Mannheim – Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat mit Beschluss vom 16. Juli 2020 einen Eilantrag gegen die Corona-Verordnung Einreise Quarantäne des Ministeriums für Soziales und Integration (Antragsgegner) vom 14. Juli 2020 abgelehnt.
Die Corona-Verordnung Einreise Quarantäne bestimmt eine Pflicht für Einreisende aus Risikogebieten, dass sie sich nach der Einreise auf direktem Weg in die eigene Häuslichkeit begeben und dort für 14 Tage in Quarantäne bleiben müssen. Die Türkei gehört zu den vom Antragsgegner festgelegten Risikogebieten. Die Pflicht, sich in Quarantäne zu begeben, besteht nicht, wenn der Einreisende aus einem Risikogebiet einen negativen Coronatest vorlegen kann, der höchstens 48 Stunden vor der Einreise nach Deutschland vorgenommen worden ist.
Der Antragsteller ist nach seinem Vorbringen als Rechtsanwalt in Stuttgart tätig und betreibt eine Einzelkanzlei. Er habe auch Mandanten in der Türkei, die er betreue. Er beabsichtige, sowohl aufgrund von geschäftlichen als auch privaten Gründen, um Urlaub zu machen, vom 21.07.2020 bis zum 04.08.2020 in die Türkei zu verreisen. Er habe hierfür ein Flugticket gebucht. In diesem Zeitraum wolle er sich in Izmir aufhalten. Dort habe er eine Unterkunft angemietet. Diese werde sorgfältig gereinigt und desinfiziert. Aufgrund der Corona-Verordnung Einreise Quarantäne bestehe für die Rückreise aus der Türkei eine Quarantänepflicht. Diese sei rechtswidrig. Die Türkei habe ein Zertifizierungsprogramm mit sehr umfassenden Kriterien für Flughäfen, Flugzeuge, Touristenfahrzeuge, Unterkünfte und Restaurants gestartet. Die Zertifizierung erfolge überwiegend durch deutsche Unternehmen, insbesondere den TÜV Süd, um den deutschen Standards zu entsprechen. Die Türkei sei hinsichtlich der Anzahl der Intensivbetten und Beatmungsgeräte sehr gut auf den Kampf gegen Covid-19 vorbereitet.
Der 1. Senat des VGH hat den Antrag abgelehnt. Zur Begründung führt er aus: Es sei grundsätzlich nicht zu beanstanden, die Pflicht zur Quarantäne an die Einreise aus einem ausländischen Risikogebiet anzuknüpfen. Denn die Einreise aus anderen Ländern mit einem erheblichen Infektionsgeschehen stelle eine bedeutende Gefahrenquelle für eine Weiterverbreitung des Coronavirus in Deutschland dar. Es sei jedoch offen und bedürfte einer vertieften Klärung in einem Hauptsacheverfahren, ob die Einstufung der Türkei als Risikogebiet hinreichend auf konkret nachvollziehbare Tatsachen gestützt sei.
Nach den offiziellen Zahlen der Türkei liege die Zahl der Neuinfizierten pro 100.000 Einwohner in den letzten sieben Tagen zwischen 10 und 15 und damit unter dem Schwellenwert von 50 Neuinfizierten pro 100.000 Einwohnern. Ob der Antragsgegner gleichwohl von einer Überschreitung des Werts von 50 Neuinfizierten pro 100.000 Einwohner in den letzten sieben Tagen ausgehe, da – so sein Vorbringen – unterschiedliche Testkapazitäten und symptomlos verlaufende Erkrankungen dazu führten, dass von einer noch höheren Dunkelziffer ausgegangen werden müsse, lege der Antragsgegner nicht dar. Nähere Ausführungen zu den vom Antragsgegner angeführten weiteren qualitativen Bewertungskriterien – lokal begrenzter oder flächendeckender Ausbruch, Testkapazitäten, durchgeführte Tests pro Einwohner, ergriffene Maßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens – fehlten in der Antragserwiderung des Antragsgegners gänzlich. Unklar bleibe auch, worauf die Ausführungen des Antragsgegners fußten, dass die Verlässlichkeit der Angaben des Gesundheitsministers der Türkei zum Infektionsgeschehen nicht als hoch eingestuft werde und es hierzu unterschiedliche Angaben und Wahrnehmungen vor Ort gebe.
Dem Senat dränge sich jedoch nicht auf, dass für die Einschätzung der Türkei als Risikogebiet jegliche Grundlage fehle. Selbst die offiziellen Infektionszahlen der Türkei seien im Verhältnis zu den deutschen Infektionszahlen hoch. Die Zahl der Fälle von Neuinfektionen in den letzten sieben Tagen in Deutschland habe am 16. Juli 2020 – bei nahezu identischer Einwohnerzahl wie die Türkei – 2.304 betragen und sei damit erheblich geringer als die für die Türkei anzunehmende 7-Tages-Inzidenz von jedenfalls etwa 7.000 bis 8.000. Auch zeige die Statistik des Robert-Koch-Instituts, dass ein nicht zu vernachlässigendes Risiko von Infektionen durch Einreisen aus der Türkei bestehe. Zum 15. Juli 2020 sei die Türkei unter den Ländern, aus denen Personen mit dem Coronavirus nach Deutschland kommen, das mit dem vierthöchsten absoluten Wert.
Bei diesen offenen Erfolgsaussichten in der Hauptsache komme es im vorliegenden Eilverfahren auf eine Abwägung der betroffenen Interessen an. Der Antragsteller könne durch die Vorlage eines negativen Coronatests, der höchstens 48 Stunden vor Einreise nach Deutschland vorgenommen worden sei, die Pflicht zur häuslichen Quarantäne abwenden. In der Türkei könnten Coronatests ohne Weiteres, insbesondere an Flughäfen, durchgeführt werden. Ein solcher Test sei dem Antragsteller angesichts der geringen hierfür anfallenden Kosten von weniger als 15,– EUR auch zumutbar. Das Testergebnis liege bei der Einreise höchstwahrscheinlich vor, wenn der Test am Tag vor der Abreise durchgeführt werde. Möglich sei zudem auch die Durchführung eines Coronatests direkt nach Ankunft in Deutschland am Flughafen oder bei direkter Fahrt dorthin am Ort der Unterbringung. Daher müssten die Interessen des Antragstellers hinter denen des allgemeinen Gesundheitsschutzes zurücktreten. Aus diesen Gründen sei sein Antrag abzulehnen.
Der Beschluss ist unanfechtbar (Az. 1 S 1792/20).