Berlin – Zu ihren heutigen Vorschlägen am 01.07.2020 erklärt die Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz Christine Lambrecht: „Mit den erschütternden sexualisierten Gewalttaten, die in den letzten Wochen aufgedeckt wurden, wurde Kindern unermessliches Leid zugefügt. Ihr Vertrauen, sicher und geborgen leben zu können, wurde auf das Schlimmste verletzt. Angesichts der Dimension dieser systematisch organisierten Gräueltaten müssen wir ein ganz klares Signal aussenden, dass der Schutz unserer Kinder oberste Priorität hat und die Täter mit aller Konsequenz verfolgt und bestraft werden.
Kein Täter darf sich vor Entdeckung sicher fühlen. Der Verfolgungsdruck muss deshalb massiv erhöht werden. Das schreckliche Unrecht dieser Taten muss auch im Strafmaß zum Ausdruck kommen. Ich will, dass sexualisierte Gewalt gegen Kinder ohne Wenn und Aber ein Verbrechen ist. Gleiches gilt für Kinderpornografie, mit der diese widerlichen Taten gefilmt und verbreitet werden. Wer mit der Grausamkeit gegen Kinder Geschäfte macht, soll künftig mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft werden können.
Gleichzeitig müssen wir die Prävention stärken. Wir brauchen höhere Wachsamkeit und Sensibilität für Kinder, die gefährdet sind oder Opfer von sexualisierter Gewalt wurden. Wichtige Qualifikationen für Familien- und Jugendrichter, Jugendstaatsanwälte und Verfahrensbeistände werden wir gesetzlich festschreiben.
Neben meinen heutigen Vorschlägen steht ein Vorhaben weiter ganz oben auf der Agenda: Wer es mit dem Schutz von Kindern ernst meint, muss die Kinderrechte im Grundgesetz verankern. Bei jedem staatlichen Handeln muss das Kindeswohl im Blick sein. Jedem Kind muss zugehört werden. Jeder Anhaltspunkt für eine Gefährdung eines Kindes muss ernst genommen werden. Das würden die Kinderrechte im Grundgesetz verdeutlichen. Im Interesse der Kinder müssen wir über meinen Vorschlag endlich in Bundestag und Bundesrat beraten.“
Das Reformpaket enthält folgende Kernpunkte:
- „Sexualisierte Gewalt gegen Kinder“: Der „sexuelle Missbrauch von Kindern“ (§§ 176 bis 176b StGB) soll mit diesem Begriff gesetzlich neu gefasst werden, um das Unrecht der Taten klar zu beschreiben.
- Der Grundtatbestand der sexualisierten Gewalt gegen Kinder soll künftig ein Verbrechen sein, strafbar mit Freiheitsstrafe von einem bis zu 15 Jahren (bisher Vergehen mit sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe). Taten ohne Körperkontakt wie sexuelle Handlungen vor den Augen eines Kindes werden in einem eigenen Tatbestand geregelt, mit dem bisherigen Strafrahmen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe.
- Der „minder schwere Fall“ bei schwerer sexualisierter Gewalt gegen Kinder (bisher § 176a StGB) wird gestrichen.
- Kinderpornografie, die sexualisierte Gewalt an Kindern zeigt: Die Verbreitung solcher Bilder und Videos soll ein Verbrechen mit einer Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren sein (bisher Vergehen mit drei Monaten bis fünf Jahren Freiheitsstrafe). Besitz und Besitzverschaffung sollen Verbrechen mit Freiheitsstrafen von einem bis zu fünf Jahren sein (bisher Vergehen mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe). Die gewerbs- oder bandenmäßige Verbreitung soll künftig mit Freiheitsstrafe von zwei bis 15 Jahren geahndet werden können.
- Der Straftatbestand des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen soll um Tathandlungen mit oder vor Dritten erweitert werden.
- Für das Vorzeigen pornografischer Inhalte wird eine Versuchsstrafbarkeit für die Fälle eingeführt, in denen der Täter irrig glaubt, mit einem Kind zu kommunizieren, in Wahrheit aber mit einem Elternteil oder Polizeibeamten in Kontakt steht. Eine vergleichbare Regelung ist erst kürzlich für das Cybergrooming eingeführt worden.
- Für Familienrichterinnen und Familienrichter sollen spezifische Eingangsqualifikationen im Gerichtsverfassungsgesetz eingeführt werden.
- Für Jugendrichterinnen und Jugendrichter sowie Jugendstaatsanwältinnen und Jugendstaatsanwälte sollen besondere Qualifikationsanforderungen insbesondere zum Umgang mit kindlichen Zeugen geregelt werden.
- Das Bundesjustizministerium wird den Ländern in diesen Bereichen eine allgemeine Fortbildungspflicht für Richterinnen und Richter in allen Landesrichtergesetzen vorschlagen.
- Für die Verfahrensbeistände, die „Anwälte des Kindes“ im Verfahren sind, sollen ebenfalls Qualifikationsanforderungen gesetzlich geregelt werden.
- Die Vorschriften über die persönliche Anhörung von Kindern in Kindschaftsverfahren sollen ergänzt werden.
- Die Fristen für die Aufnahme von bestimmten Verurteilungen in das erweiterte Führungszeugnis sowie für die Tilgung dieser Eintragungen im Bundeszentralregister sollen erheblich verlängert werden, um den auskunftsberechtigten Behörden, aber auch den im Rahmen der Kinder- und Jugendarbeit tätigen Organisationen Zugang zu lange zurückliegenden Verurteilungen zu gewähren.
Bei schwerer sexualisierter Gewalt gegen Kinder soll die Anordnung von Untersuchungshaft auch dann möglich sein, wenn kein Haftgrund nach § 112 Absatz 2 StPO (Flucht- oder Verdunkelungsgefahr) vorliegt.