Mannheim – Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat mit Beschluss von gestern einem Eilantrag gegen die fortdauernde Schließung von Prostitutionsstätten stattgegeben.
Der Betrieb von Prostitutionsstätten ist in Baden-Württemberg seit dem 2. November 2020 aufgrund der infektionsschutzrechtlichen Bestimmungen in der Corona- Verordnung der Landesregierung untersagt. Auch in den sog. Öffnungsstufen 1 bis 3, die für zahlreiche Betriebe und Veranstaltungen bei einer dauerhaften 7-Tage-Inzidenz von unter 100 und einer sinkenden Tendenz der Infektionszahlen weitere „Lockerungen“ regeln (§ 21 Abs. 1, 2 und 3 der Corona-Verordnung), ist eine Öffnung der Prostitutionsstätten nicht vorgesehen. Hiergegen wandte sich die Betreiberin einer Prostitutionsstätte aus dem Bezirk des Regierungspräsidiums Karlsruhe (Antragstellerin) mit einem Eilantrag. Sie brachte vor, das landesweite, pauschale Betriebsverbot für Prostitutionsstätten sei ein rechtswidriger Eingriff in ihre Grundrechte.
Die Landesregierung (Antragsgegner) trat dem Antrag entgegen und machte geltend, sie habe geprüft, ob in den Öffnungsstufen Raum für eine Öffnung der Prostitutionsbetriebe sei. Das habe sie bisher abgelehnt, weil bei diesen Betrieben ein stark erhöhtes Infektionsrisiko bestehe. Auch in anderen Bundesländern dürften Prostitutionsstätten noch nicht öffnen, so etwa in Bayern. Gegenwärtig sei eine grundlegende Überarbeitung der Corona-Verordnung spätestens zum 28. Juni 2021 geplant, in deren Rahmen eine weitere Öffnungsstufe eingeführt werden solle. Vorbehaltlich der weiteren Entwicklung des Infektionsgeschehens sollten in dieser neuen Öffnungsstufe der Verordnung insbesondere auch Prostitutionsstätten, die bei der letzten Öffnungsrunde noch nicht hätten berücksichtigt werden können, aufgegriffen werden.
Der 1. Senat des VGH gab dem Eilantrag statt. Mit dem Beschluss vom 16. Juni 2021 setzte er § 15 Abs. 1 Nr. 17 der Corona-Verordnung (in der Fassung vom 3. Juni 2021), soweit die Vorschrift Prostitutionsstätten, Bordelle und ähnliche Einrichtungen betrifft, mit Ablauf des 20. Juni 2021 vorläufig außer Vollzug.
Zur Begründung führt der 1. Senat aus, das seit dem 2. November 2020 bestehende Verbot des Betriebs von Prostitutionsstätten sei inzwischen unverhältnismäßig. Das Infektionsgeschehen habe sich wesentlich verbessert. Zwar könnten aufgrund der nach wie vor bestehenden Infektionslage weiterhin normative Maßnahmen zur weiteren Eindämmung der Pandemie erfolgen. Der Eingriff in die Berufsfreiheit der Antragstellerin wiege jedoch außerordentlich schwer, da es sich um ein Totalverbot handele, das in aller Regel keine Ausnahmen zulasse.
An der inzwischen bestehenden Unverhältnismäßigkeit der angefochtenen Vorschrift ändere auch der Umstand nichts, dass die Öffnung von Prostitutionsstätten vor dem Hintergrund der dort angebotenen sexuellen Dienstleistungen zu – im Vergleich zu anderen körpernahen Dienstleistungsbereichen auch gesteigerten – Infektionsgefahren führen könne. Diese Gefahren könnten Maßnahmen des Verordnungsgebers unterhalb der Schwelle zu einem vollständigen und ausnahmslosen Verbot rechtfertigen. Als geeignete, erforderliche und angemessene Maßnahmen kämen insoweit beispielsweise normative Vorgaben zur Aufstellung und zur Kon- trolle von Hygienekonzepten in Betracht. Dazu könnte auch eine nach Infektionszahlen differenzierende, auf einen etwaigen Wiederanstieg der Zahlen reagierende Regelung zählen. Ein undifferenziertes und wesentlich eingriffsintensiveres Totalverbot sei im Vergleich dazu beim aktuellen Stand des Pandemiegeschehens nicht mehr verfassungskonform.
Der Beschluss des VGH ist unanfechtbar (1 S 1868/21).