Versammlung haben zur Anreise an den und zur Abreise vom Schillerplatz bis zu zwei geschlossene Busse zu benutzen, die von der Antragstellerin als Veranstalterin der Versammlung zu stellen sind.
- Die Teilnehmer der Versammlung haben in den Bussen eine nicht-medizinische Alltagsmaske oder eine vergleichbare Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen.
- Die Antragstellerin hat mindestens 5 Ordner einzusetzen.
- Die Teilnehmer der Versammlung haben auf dem Schillerplatz untereinander und zu anderen Personen einen Mindestabstand von 1,5 Metern einzuhalten.
- Die Antragsgegnerin hat auf dem Schillerplatz Markierungen auf dem Boden anzubringen, die einen Abstand von mindestens 2 Meter zueinander aufweisen, und von den Teilnehmern der Versammlung während derselben als Standort einzunehmen sind.
Zur Begründung führt er aus: Es sei, wie vom Verwaltungsgericht ausführlich und überzeugend dargelegt, nicht mit der Einhaltung der derzeit gebotenen Abstands- und Hygieneregeln zu rechnen, wenn die Versammlung wie angemeldet und ohne jegliche Auflagen durchgeführt werde, da dann Zusammenstöße mit unmittelbaren körperlichen Kontakt jedenfalls mit Gegendemonstranten aus dem linken Spektrum sowie insbesondere zwischen diesen und der Polizei sehr wahrscheinlich seien.
Trotz dieser infektionsschutzrechtlichen Gefahren erweise sich das angefochtene Verbot jedoch voraussichtlich als unverhältnismäßig. Der Schillerplatz sei in weiten Teilen von mehrstöckigen Gebäuden umgeben und weise wenige und überwiegend schmale Zugänge auf. Diese könnten die Antragsgegnerin und die Polizei so kontrollieren, dass Demonstranten und Gegendemonstranten voneinander getrennt blieben. Der Gefahr eines Aufeinandertreffens beider Gruppen bei der An- und Abreise zum Schillerplatz könne dadurch Rechnung getragen werden, dass die Teilnehmer der Versammlung auf eine individuelle und ungeschützte An- und Abreise verzichten und hierfür stattdessen auf geschlossene Busse zurückgreifen und in diesen die gebotenen Infektionsschutzmaßnahmen durch Mund-Nasen-Bedeckungen ergreifen.
Die Gefahren für die Teilnehmer von Gegendemonstrationen und Polizeibeamten, wenn Gegendemonstranten den Konflikt mit diesen suchten und die Versammlung der Antragstellerin zu stören versuchten, könnten durch die Begrenzung der Teilnehmerzahl auf 100 und die Anreise mit Bussen zwar nicht vollständig ausgeräumt, aber in erheblichem Umfang reduziert werden. Diese Auflagen ermöglichten im Vergleich zu einem Verbot einer Versammlung als milderes Mittel auch die Beobachtung des Verlaufs der Versammlung und ggfs. eine zügige Auflösung.
Zwar verblieben Infektionsgefahren insbesondere für Polizeibeamte – wenn auch in dem Rahmen der Reduzierungsmöglichkeiten durch das Tragen von Helmen, Schutzkleidung und Mund-Nasen-Bedeckungen – ebenso wie für Teilnehmer der Gegendemonstration, wenn diese nicht bereit seien, die derzeit geltenden Abstandsgebote aus § 3 Abs. 1 CoronaVO einzuhalten oder gar zu gewalttätigen Maßnahmen griffen. Diese verbleibenden Risiken müssten aber angesichts der besonderen Bedeutung der Versammlungsfreiheit derzeit hingenommen werden. Andernfalls hätten es zu Rechtsverstößen bereite Personen auf möglicherweise lange Zeit – unter Umständen bis zum Bereitstehen eines Impfstoffes gegen das Coronavirus – in der Hand, durch Ankündigung von rechtswidrigem Verhalten per se rechtmäßige Versammlungen vollständig unmöglich zu machen. Ein solches Ergebnis wäre rechtsstaatlich auf Dauer kaum tragbar. Diese Abwägung zwischen Infektionsgefahren und Versammlungsfreiheit könne in künftigen Einzelfällen auch wieder anders ausfallen, falls sich das Infektionsgeschehen deutlich anders entwickele.
Der Beschluss des VGH ist mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht anfechtbar. Es kann jedoch (mit einem außerordentlichen Rechtsmittel) eine einstweilige Anordnung beim Bundesverfassungsgerichts oder beim Verfassungsgerichtshof Baden-Württemberg beantragt werden (1 S 1586/20).