Ludwigshafen / Mainz – „Auf eine Strafe von 200 EUR und einmonatiges Fahrverbot muss sich eine 56-jährige Frau aus München einstellen, weil sie es versäumt hatte am Samstagvormittag, 11.07.2020, gegen 11:30 Uhr eine Rettungsgasse im Stau auf der BAB 61 in Richtung Norden, unmittelbar vor dem Autobahnkreuz Ludwigshafen, zu bilden“, so die Polizei in einer Pressemitteilung. Das Problem: die Polizei war nicht befugt, ein Fahrverbot auszusprechen, da die StVO-Novelle 2020 aufgrund eines Formfehlers nichtig ist.
Wir berichteten:
Ludwigshafen: Frau verliert den Führerschein für einen Monat – Rettungsgasse nicht gebildet
StVO-Novelle 2020 am 28.04.2020 in Kraft getreten – ab 02.07.2020 wieder außer Kraft
In einer Videokonferenz des Bundesverkehrsministeriums mit den Innen- und Verkehrsministerien der Länder hat das Bundesministerium am 02.07.2020 mitgeteilt, dass die Änderung der Bußgeldkatalog-Verordnung, die am 28. April 2020 in Kraft getreten war, aufgrund eines Formfehlers nichtig sei. Laufende Bußgeldverfahren seien deshalb nach der alten Rechtslage vor dem 28. April abzuwickeln.
Das rheinland-pfälzische Innenministerium hat noch am gleichen Tag die Polizeipräsidien, die Zentrale Bußgeldstelle des Landes sowie die kommunalen Bußgeldbehörden auf diesen Umstand hingewiesen. Polizeibehörden und Bußgeldstelle arbeiten ab sofort wieder auf Basis der alten Rechtslage vor der Neufassung Ende April. „Eine direkte Reaktion war notwendig. Die Polizeibeamtinnen und -beamten müssen sich im Einsatz auf eine gültige rechtliche Regelung berufen können. Allerdings hat uns der Bundesverkehrsminister einen Bärendienst erwiesen“, so Innenminister Roger Lewentz.
Rettungsgasse blockieren war früher ein „Schnäppchen“ – und ist es zur Zeit wieder
Bis zum 27.04.2020 betrug das Verwarnungsgeld 20 Euro, wenn keine Rettungsgasse gebildet wurde. Punkte im Fahreignungsregister waren nicht vorgesehen. Ab dem 28.04.2020 galten folgende Sanktionen:
- Bußgeld in Höhe von 200 Euro plus 2 Punkte im Fahreignungsregister plus 1 Monat Fahrverbot,
- bei Behinderung: Bußgeld von 240 Euro plus 1 Monat Fahrverbot,
- mit Gefährdung: Bußgeld von 280 Euro plus 1 Monat Fahrverbot,
- mit Sachbeschädigung: Bußgeld von 320 Euro plus 1 Monat Fahrverbot
Ein einfaches „Nichtbilden der Rettungsgasse“, kostete´ somit richtig Geld und tut richtig weh in Verbindung mit dem Fahrverbot – allerdings nur, wenn die 54. VO zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 20. April 2020 gelten würde. Zum 02.07.2020 gilt wieder der alte Bußgeldkatalog – mit 20 Euro, ohne Fahrverbot.
Innenministerium sieht keine Veranlassung zu reagieren
„In der Diskussion um den Formfehler in der neuen Bußgeldkatalog-Verordnung des Bundesverkehrsministeriums sieht Rheinland-Pfalz keine rechtliche Grundlage für eine Rücknahme bereits rechtskräftig gewordener Bescheide. Zu diesem Ergebnis kommt eine juristische Prüfung sowohl für Verwarnungen, als auch für Bußgelder und Fahrverbote. Die Rechtskraft eines Bescheides schließt eine Rücknahme durch die Verwaltungsbehörde endgültig aus. Bei Bescheiden, die bereits erlassen wurden, aber aufgrund der Einspruchsfristen noch nicht rechtskräftig geworden sind, stehen Betroffenen die regulären Rechtsmittel offen.“, so das rheinland-pfälzische Ministerium des Innern.
Die Antwort, weshalb die Polizei gegen die Fahrzeugführerin ein rechtswidriges Fahrverbot inkl. hoher Geldstrafe und Punkten verhängt hat und ob die Frau Einspruch einlegen muss, um zu ihrem Recht zu kommen, blieb das rheinland-pfälzischen Innenministerium auf Anfrage (zuerst) schuldig.
Nachtrag: Das Ministerium des Innern und für Sport beantwortete unsere Presseanfrage
„Mit Schreiben vom 2. Juli 2020 wurden die Polizeibehörden und damit auch die Zentrale Bußgeldstelle angewiesen, unmittelbar die Bußgeldvorschriften nach alter Rechtslage, wie sie vor dem 28. April 2020 gültig waren, anzuwenden. Diese Information leitete das PP Rheinpfalz an alle Dienststellen weiter. Das festgestellte Verhalten der Fahrzeugführerin ist mit einem Bußgeld von 200 Euro belegt. Im Rahmen der Pressemitteilung wurde, so hat es das Polizeipräsidium mitgeteilt, irrtümlicherweise ein falsches Strafmaß benannt. Die Betroffene muss keinen Einspruch einlegen. Der Bußgeldbescheid wird von der Zentralen Bußgeldstelle ohnehin nach alter Rechtslage erlassen.“
Ein Kommentar:
Rettungsgassen sind wichtig und retten Leben, keine Frage. Es ist befremdlich, dass es der Letzte (noch) nicht verstanden hat, dass selbst bei zähfließendem Verkehr eine Rettungsgasse gebildet werden muss, da man jederzeit mit dem Verkehrsstillstand rechnen muss. Verstöße sind zu ahnden, da gibt es keine Frage, und die Erhöhung des Bußgeldes und die Einführung eines Fahrverbots sind zu begrüßen. Ein Sprichwort sagt: „Man lernt nur über den Geldbeutel.“ Wenn die Politik allerdings beschließt, dass der alte Bußgeldbescheid wieder gilt, und eine Polizeibehörde sich trotz Weisung des Innenministeriums darüber hinwegsetzt (warum auch immer), ist das rechtswidrig. Wer Fehler macht, muss dafür geradestehen. Wenn allerdings nur die Bürger für Fehler zur Rechenschaft gezogen werden und Politiker sowie Behörden keine Fehler sehen und aussitzen, schwindet das Vertrauen in die Politik und den Rechtsstaat.