Neustadt an der Weinstraße – Das Verwaltungsgericht Neustadt/Weinstraße hat aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 17. Februar 2021 der Klage eines Polizeibeamten stattgegeben und das beklagte Land Rheinland-Pfalz verpflichtet, einen Dienstunfall anzuerkennen, nachdem sich der Beamte selbst „in den Dienst versetzt“ hatte. Folgender Sachverhalt lag zugrunde:
Der Polizeibeamte war außerhalb seiner Dienstzeit als Privatmann mit seiner Lebensgefährtin unterwegs. Diese wurde, als sie mit dem Auto auf einem Feldweg auf den Kläger wartete, von anderen Personen verbal angegriffen und beleidigt. Der hinzueilende Kläger versuchte zunächst zu schlichten, die Lage eskalierte aber weiter. Er gab sich sodann als Polizeibeamter zu erkennen und wollte die Personalien der anderen Personen aufnehmen, um die Beleidigungen gegenüber seiner Lebensgefährtin zur Strafanzeige zu bringen. Im weiteren Verlauf der fortdauernden und zunehmend aggressiven Auseinandersetzung fuhr einer der beteiligten Männer mit seinem PKW auf den Polizisten zu, verletzte ihn hierdurch am Bein und versetzte ihm im Anschluss einen Faustschlag seitlich von hinten gegen den Kopf, wofür er später strafgerichtlich wegen Körperverletzung verurteilt wurde. Der Beamte war kurz bewusstlos, seine Lebensgefährtin rief mit ihrem Mobiltelefon eine Polizeistreife herbei, die nach ihrem Eintreffen die weitere Bearbeitung übernahm.
Der Kläger trug von dem Ereignis mehrere Verletzungen davon und beantragte bei seinem Dienstherrn, dem Land Rheinland-Pfalz, den Vorfall als Dienstunfall anzuerkennen. In diesem Fall steht ihm unter anderem ein Anspruch auf Erstattung der Heilbehandlungskosten als Dienstunfallfürsorgeleistung des Landes zu. Das Land lehnte die Anerkennung eines Dienstunfalls ab mit der Begründung, der Streit habe im privaten Bereich stattgefunden, der Kläger sei nicht im Dienst gewesen. Es habe auch keine Situation vorgelegen, die sein sofortiges Einschreiten als Polizeibeamter erforderlich gemacht hätte. Eine Gefahr in Verzug habe nicht bestanden. Der Kläger hätte deeskalierend handeln und wegen der Beleidigungen gegen seine Lebensgefährtin die zuständige Polizeidienststelle verständigen können. Da er sich aus diesen Gründen nicht wirksam selbst in den Dienst versetzt habe, liege auch kein Dienstunfall vor.
Der Kläger erhob gegen diese Entscheidung nach erfolgloser Durchführung eines Widerspruchsverfahrens Klage beim Verwaltungsgericht und trug vor, er habe sich wegen des immensen Aggressionspotentials der damaligen Auseinandersetzungen als Polizeibeamter zu erkennen gegeben, zu dem Zweck, die Straftaten einzudämmen, weitere zu verhindern und notwendige Feststellungen zu treffen. Zumindest von dem Beteiligten, der sein Fahrzeug als Waffe eingesetzt und ihn geschlagen habe, sei eine unmittelbare Gefahr ausgegangen. Deshalb sei er berechtigt gewesen, nicht auf das Eintreffen einer Polizeistreife zu warten, sondern sich selbst als Polizeibeamter in den Dienst zu versetzen.
Die zuständige 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Neustadt folgte der Auffassung des Klägers und führt dazu in ihrem Urteil im Einzelnen aus: Ein Dienstunfall könne auch dann vorliegen, wenn sich ein Beamter, der sich im Zeitpunkt des Unfallgeschehens nicht im Dienst befunden habe, wirksam in den Dienst versetze und ein enger Zusammenhang zwischen dem Dienst und dem Unfall bestehe. Der Beamte befinde sich dann in Ausübung des Dienstes, wenn er aufgrund eigenen Entschlusses aus triftigen und objektiv nachprüfbaren Gründen eine für diesen Zeitpunkt und an diesem Ort nicht vorgeschriebene dienstliche Handlung vornehme. Das gelte auch für Polizeivollzugsbeamte, wenn sie zum Zweck der Verbrechensbekämpfung oder der Gefahrenabwehr einschritten, und zwar unabhängig davon, ob sie gerade Uniform trügen oder nicht.
Für die Kammer stehe fest, dass sich der Kläger nach diesen Maßstäben wirksam selbst in den Dienst versetzt habe. Das ergebe sich aufgrund seiner umfassenden und glaubhaften Angaben im Rahmen der polizeilichen Vernehmung zu dem Vorfall sowie seiner Zeugenvernehmung in der Verhandlung des Strafgerichts wegen Körperverletzung gegen den anderen Beteiligten. Der Kläger sei damals aus objektiv nachprüfbar triftigen Gründen berechtigt gewesen, sich in den Dienst zu versetzen. Zur Aufgabe der Polizei im Rahmen der Gefahrenabwehr gehöre auch das Verhindern oder Ahnden von Vergehen wie Beleidigungen. Es habe insgesamt eine aggressive, aufgeheizte Situation vorgelegen, deren Ausgang für den Beamten zum Zeitpunkt seines Einschreitens nicht absehbar gewesen sei. Dass er durchaus ein privates Interesse an der Verhinderung weiterer Beleidigungen gegenüber seiner Lebensgefährtin gehabt habe, ändere an dieser Bewertung nichts, weil jedenfalls auch eine gleichwertige dienstliche Pflicht zum Einschreiten als Polizeibeamter bestanden habe, in der Hoffnung, dass sich die Lage beruhige, wenn er sich als solcher zu erkennen gebe.
Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts kann innerhalb eines Monats nach Zustellung ein Antrag auf Zulassung der Berufung durch das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz gestellt werden.