Kaiserslautern – Beim Auswandern in ein fremdes Land nehmen Menschen ihre Sprache mit und geben diese in der Regel an ihre Kinder weiter.
Beeinflusst die angewandte Zweisprachigkeit den Gebrauch der Herkunfts- und der Landessprache – und wenn ja, wie? Dies untersucht eine Forschungsgruppe, zu der auch die Professorin Dr. Shanley Allen von der Technischen Universität Kaiserslautern (TUK) gehört. Für die mittlerweile zweite Förderrunde hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft 4,2 Mio. Euro bereitgestellt. Insgesamt sind sieben Universitäten involviert und bringen verschiedene linguistische Einzelprojekte ins Vorhaben ein.
Die Forschenden untersuchen die Dynamik von Sprachen im Sprachkontakt und schaffen sprichwörtlich die Grundlage für ein besseres Verständnis in einer globalisierten Welt. Sprachwissenschaftlerin Allen, die in Kanada aufgewachsen ist und heute in Deutschland lebt und arbeitet, nennt ein Beispiel:
„Im Englischen starten Sätze üblicherweise mit einem Subjekt. Diese Gewohnheit übernehme ich oft in die deutsche Sprache und verändere damit deren Informationsstruktur.“
Allen bringt ihre Expertise in der Sprachentwicklung ins Gesamtvorhaben ein:
„Uns geht es darum, die Unterschiede in Satzbau und Wortfolge von Heritage-Sprechern sowohl in ihrer Heritage-Sprache als auch in ihrer Mehrheitssprache im Vergleich zu monolingualen Muttersprachlern zu untersuchen und zum Teil auch darum, wie die Herkunftssprache die Mehrheitssprache beeinflusst und umgekehrt.“
Konkret untersuchen die Forscherteams, wie sich Griechisch, Türkisch und Russisch auf das Deutsche und wie sich Griechisch, Türkisch, Russisch und Deutsch auf das Englische auswirken. Hierfür arbeiten sie mit rund 300 zweisprachig aufgewachsenen Menschen. Allesamt Personen, die die Herkunfts- oder Heritage-Sprache von Geburt an in der Familie erlernt haben und seit der Kita- oder spätestens Schulzeit überwiegend die Landes- oder Mehrheitssprache sprechen.
„Unser Projekt zeichnet aus, dass wir nicht nur verschiedene Sprachpaare, sondern auch verschiedene Formen des Sprachgebrauchs in die Forschung einbeziehen.“
Alle Probanden – zum einen Jugendliche von 14 bis 18 Jahren und zum anderen junge Erwachsene von 25 bis 35 Jahre –bekommen die gleiche Aufgabe gestellt: Sie sehen sich ein Video von einem fiktiven Autounfall an und sollen nachfolgend in beiden Sprachen darüber berichten. Hier gilt es vier verschiedene Szenarien abzudecken: formell (Standardsprache) und informell (Umgangssprache), jeweils mündlich und schriftlich. Die Ergebnisse vergleichen die Forschenden stets mit entsprechenden Aussagen von monolingualen Testpersonen.
„Wir konnten beobachten, dass der informelle Sprachgebrauch offener für neue Einflüsse und damit auch Veränderungen ist“,
so Allen.
Vermeintliche Abweichungen in der formellen Sprache resultieren oft daraus, dass monolinguale Muttersprachler die informelle Sprache kontinuierlich weiterentwickeln und Heritage-Sprachler sich in der formellen Sprache daran orientieren. Was sich dabei auch abzeichnet: Die Mehrheitssprache verändert die Herkunftssprache.
„In der Türkei ist es beispielsweise nicht üblich, eine formelle Nachricht mit einer förmlichen Anrede zu beginnen“,
so Allen.
„Es zeigt sich jedoch, dass beispielsweise Heritage-Sprachler, die in Deutschland das „sehr geehrte Damen und Herren“ lernen, dieses rückwirkend auch ins Türkische übertragen.“
Die Meinung, dass Zweisprachigkeit die Herkunftssprache verschlechtert, teilt sie nicht – ganz im Gegenteil:
„Wir haben in unserem Projekt die Möglichkeiten und Kompetenzen, Heritage-Sprachen über mehrere Länder zu vergleichen. Unsere Erkenntnis ist, dass Zweisprachigkeit sowohl die Herkunfts- als auch Mehrheitssprache vielfältiger macht und bereichert.“
Diese bereits gewonnen grundlegenden Erkenntnisse vertiefen die Forschenden aktuell in der zweiten Förderphase und beziehen dabei weitere Sprachen bzw. Sprachpaare ein. Parallel dazu startet ein neues Transferprojekt: Eine Webseite, die Eltern und Lehrkräfte Informationen an die Hand gibt, wie sie zweisprachig aufwachsende Kinder bzw. Schülerinnen und Schüler besser unterstützen können.
Insgesamt koordiniert die Forschungsgruppe mit elf sogenannten Principle Investigators bis 2024 sechs Projekte – zwei werden federführend von der TUK umgesetzt. Darüber hinaus sind die Universität Potsdam, die Humboldt-Universität zu Berlin, das Leibniz-Zentrum „Allgemeine Sprachwissenschaft“ sowie die Universitäten Duisburg-Essen, Mannheim und Stuttgart beteiligt.