Neustadt an der Weinstraße – Die Abschiebung einer im Asylverfahren erfolglos gebliebenen armenischen Familie durch die Ausländerbehörde der Stadt Ludwigshafen ist rechtmäßig gewesen. Das geht aus einem Beschluss des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße hervor.
Bei den Betroffenen handelt es sich um ein Ehepaar und ihre im Jahr 2009 und 2016 geborenen Kinder. Sie reisten im Juni 2017 zusammen mit einem weiteren Sohn, der im Januar 2005 geboren ist, in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten Asylanträge. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte die Anträge der gesamten Familie mit Bescheid vom 25. Juli 2017 ab, verbunden mit der Aufforderung, innerhalb von 30 Tagen auszureisen. Für den Fall der Nichtbeachtung der Ausreisepflicht wurde allen Familienmitgliedern die Abschiebung nach Armenien angedroht. Gegen diese Entscheidung erhoben die Betroffenen Klage zum Verwaltungsgericht Trier, die jedoch keinen Erfolg hatte. Schließlich bestätigte auch das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz im Jahr 2020 die ablehnende Entscheidung.
Obwohl die Betroffenen seit September 2020 nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens vollziehbar ausreisepflichtig waren, kamen sie ihrer Ausreisepflicht nicht nach. Die Ausländerbehörde der Stadt Ludwigshafen veranlasste deshalb am 30./31. März 2021 ihre Abschiebung. Die Maßnahme, zu der vorsorglich ein Arzt hinzugezogen wurde, begann am 30. März 2021 um ca. 19.30 Uhr, wobei alle Mitglieder der Familie vollzählig in ihrer Wohnung angetroffen wurden. Anwesend waren zudem die im selben Anwesen wohnenden und nicht von der Abschiebung betroffenen Großeltern der Kinder. Im Laufe der Maßnahme gelang es dem Sechzehnjährigen, sich der Abschiebung durch Flucht zu entziehen. Da dieser im Besitz eines Mobiltelefons war, wurde mehrmals, allerdings erfolglos, eine telefonische Kontaktaufnahme versucht. Die Maßnahme wurde danach fortgesetzt und die Abschiebung der Antragsteller nach Bescheinigung ihrer Flugtauglichkeit durch den begleitenden Arzt ohne den sechszehnjährigen Sohn durchgeführt.
Der Sechzehnjährige meldete sich am 20. Mai 2021 bei der Polizei. Bereits zuvor, nämlich mit Beschluss vom 28. April 2021, hatte das Amtsgericht Ludwigshafen am Rhein das Jugendamt der Stadt als Vormund des Minderjährigen bestellt. Dieser fand zunächst Aufnahme bei seinen Großeltern und soll nach Angaben der Stadt nach Pfingsten in einer Jugendhilfeeinrichtung untergebracht worden sein.
Am 7. April 2021 stellte der Bevollmächtigte der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Trier einen Antrag, die Antragsteller in die Bundesrepublik Deutschland zurückzuholen. Nach Hinweis bezüglich der örtlichen Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichts Trier wurde nach Anhörung der Beteiligten der Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Neustadt verwiesen. Die Antragsteller führen aus, dass ihre behandelnden Ärzte eine Reiseunfähigkeit festgestellt hätten. Die Abschiebung am 30. März bzw. 31. März 2021 sei zudem ein Verstoß gegen das verfassungsrechtlich geschützte Familienleben. Sie hätte abgebrochen werden müssen, nachdem der sechzehnjährige Sohn nicht mehr greifbar gewesen sei.
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag abgelehnt: Ein Anspruch auf Rückgängigmachung der Abschiebung bestehe nicht, denn die Abschiebung sei rechtmäßig erfolgt. Die Betroffenen seien nach erfolglos gebliebenem Asylverfahren aufgrund der Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vollziehbar ausreisepflichtig gewesen. Da sie ihrer Ausreiseplicht nicht nachgekommen seien, seien sie nach den gesetzlichen Vorgaben des Ausländerrechts abzuschieben gewesen. Eine Reiseunfähigkeit hätten sie nicht nachgewiesen und eine solche sei auch durch den hinzugezogenen Arzt nicht festgestellt worden. Dieser habe vielmehr die Flugtauglichkeit der Betroffenen bescheinigt.
Ein Vollzugshindernis sei auch nicht dadurch entstanden, dass sich der sechzehnjährige Sohn der Abschiebung durch Flucht entzogen habe. Die Stadt habe beabsichtigt, die Familie gemeinsam abzuschieben. Diese Familieneinheit sei nicht durch sie aufgehoben worden, sondern durch den Sohn, der geflüchtet sei. Es bestehe aber keine generelle Pflicht der Ausländerbehörde, in einem solchen Fall von Abschiebungsmaßnahmen abzusehen. In derartigen Situationen sei vielmehr eine Folgeneinschätzung vorzunehmen. Eine Rechtsverletzung der Antragsteller komme nur in Betracht, wenn deren Belange verkannt oder unzureichend gewichtet worden wären. Soweit Beeinträchtigungen des Familienlebens daraus folgten, dass sich der Sohn der Antragsteller der Abschiebung entzogen habe, seien die Antragsteller und ihr – weiterhin ebenfalls vollziehbar ausreisepflichtiger – Sohn insbesondere auf die Wiederherstellung des Familienverbands in Armenien zu verweisen. Die Stadt habe daher davon ausgehen dürfen, dass die Trennung des sechzehnjährigen Sohnes vom Rest seiner Familie nur einen überschaubaren Zeitraum umfassen und somit ein verhältnismäßig geringes Gewicht haben werde, weil auch er in absehbarer Zeit in sein Heimatland zurückkehren werde.
Der Sohn habe auch ohne seine Eltern alleine in Deutschland verbleiben können. Bei ihm handele es sich um einen Jugendlichen im Alter von bereits 16 Jahren, der in der Lage sei, die Folgen seiner Trennung von den übrigen Familienmitgliedern altersentsprechend zu überblicken. Zudem sei er mit 16 Jahren in einem Alter, in dem er nicht mehr der ständigen Betreuung und Fürsorge durch die Eltern bedürfe. Im konkreten Fall sei noch hinzugekommen, dass die im selben Anwesen wohnenden Großeltern für ihn als Anlaufstelle zur Versorgung und Unterbringung zur Verfügung gestanden hätten, so dass auch keine Notwendigkeit bestanden habe, zumindest einen Elternteil in Deutschland zu belassen. Im Übrigen sei durch die Stadt alles in die Wege geleitet worden, um ihn in Obhut zu nehmen und seine Versorgung sicherzustellen. Noch vor seiner Vorsprache beim Jugendamt sei die Vormundschaft durch das Amtsgericht Ludwigshafen am Rhein dem Jugendamt der Stadt übertragen worden. Zudem befänden sich die Großeltern des Sohnes weiterhin in Deutschland, sodass sie als familiäre Bezugspersonen zur Verfügung stünden. Diese Annahme habe sich auch durch den weiteren Verlauf der Geschehnisse bestätigt. Der Minderjährige habe in Obhut genommen und in einer Jugendhilfeeinrichtung untergebracht werden können.
Gegen den Beschluss ist das Rechtsmittel der Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz zulässig.